"Es wäre wichtig, die große Zahl an sinnvollen und engagierten Einzelinitiativen zusammenzuführen." (Christian Rechberger, Referent im Referat für Sozialpolitik der Österreichischen HochschülerInnenschaft)

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"Wir fordern Jobs und Praktika mit Qualität, die jungen Menschen auch etwas bringen, einen gesetzlich verankerten Mindeststundenlohn für PraktikantInnen und Maßnahmen gegen die Ausweitung von prekären Arbeitsverhältnissen." (Magdalena Schwarz, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, Studentin der katholischen Theologie und Studienassistentin am Institut für Moraltheologie)

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"Es ist ein Versuch, den Arbeitssuchenden freie Dienstverträge oder Werkverträge aufzuschwatzen, bei denen es sich unter dem Deckmantel der großen Freiheit in Wirklichkeit um ein 'ganz normales' Dienstverhältnis handelt." (Günter Köstelbauer, Arbeitsrechtsexperte bei der Arbeiterkammer).

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Kein Scherz

Was sich am 11.11.2010 unter den ersten zehn Treffern auf www.jobwohnen.at der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) findet, ist kein Scherz zu Faschingsbeginn, sondern eine von vielen schlecht bezahlten und zumeist freiberuflichen Ausschreibungen, die die StudentInnen-Jobbörsen prägen.

"Wenn jemand, der von so einem Jobangebot betroffen ist, zu uns in die Beratung kommt, werden wir das mit Hochgenuss verfolgen." Arbeitsrechtsberater Günter Köstelbauer von der Wiener Arbeiterkammer (AK) empfiehlt StudentInnen eine Überprüfung des Dienstvertrages - möglichst noch vor der Unterzeichnung. Es gelte zu klären: Was ist das für ein Arbeitgeber, was für ein Vertrag?. "Hinter der vermeintlichen Freiheit eines freien Dienstnehmers" diagnostiziert Köstelbauer "oft verschärfte Arbeitsbedingungen."

Bessere gesetzliche Rahmenbedingungen

Warum finden sich Jobangebote dieser Art ausgerechnet auf der Seite der Österreichischen StudentInnenvertretung? "Auf einer moralischen Ebene würde es Sinn machen, solche Ausschreibungen zu boykottieren", räumt Christian Rechberger vom Referat für Sozialpolitik der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) ein, "doch auf der praktischen Ebene existiert die Ausschreibung weiter und wird auch von irgendjemand angenommen werden". Den wirksamsten Schutz vor der Ausbeutung im Job sieht der Referent in "besseren gesetzlichen Rahmenbedingungen und vor allem in deren Durchsetzung".

Anstieg prekärer Beschäftigungen

62 Prozent aller StudentInnen müssen laut der jüngsten Studierenden-Sozialerhebung arbeiten, um ihr Studium finanzieren zu können. Dementsprechend groß sei der (Konkurrenz-) Druck bei Studentenjobs, beobachtet Magdalena Schwarz, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung Österreich. "Ein großer Teil der Studierenden ist von der Thematik der Arbeit zu Dumpingpreisen betroffen, besonders jene, die keine finanzielle Unterstützung von ihren Familien bekommen". Durch die aktuellen Budgetmaßnahmen, wie der Streichung der Familienbeihilfe ab dem 24. Lebensjahr, würden weitere finanzielle Einschnitte für Studierende drohen. Noch mehr würden in die Erwerbstätigkeit drängen, was nicht nur zur Verzögerung des Studiums, sondern auch zu einer Zunahme der StudentInnenjobs ohne Anstellung und ohne soziale Absicherung bei schlechter Bezahlung führen werde.

Der Armuts- und Reichtumsbericht belegt den Anstieg prekärer Beschäftigungen in Österreich, was zu einem Anstieg der "working poor" führt - Menschen, die trotz Jobs armutsgefährdet sind. Die Zahl liegt derzeit bei rund 230.000. "Hier wird der Trend zu atypischen Beschäftigungen mit geringem Einkommen direkt spürbar. Und es sind vor allem junge Menschen, die in solchen Jobs beschäftigt sind", weiß die Bundesjugendvertreterin.

Teufelskreis

Von den fast zwei Dritteln erwerbstätigen Studierenden in Österreich kommt laut Armuts- und Reichtumsbericht mehr als ein Viertel nur "schlecht oder sehr schlecht" mit den finanziellen Mitteln aus. Schwarz: "Das ist eine dramatische Entwicklung, die so nicht weitergehen darf". - Die jedoch für viele so weiter geht Studierende oft in folgenden Teufelskreis geraten: Während des Studiums werden zwecks Qualifizierung Volontariate und Praktika absolviert und zugleich das Studium mit prekären Jobs finanziert.

Schwarz: "Auch nach dem Studium geht es für viele mit Traineeships und Praktika weiter oder in Arbeitsverhältnissen, die als freie Dienstverträge oder Werkverträge geführt werden, obwohl sie Angestelltenverhältnissen entsprechen." Die erste Anstellung ergibt sich oft erst sehr spät. "Viele AkademikerInnen bewerben sich für Jobs, für die sie überqualifiziert sind. Als Folge verlieren sie den Anschluss zu ihrer 'Branche‘", weiß Schwarz.

Sozialsystem in Gefahr

Christian Rechberger von der ÖH zeichnet folgende Konsequenzen: "Auf individueller Ebene führen prekäre Dienstverhältnisse zu einem Verlust an Planungssicherheit für den kurz- und mittelfristigen Bildungs- und Lebensverlauf. Auf kollektiver Ebene führen sie zu einer Erosion der sozialen Sicherheitssysteme, da diese in Österreich stark am Idealtypus des männlichen Vollzeitverdieners orientiert sind."

Auch Schwarz warnt: "Durch die stetige Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse fließen weniger Beiträge ins Sozialsystem und sein Erhalt ist gefährdet. Hier besteht akuter Handlungsbedarf." Die Bundesjugendvertretung fordert PolitikerInnen aller zuständigen Ressorts - "insbesondere Sozialminister Hundstorfer und Wirtschafts- und Jugendminister Mitterlehner" - dazu auf, sich mit den Problematiken von jungen Menschen auseinander zu setzen und Maßnahmen gegen die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse zu treffen.

Ausbeutung

Bei der prekären Jobsituation für StudentInnen handle es sich weniger um klassisches Lohndumping, sondern eher um eine Flucht der Arbeitgeber aus dem Arbeitsrecht, weiß der AK-Arbeitsrechtsexperte Köstelbauer. "Es ist ein Versuch, den Arbeitssuchenden freie Dienstverträge oder Werkverträge aufzuschwatzen, bei denen es sich unter dem Deckmantel der großen Freiheit in Wirklichkeit um ein 'ganz normales' Dienstverhältnis handelt".

Werden StudentInnen also ausgebeutet? "Nicht alle, aber tendenziell ja", meint Rechberger von der ÖH. Studierende mit relativ wenigen Erfahrungswerten treten neu in den Arbeitsmarkt ein. "Einige Unternehmen, die wenig von ArbeitnehmerInnenrechten halten, nutzen diese Situation aus und betreiben systematische Ausbeutung."

Lobbying für StudentInnen

Wer engagiert sich gegen prekäre Jobs und wie könnte man das Lobbying für Betroffene vorantreiben? "Prinzipiell sind alle politischen Jugendorganisationen und Gewerkschaften gegen prekäre Jobs", betont Rechberger. "Es wäre wichtig, die große Zahl an sinnvollen und engagierten Einzelinitiativen zusammenzuführen."

Die ÖH-Bundesvertretung arbeitet derzeit gemeinsam mit weiteren Interessensgemeinschaften an dem Projekt "Gütesiegel Praktikum" - einer Auszeichnung für Betriebe, die PflichtpraktikantInnen anhand gemeinsam erarbeiteter Kriterien anstellen. Für den Sozialreferenten zeichnet sich allerdings schon jetzt eine positive Tendenz ab, "weil sich immer mehr Interessensgruppen der Thematik annehmen. Durch die steigende Zahl der Betroffenen steigt auch das Problembewusstsein in der Gesellschaft."

Vorsicht bei der Jobsuche

Wer auf der Suche nach einem Job ist, kann dem Prekariat zumindest ein wenig vorbeugen. Rechberger empfiehlt "die eigenen Zeitressourcen zu betrachten", denn laut der Studierenden-Sozialerhebung 2009 sinkt ab einer Wochenarbeitszeit von elf Stunden die Studienleistung rapide ab. Weiters gelte es, sich Gedanken über die Zuverdienstgrenze bei der Studien- und Familienbeihilfe sowie über die Geringfügigkeitsgrenze zu machen.

Ein Jobangebot sollte erst nach schriftlicher Vereinbarung angenommen, Stunden und Leistung aufgezeichnet werden. Und, so Rechberger: "Beim kleinsten Verdacht, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, sofort - oder auch im Nachhinein - sollte man die Arbeiterkammer kontaktieren."(tin, derStandard.at, 15.11.2010)