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Training in der Rütli-Schule. Geboxt wird in Kursen, nicht am Schulhof.

Foto: REUTERS/ARND WIEGMANN

Nach einem Aufschrei der Lehrer gilt die Schule heute als Modell für Integration.

Bunte Mosaiksteine zieren die Blumentöpfe vor der Berliner Rütli-Schule im Bezirk Neukölln. "Respekt", steht drauf, "Bildung" und "Spaß". Noch vor vier Jahren waren diese Begriffe so ungefähr das Letzte, was man mit dieser Hauptschule verband.

Damals, im März 2006, schickte die Rektorin einen Brandbrief an den Berliner Senat und schilderte darin die Zustände: "Lehrkräfte werden gar nicht wahrgenommen, Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen, Anweisungen werden ignoriert. Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können."

Schule war Synonym für gescheiterte Integration

Das Entsetzen war groß, das mediale Interesse ebenfalls. Die Rütli-Schule wurde zum Synonym für gescheiterte Integration, und von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) abwärts versicherte jeder Berliner Politiker: Hier muss sich etwas ändern. Und tatsächlich: Nachdem die TV-Kameras wieder abgezogen waren, wurde ein neues Konzept erarbeitet – gemeinsam mit den Schülern und einer neuen Schulleitung. Zunächst wurde die alte Rütli-Schule abgeschafft, es gibt stattdessen den "Campus Rütli" mit Kindergarten, Volksschule und weiterführen- der Gemeinschaftschule für rund 1250 Kinder.

Doch es sind nicht nur Äußerlichkeiten, die sich geändert haben. Es gelang, die Schüler neu zu motivieren. "Sie haben schnell erkannt, dass sie in der Schule Chancen und Möglichkeiten bekommen und dass es an ihnen liegt, diese zu nutzen", sagt Schulleiterin Cordula Heckmann zum Standard.

Geboten wird nun allerhand, auch dank Christina Rau, der Ehefrau des früheren deutschen Bundespräsidenten, die die Schirmherrschaft für "Rütli neu" übernommen hat. Es gibt eine Boxgruppe, eine Fußballgruppe, die Theatergruppe wird vom renommier- ten Maxim-Gorki-Theater unterstützt. Und als nach dem Aufschrei von 2006 die "Young Americans", eine Musik- und Tanzgruppe aus Kalifornien, kam, um mit den überwiegend türkisch- und arabischstämmigen Kindern zu proben, da erfuhren viele von ihnen zum ersten Mal, dass sie etwas wert sind.

"Bis dahin hörten die Schüler meist: Das kannst du ohnehin nicht", erinnert sich Klaus Lehnert, pädagogischer Projektleiter des Campus Rütli. Davon wollte man weg, und das gelang auch durch einen Austausch der Lehrer. Lehnert: "Manche wollten einfach nicht mehr an der Rütli-Schule unterrichten." Die, die blieben, und die neuen aber bekamen eine spezielle Schulung und lernen, dass man gerade Kinder mit Migrationshintergrund immer wieder anspornen muss. "Du schaffst es, das hast du prima gemacht", hören viele von ihnen zu Hause nicht so oft", meint Lehnert.

Rücksicht auf den Ramadan

Apropos zu Hause. An der Schule gibt es jetzt Sozialarbeiter und interkulturelle Moderatoren, die nicht nur Sprach-, sondern auch Kulturvermittler sind – und etwa die Lehrer darauf hinweisen, dass Elternversammlungen während des Ramadans nicht am Nachmittag abgehalten werden sollen, sondern erst am Abend.

"Rütli" steht nicht mehr für Abgrund. Davon soll auch das Projekt "Rütli Wear" zeugen – eine T-Shirt-Kollektion mit dem Rütli-Schriftzug, an der auch Schüler mitarbeiten und die von ihnen heute selbstbewusst getragen werden.

20 Prozent aller Schüler mit Migrationshintergrund haben in Deutschland keinen Schulabschluss. Als vor dem Sommer jener Jahrgang, der auch schon im "Aufstandsjahr" 2006 da war, seinen Abschluss machte, waren die Lehrer gespannt auf die Quote und staunten nicht schlecht. Nur 1,7 Prozent dieser Schüler schafften es nicht. Für Schulleiterin Heckmann der Beweis: "In unserer Schule arbeiten Bezirk und die verschiedenen Senatsverwaltungen eng zusammen und finden Unterstützung durch bürgerschaftliches Engagement. Wenn man gemeinsam will, dann schafft man eine große Menge." (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD-Printausgabe, 13./14.11.2010)