Ioan Holender, Gast der Siemens Academy of Life, im Gespräch mit Barbara Rett.

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"Herr Direktor" will er nicht mehr genannt werden, sagt Ioan Holender bei der Siemens Academy of Life Gala, trotzdem tun es die meisten immer noch. Kein Wunder, nach 18 Jahren an der Spitze wird Holender unweigerlich mit dem Haus am Ring verbunden, auch wenn er seit September dieses Jahres nicht mehr Direktor der Wiener Staatsoper ist.

Länger als alle vor ihm konnte er sich erfolgreich auf dem "Schleudersessel" behaupten: "Niemand hätte mir anfänglich so viele Jahre gegeben. Ich kann mich noch erinnern, was in den Medien alles über mich geschrieben worden ist. Aber es spricht für dieses Land, dass - überspitzt gesagt - ein 'dahergelaufener, rumänischer Jude, eine gescheiterte Existenz' in Wien Staatsoperndirektor werden konnte", sagt Holender schmunzelnd, "und geworden bin ich das alles nur aufgrund der Entscheidung eines einzigen Mannes, Eberhart Wächter." Der holt Holender, damals noch höchst erfolgreicher Künstleragent, gegen viele Widerstände als Generalsekretär an die Staatsoper. Als Wächter völlig unerwartet stirbt, wird Holender zum Staatsoperndirektor bestellt und krempelt den Betrieb in kurzer Zeit nach seinen Vorstellungen um.

Dass er sich mit vielen seiner Entscheidungen keine Freunde gemacht hat, ist Holender klar: "Wichtige Entscheidungen trifft man immer nur alleine, und ich bin nie davor zurückgeschreckt zu entscheiden. Viel schlimmer, als eine falsche Entscheidung zu fällen, ist es, keine zu fällen, was in diesem Land ja sehr häufig der Fall ist."

Interesse wecken

Widerstände, waren sie auch noch so massiv, hielten Holender nie dabei auf, seine Ideen zu realisieren. Als er beschloss, Aufführungen direkt vor der Oper live zu übertragen, schrien alle im Haus auf. Wer soll dann noch Vorstellungen besuchen und dafür zahlen, wenn man die Aufführung ohnehin auf der Straße gratis sehen kann, fragen die Kritiker: "Mein Anliegen war jedoch, bei jenen Menschen, die vorbeigehen und bisher nicht den Weg in die Oper gefunden haben, Interesse zu wecken. Und trotzdem man mir prophezeit hat, das würde das Ende für die Staatsoper bedeuten, kein Mensch würde mehr eine Karte kaufen, bin ich bei meinem Entschluss geblieben." Heute wolle sich keiner der Unkenrufer mehr an die Startschwierigkeiten erinnern, die Übertragungen auf der Großleinwand gehören längst zum Wiener Kulturbetrieb.

Betriebsräte und Rechtsabteilung standen auch bei Holender auf der Matte, als er von einem Tag auf den anderen die Garderobengebühr abschaffte. "Aber wieso soll das Publikum, das ohnehin für die Vorstellung zahlt, noch für die Aufbewahrung der Mäntel etwas hergeben? Das ist absolut idiotisch. Manche im Haus haben einfach nicht begriffen, dass wir für unser Publikum da sind und nicht umgekehrt."

Alles muss sich um die Besucher drehen, so Holenders Postulat: "Sie erhalten uns." Dass sein Führungsstil oft als autoritär und er selbst als arrogant bezeichnet wurde, nimmt Holender gelassen: "Ich bin nicht dazu dagewesen, dass sich alle Mitarbeiter wohl und glücklich fühlen, die Staatsoper ist ja kein Sanatorium. Das habe ich auch immer wieder gesagt. Unsere Aufgabe ist es, das Publikum mit hervorragender Arbeit glücklich zu machen. Nur dazu sind wir da."

Genug zu tun

Dass jemand, der Macht liebt und sich mit Haut und Haar seiner Aufgabe hingegeben hat, nun froh ist, nicht mehr Staatsoperndirektor zu sein, hat mehrere Gründe: "Ich habe selbst beschlossen, aufzuhören, und ich bin nicht im Bösen geschieden. Im Gegenteil, der Beweis, dass man meine Arbeit anerkannt hat, war für mich der 26. Juni, als alle Künstler und Künstlerinnen - und zwar ausnahmslos - zu meinem Farewell-Konzert kamen. "

Über mangelnde Beschäftigung muss sich der passionierte Tennisspieler nicht beklagen, besonders gerne unterrichtet er den künstlerischen Nachwuchs; diesem will er vor allem eines mit auf den Weg geben: "Wenn ich es geschafft habe, dann schafft das jeder Einzelne von euch auch!"

Die Geschicke der Staatsoper verfolgt Holender freilich nach wie vor sehr genau, allerdings hat er sich selbst Zurückhaltung verordnet: "Ich war nie in der Oper, seitdem ich weg bin." Wieso, ist leicht erklärt: "Ich will Distanz bekommen, und ich glaube, man braucht dort auch Distanz von mir." (Judith Hecht/DER STANDARD; Printausgabe, 13./14.11.2010)