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Und dann saß ich mit Anja Kruse in der Hundekehle, sie schaute mich an mit ihren Augen, ja, muss man wirklich kursiv sagen, oder groß: AUGEN ...

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

O Gott, jetzt entwickle ich auch schon Zukunftsszenarien für uns beide, Abdul und Anja verliefen sich im Wald

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Ich hatte einen Roman geschrieben, Ramses Müller heißt er. Alle haben ihn gehasst, Leser, Rezensenten (Volker Weidermann, FAZ: "Die größte Scheiße, die je gedruckt wurde"), die Lektorin meinte gar, das ginge eigentlich gar nicht, Echtnamen zu verwenden, Schlingensief kommt vor, Benjamin von Stuckrad-Barre, ich kenne die gar nicht, und ich hätte kein Recht, ihre Namen zu verwenden, ohne jeden Hintergedanken, ich wollte, dass es so eine Art umgekehrtes, höfliches Holzfällen ist, ich wollte mich nicht rächen an irgendwem, ich bin nicht heimtückisch wie Thomas Bernhard, ich habe keine verdammte ABSICHT, die Lektorin glaubte, ich bin nur ein Idiot.

Nur mit einem Namen hatte ich allerdings etwas vor, ich wollte ihn im Buch haben, diesen Namen, aber auch die daran hängende echte Person unbedingt kennenlernen. Ihr Name ist Anja Kruse. Die schönste Frau der Welt. Ich wollte sie während des Schreibens kennenlernen, sie quasi an der Entstehung teilhaben lassen, wollte sie mir nicht künstlich bauen müssen, wollte einen Funken oder so was von ihr haben, einen Blitz, sie hätte mich lähmen, ihre Eier in mich legen dürfen, sie sollte meine Vertraute sein.

Die Lektorin wusste noch nicht mal, wer Anja Kruse ist, Forsthaus Falkenau, sie hat nur ein diffuses Bild unendlicher Spießigkeit, das sieht doch keiner, das kann man ja nicht mal mehr ironisch sehen, das ist so schlecht, dass es schlecht ist, aber es muss ja wohl offensichtlich gesehen werden, sonst würde es es nicht geben. Anja Kruse, das ist nicht Arte, nicht 3sat, das ist nicht Kino, das ist in der Hohlwelt unter der Welt, auf der sie spazieren gehen, die GUTEN, und das macht sie (Anja) ja noch viel attraktiver, man kann so viel hineinlesen, hol mich hier raus, auch deshalb ihr blasser Teint, absichtlich die böse Sonne gemieden, und diese Augen, es sind nur die Augen, sie reden, sie fragen, sie bitten, sie rufen, HOLT MICH HIER RAUS, das ist ihre Seele, ich werde noch wahnsinnig, es ist ja wirklich wahr, was kommt da noch alles raus, sie kann mich würgen, ihre Wut an meinem Hals ablassen, das ganze Unrecht, ihr Unrecht durch Zudrücken neutralisieren, Gerechtigkeit endlich, aber einer muss dafür sterben, ich, ihr Anwalt, der Autor von Ramses Müller, dem berühmten unbekannten Buch, das nicht sein durfte, also wenn das kein Verkaufsargument ist, Fernsehschauspielerin erwürgt Amateurschriftsteller, von dem sie dachte, er stellt ihr nach, das Stalkerschwein, er schnüffelt an meinen Slips, natürlich an den gewaschenen, das ist noch unheimlicher.

So manövrierte ich im brackigen Fahrwasser mein rostiges Schiff namens Ramses Müller, schon rostig, bevor es aus der Werft kommt, ich musste SIE treffen, das Buch gab's zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, ich brauchte sie, um dem Zeug eine Struktur zu geben, eine Fahrtrichtung, also von Anja aus sollte es losgehen, ich dachte, ich sage ihr, ich mach ein Interview mit ihr, für den Standard, über das Vorabendserienelend und dann, ja, was dann?

Und dann saß ich doch tatsächlich mit Anja Kruse in der Hundekehle, sie schaute mich an mit ihren Augen, ja, muss man wirklich kursiv sagen, oder groß: AUGEN, und ich redete und redete, immer mehr, meinte, bevor wir jetzt das Interview beginnen, red ich mal so ein bisschen, was ich mache oder so, provozierte sie aber auch, ohne dass sie es merkte, über Dinge zu reden, die nichts mit ihrem Job zu tun haben, ich wollte, dass sie es sagt, ES, ich wusste nicht, was ES ist, etwas, was sie bricht, das Dunkle, das Zwielicht, das durch eine Rostritze in den Frachtraum meines Schiffes dringt.

Anja Kruse lächelt, jetzt fährt der Zug also, die einzige Bremse wäre jetzt rauszulaufen, weglaufen, dich verleugnen, hoffentlich hat sie deinen Namen vergessen.

"Wollen wir uns nicht duzen?"

Auch das noch, jetzt sitzt du in der Falle, vor einem Du kann man noch schlechter weglaufen als vor einem Sie. Wie heiße ich denn? Was sage ich denn jetzt? Tex Rubinowitz, das ist doch kein Name, das muss man ewig erklären, scheiße.

"Ich heiße Abdul."

"Abdul? Ich dachte, du heißt Tex? Meine Agentin hat gesagt, dass ich von Tex Rubinowitz hier interviewt werden soll."

"Ähm, heiße ich ja auch, aber in Wirklichkeit Abdul, Rubinowitz ist nur ein Pseudonym."

"Abdul also."

"Ja, Abdul."

"Und, wie weiter?"

"Wie wie weiter, was wir jetzt machen?"

O Gott, jetzt entwickle ich auch schon Zukunftsszenarien für uns beide, Abdul und Anja verliefen sich im Wald.

"Nein, mit Nachnamen."

"Armandshammer."

Keine Ahnung, wie ich da jetzt drauf kam, irgendetwas mit Hammer musste es sein, der Hammer in der Hand des Idioten.

"Ich hatte mal einen Freund, der hieß Armand, das war vielleicht meine schönste Zeit, der hat sich aber umgebracht, ist aus dem Fenster gesprungen, 1. Stock zwar, aber unten von einem Stahlträger erschlagen worden, der von einem Kran hochgezogen wurde und durch einen Orkan ins Schwingen gekommen ist."

Na, guten Tag, sie seufzt, man merkt, sie hängt in der Armand-Geschichte.

"Mit Armand erlebte ich eine Amour fou, als wir uns das erste Mal sahen, hat der Blitz eingeschlagen, und wir haben nicht einen Moment darüber nachgedacht, dass wir rechts und links verbrannte Erde hinterlassen. Ich habe immer geglaubt, dass nur so eine solche, unglaublich leidenschaftliche Liebe funktionieren kann, das ist aber nicht der Fall, wie ich jetzt weiß. Im Gegenteil. Und bevor der Alltag seinen nassen Kartoffelsack über uns entleeren konnte, hat er mich geschlagen."

Na, das wird ja immer besser.

"Warum hat er Sie, warum hat er Dich geschlagen?"

"Das ist kompliziert jetzt, ich will es versuchen, ich erzähl das aber nur, weil du mir sympathisch bist, ich mag dich, ich hoffe, du mich auch, und wenn es so ist ... es ist doch so?"

"Ist es."

"Dann wirst du das auch nicht veröffentlichen in deinem Interview, bitte."

"Ja, versprochen."

"Er hat mich geschlagen, in Berlin war das, irgendwann mal in einem November, was weiß ich, Mitte der Achtziger, auf dem Bahnhof, nachts, da hat er mir eine runtergehauen, weil ich ihm Geld gegeben habe."

"Wie bitte? Warum das denn?"

"Er hat mich nach diesem Geld gefragt, er musste die Nacht irgendwie rumbringen, mein Zug nach Paris ging gleich, er hatte noch zu warten bis zum Morgen, bis sein Zug nach Stockholm ging, er arbeitete da in der Lottabewegung, ist so eine schwedische Frauenorganisation (Lotta Svärd), deren Mitglieder freiwillig Aufgaben in der schwedischen Verteidigung übernehmen, er wollte das Lottamodell nach Frankreich exportieren, als Teil einer größeren Feminismusoffensive, die haben übrigens ein Hakenkreuz als Logo, deswegen war das etwas schwierig, Franzosen reagieren bei solchen Symbolen leider etwas verschnupft. Ich gab ihm also das Geld, und dann schlug er mir ins Gesicht."

"Aber warum?"

"Weil ich nachgab, darum, er wollte, dass ich hart bleibe, ihm nichts gebe."

"Aber du hast doch gesagt, er wollte es haben."

"Ja, schon, aber unter anderen Umständen, die Rollen waren vertauscht, ich war sonst die, die bettelt und bittet, komm zurück, schreib mir, ruf mich an und solche Sachen, jetzt war er es, und ich hab danach gebettelt, ihm dieses Geld zu geben, dass er durch die Nacht kommt, das hat er wohl mitbekommen, mein Betteln, mein Unterwerfen, mein Nachgeben. "

Ich fühle mich schäbig. Was mache ich? Nichts mache ich, das Interview - ein Vorwand, das Buch - der Verlag will es nicht, Anja sitzt hier bei mir, sehr nahe, aber gleichzeitig auch meilenweit entfernt, ganz weit weg, in ihrer weißen Wohnung, in Paris im elften Arrondissement, Rive Droite, Rue Oberkampf.

"Anja ..."

"Ja?"

"Ich muss irgendwie gehen, es tut mir leid, so viel über deine Rollen und Oberförster Rombach und so haben wir ja gar nicht geredet, wir haben nur über Sachen geredet, die du nicht in der Zeitung lesen willst."

"Das ist egal, schreib irgendwas, erfinde etwas, ich vertraue dir, aber schick mir's, dann kann ich, wenn's zu persönlich wird, verändern, ich mache das gerne, Falschinformationen aussäen, eine Anja Kruse konstruieren, so hält man sich lästige Schnüffler vom Leib, mal denken sie, du bist Lesbe, mal, du hast einen Knall, mal, du bist wirklich so wie in diesen Scheißserien, das ist ein guter Zustand, wenn man eine multiple Person ist, ist man eigentlich gar nicht vorhanden. Je mehr Personen man ist, desto mehr verschwindet man, ein Paradoxon, aber praktisch."

"Aber wie bist du wirklich?"

"Vielleicht weiß ich das selber nicht, nein, das ist zu banal, natürlich weiß ich das, aber bin jetzt zu müde, ich erzähl's dir ein anderes Mal, ciao Abdul."

Und sie nahm mich, packte mich geradezu, meinen Kopf und küsste mich links und rechts, ich war in Schockstarre, nicht die Küsse elektrisierten mich, der Griff, ihre Handinnenflächen waren hart, schwielig fast, rissig, und ihr Griff war wie eine Schraubzwinge, das gibt's doch gar nicht, diese zarte Rehfrau mit den wunden Warum-ich-Augen hat keine Hände, sondern Rohrzangen. Sie stöckelte in die Nacht, leicht schwankend, wie mir schien, oder mein Blick schwankte und machte sie schwankend, ich weiß nicht, ich stand nur da und starrte ihr hinterher, so als könne ich gar nicht woanders hinschauen, so als hätte sie meinen Kopf so hingeschraubt, dass ich ihr hinterher schauen muss, wie ein Leuchtturm einem Schiff hinterher schaut, dabei bin ich, wenn überhaupt, ein Leuchtturm mit einem winzigen, roten Stand-by-Birnchen. In diesem Moment wusste ich, dass Ramses Müller, mein Schiff, über keinen Ozean kommen würde, nicht mal über einen stinkenden Entenpfuhl. (Tex Rubinowitz, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 13./14. November 2010)