In Korneuburg baut die BIG das erste Passivhaus einer Bundesbehörde.

Die IG Passivhaus sorgt am kommenden Wochenende wieder für offene Türen, über hundert Passivhäuser können besichtigt werden.

Bild (v.l.): Johannes Kislinger, Vorstand IG Passivhaus Ost u. Österreich; Günter Lang, Sprecher IG Passivhaus Österreich; Günther Jedliczka, Österreichischer Austauschdienst (ÖAD).

Foto: IG Passivhaus

Infografik: Entwicklung der Passivhaus-Wohnungen in Österreich

Grafik: IG Passivhaus

Auf das Passivhaus setzt nun auch der Versandhandel. Die drei Marken der Otto Group - Universal, Quelle und Otto - wollen 2011 mit 300 verkauften Häusern unter die Top 3 der heimischen Fertighausbranche kommen. Das Angebot erstreckt sich auf 50 verschiedene Modelle mit 10 Hausgrößen von 79 bis 204 m². Hersteller ist die Passivhaus-Produktion Gesellschaft mbH (PhP), die zu 51 Prozent dem Gründer des Fertighausherstellers Elk, Johann Weichselbaum, gehört. In der Blauen Lagune in Vösendorf und in Haid bei Linz können bereits Musterhäuser besichtigt werden, geplant sind noch weitere Standorte in Graz, Salzburg und Innsbruck.

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Die neue EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie verschärft die Anforderungen an die Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden. Neubauten sollen ab 2020 nur noch "Niedrigstenergiegebäude" ("Nearly Zero Energy Buildings") sein. Behörden als Eigentümer müssen bereits ab 2018 diese Verpflichtung mit Vorbildwirkung erfüllen. Soweit die graue EU-Theorie, die freilich noch in die nationalen Gesetzgebungen umgesetzt werden muss (mehr dazu siehe unten).

In Österreich wurde schon in den letzten Jahren stets die fehlende Vorbildwirkung des Bundes, wenn es um den Passivhaus-Standard im Neubau ging, kritisiert - unter anderem auch (und wenig überraschend) von der IG Passivhaus. Auf Landes- und Gemeindeebene werde das Passivhaus schon viel mehr forciert, hieß es oft.

BIG baut für Ministerium

Nun baut die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in Niederösterreich das erste Passivhaus für eine Bundesbehörde - und dabei wird gleich nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt: "Mit 25.000 Quadratmetern Nutzfläche wird es das drittgrößte Passivhaus der Welt sein", freut sich Günter Lang, Sprecher der IG Passivhaus.

Die Fertigstellung ist für das vierte Quartal 2011 geplant. Für die diesjährigen "Tage des Passivhauses", die am Wochenende zum 7. Mal stattfinden (Infos siehe unten), geht sich also noch keine Besichtigung aus. Aber auch in den kommenden Jahren dürfte es nur einem eher kleineren Personenkreis vorbehalten bleiben, sämtliche Gebäudeteile von innen zu sehen: Schließlich wird das Objekt ein Justizzentrum samt Gefängnis. "Der Ausdruck 'Gesiebte Luft' erhält dadurch eine ganz neue Bedeutung", bemerkt Lang.

255 Passivhaus-Haftplätze

Das Justizzentrum Korneuburg läuft im Justizministerium unter dem Schlagwort "Pilotprojekt". Um 77 Millionen Euro soll hier ein Niedrigenergie-Bau mit Passivhaus-Elementen realisiert werden. Die Dämmstärke beträgt bis zu 36 Zentimeter, geheizt wird zur Hälfte über Erdwärmepumpe und Gasbrennwertkessel. Zusätzlich soll eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Vorkonditionierung der Frischluft über Sole-Wärmetauscher für behagliches Raumklima sorgen.

Das Gerichtsgebäude (12.300 m² Nutzfläche), das ein Landes- und Bezirksgericht sowie die Staatsanwaltschaft beherbergen wird, und die Justizanstalt (13.200 m², 255 Haftplätze) werden zwar baulich klar voneinander getrennt. Eine unterirdische Verbindung der beiden Baukörper wird es dennoch geben, sie dient zur Vorführung von Häftlingen in den Gerichtsbereich ebenso wie der Erreichbarkeit der Vernehmungs- und Besuchszonen der Justizanstalt vom Gericht aus. Geplant wurde das Justizzentrum von der ARGE Dieter Mathoi Architekten (Dieter Mathoi, Axel Birnbaum) & Architekturwerkstatt din a4 (Conrad Messner, Markus Prackwieser, Othmar Zobl).

Laut Ausschreibung war kein Passivhaus-Standard gefordert - dennoch hat man sich im Justizministerium dazu entschieden. In der BIG gibt man sich diesbezüglich sehr flexibel: "Wir streben bei unseren Projekten tendenziell keine 'Standards' nach streng vorgegebenen Richtlinien externer (privater) Organisationen oder Vereinigungen an", erklärt Sprecher Ernst Eichinger. Hintergrund: "Uns ist die Kombination von möglichst niedrigem (Gesamt)-Energieverbrauch, architektonischer Qualität, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und 'Wohlfühl-Faktor' für den Nutzer wichtig." Der Wohlfühlfaktor möge zwar "bei einem Gefängnis auf den ersten Blick nicht das große Problem sein. Aber dort ist wie in jedem anderen Projekt das Ziel, nach Fertigstellung zufriedene Nutzer zu haben", so Eichinger.

In der BIG halte man es im Übrigen für "grundfalsch", wenn bei Zertifizierungen - also der Einstufung eines Gebäudes in Passivhaus, Niedrigenergiehaus, etc. - nur der Heizwärmebedarf herangezogen wird. "Der Erfolg liegt eindeutig in der gesamten Energiebilanz über das Jahr gerechnet. Alleine die Kühlung ist bei so manchem Büroturm wohlwollend gerechnet das Dreifache vom Heizbedarf", so Eichinger.

Passivhaus weiter auf dem Vormarsch

Ob nun also bereits zertifiziert oder nicht: Das Justizzentrum Korneuburg gilt schon jetzt als Passivhaus, und deren Anzahl steigt in Österreich von Jahr zu Jahr. Aktuell stehen rund 8.500 Passivhäuser mit 15.000 Wohneinheiten in Österreich, und die Entwicklung dürfte weiterhin steil nach oben gehen (siehe Grafik). Jeder vierte Neubau wird bereits in diesem Baustandard errichtet. Besonders weit ist man - beinahe muss man schon sagen: traditionell - in Vorarlberg: Im westlichsten Bundesland werden heuer schon 60 Prozent aller neuen Wohneinheiten im Passivhausstandard gebaut.

Ebenfalls im Westen, allerdings in Tirol, stehen auch die beiden weltweit größten Passivhäuser: die Wohnanlagen "Olympisches Dorf" (siehe dazu Artikel "Eishockey in der Badewanne") und "Lodenareal", beide in Innsbruck . Das weltweit größte Stadtviertel in Passivhaus-Bauweise entsteht wiederum in Wien, wo am "Eurogate" im 3. Bezirk gerade die ersten 800 von rund 2000 Wohnungen errichtet werden.

"Passive Houses for Active Students"

Wien ist gemeinsam mit Frankfurt auch weltweit die führende Metropole, was das Passivhaus betrifft. Günther Jedliczka, Leiter der ÖAD Wohnraumverwaltungs GmbH des Österreichischen Austauschdienstes (ÖAD), baut unter dem Motto "Passive Houses for Active Students" bereits das fünfte Studentenheim im Passivhaus-Standard und plant im nächsten Jahr eine "Summer School" zum energieeffizienten Bauen, "damit sich Wien als internationale Plattform noch mehr etablieren kann", wie er erklärt. Besichtigt werden können am Wochenende die beiden ÖAD-Häuser in der Molkereistraße (2. Bezirk) und in der Kandlgasse (7. Bezirk).

Die Skepsis der Bundesimmobiliengesellschaft, was die Klassifizierung in Baustandards betrifft, teilt man in der IG Passivhaus naturgemäß nicht. "Die Hälfte der gebauten Passivhäuser reduziert nicht nur massiv den Heizwärmeverbrauch, sondern deckt auch großteils den Warmwasserbedarf durch Solarenergie. Beim Haushaltsstrom wird ebenfalls sehr auf den möglichst sorgsamen Umgang und den Einsatz der jeweils energieeffizientesten Haushaltsgeräte und Beleuchtungen großer Wert gelegt", meint IG-Sprecher Lang. Dies führe neben dem geringsten Heizwärmebedarf auch zu dem geringsten Endenergie- und Primärenergieverbrauch, "und damit hat das Passivhaus einmal mehr bewiesen, dass es im Gebäudesektor der nachhaltigste Baustandard für die Energiewende ist, und zudem auf das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis verweisen kann".

"Altbausanierung attraktivieren"

Jeder Neubau könne heute in Passivhaus-Standard errichtet werden, so Lang weiter. Und auch in der Altbau-Sanierung könne schon sehr oft das Passivhaus-Konzept umgesetzt werden. Einige Passivhaus-Dachausbauten können am Wochenende ebenfalls besichtigt werden, genauso wie das "weltweit erste Null-Energie-Bilanz-Hotel" in Passivhausstandard, das sanierte "Boutiquehotel Stadthalle", das sich im 15. Wiener Gemeindebezirk befindet.

Johannes Kislinger, Vorstand der IG Passivhaus, fordert in diesem Zusammenhang von der Politik, dass die Altbausanierung "künftig mindestens so attraktiv wird wie die Neubauförderung". Auch das Geld für die thermische Sanierung, also der nun wieder ins Leben gerufene "Sanierungsscheck" der Bundesregierung, solle gezielter eingesetzt werden, findet auch Lang.

Sanierungen werden teurer, Förderungen gekürzt

Eines ist unter Experten unbestritten: Durch die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie wird es zu Mehrkosten in der Sanierung kommen - das erwartet man laut Eichinger auch in der BIG. Wo aber das Geld dafür herkommen soll, das fragt sich unter anderem auch der Geschäftsführer des Österreichischen Verbands der Immobilientreuhänder (ÖVI), Anton Holzapfel - "noch dazu, wenn die Förderungen, wie gerade in Wien, massiv gekürzt werden".

Den in der EU-Richtlinie genannten "Niedrigstenergiestandard" findet Holzapfel im Übrigen für "sehr ehrgeizig". Seiner Ansicht nach wäre es wichtiger, mehr Augenmerk auf die Sanierungen zu legen. Denn wenn man bei einem Bestandsbau den Heizwärmebedarf von 150 KWh/m²/Jahr auf 80 herunterbringt, dann sei dadurch mehr gewonnen, als wenn man ein Passivhaus mit 15 kWh auf die grüne Wiese setzt. Den Passivhaus-Standard werde man, so Holzapfel weiter, im Bestand in den meisten Fällen ohnehin nicht erreichen.

Umsetzung bis Juni 2012

Die jüngste EU-Richtlinie trat am 18. Juni mit der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft, innerhalb von zwei Jahren, also bis 18. Juni 2012, muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang fordert der ÖVI, und zwar konkret "aus den Erfahrungen mit der Umsetzung der Gebäuderichtlinie 2002 heraus", dass die Richtlinie "dringend in allen österreichischen Bundesländern einheitlich umgesetzt wird". Allerdings hegt Holzapfel selbst wenig Hoffnung, dass das auch tatsächlich so passieren wird. "Wenn man sich etwa ansieht, wie im Zusammenhang mit dem Budget derzeit über Themen wie Bildung und Spitäler diskutiert wird, erscheint das als völlig irreal", sagt er gegenüber derStandard.at.

Derzeit werden im Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) zwar gerade jene Richtlinien überarbeitet, die in den Ländern als Basis für die Umsetzung gelten - diese anzuerkennen, darauf haben sich die Länder bereits im Zuge der Umsetzung der 2002er-Richtlinie verständigt. Weil das aber auf freiwilliger Basis passiert, "wird es wohl wieder so sein, dass sich manche Bundesländer mehr an diese Vorgaben halten, andere weniger".

Das "Kompetenzdickicht von Bund und Ländern", das Holzapfel schon vor einem Jahr kritisierte, wird dadurch wohl nicht durchsichtiger. Weiterhin fordert der ÖVI, dass die Bauordnungen vereinheitlicht werden, und andererseits die zivilrechtlichen Komponenten (etwa in Sachen Energieausweis), für die der Bund zuständig ist, besser mit den Landes-Bauordnungen abgestimmt werden.  (Martin Putschögl, derStandard.at, 11.11.2010)