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Passt bestens: Am 1. Jänner 2011 soll das Erwin-Schrödinger-Institut zusperren. Vier Tage später gibt es dann den 50. Todestag des Nobelpreisträgers zu feiern.

Foto: Archiv

Es ist im Gegensatz zu allen anderen betroffenen Einrichtungen ein naturwissenschaftliches Forschungsinstitut. Und es ist erst 2008 international evaluiert und für höchst erfolgreich und effizient befunden worden.

Nach der Ankündigung von Bundesministerin Karl, dem Institut 2011 die Basisfinanzierung abzudrehen, sind zahlreiche Briefe von Topforschern aus der ganzen Welt am Minoritenplatz eingegangen, unter ihnen Fields-Medaillen-Gewinner und Nobelpreisträger: Es kommt fürwahr nicht alle Tage vor, dass eine forschungspolitische Entscheidung in Österreich für so viel internationale Zustimmung und Beifall sorgt.

Etliche dieser Schreiben liegen dem STANDARD exklusiv vor. Im Folgenden sind die wichtigsten acht Argumente aus diesen Briefen zusammengefasst und mit einschlägigen Zitaten belegt.

1. Mangelnde Qualität des ESI und unzureichende internationale Reputation

Das Hauptargument in den meisten der Dutzenden Briefe, dennoch nur ein paar Zitate stellvertretend:

"The ESI has an extremely high international reputation and it would be very short sighted to destroy this most distinguished centre."
Ari Leptev, President of The European Mathematical Society, Professor at the Imperial College, London

"ESI is one of the most important mathematical centers in the world and, over the years, has been extremely successful in attracting the best international experts, thus helping to put Vienna on the world map of Mathematics and Theoretical Physics."
Marcelo Viana, Directing Board of the Brazilian Mathematical Society

"The Erwin Schroedinger Institute is the most prestigious of Austrian Institutions in mathematics which has promoted the international image of the Austrian Science in the course of the last two decades."
Prof. Dr. Mikhail Gromov, Institut des Hautes Études Scientifiques

Dieses Problem der mangelnden Qualität hat übrigens auch schon Wissenschaftsministerin Karl vor Monaten angeschnitten. In einer Pressemitteilung vom 27. Juli 2010 ließ sie nach einem Besuch am ESI verlauten: "Das Erwin-Schrödinger-Institut ist auf dem Gebiet der mathematischen Physik und Mathematik weltweit führend und wurde für Wissenschafter und Forscher aus der ganzen Welt zu einer wichtigen Forschungs- aber auch Begegnungsstätte.“

2. Ungünstige Kosten-Nutzen-Relation und Ineffizienz

"The Erwin-Schrödinger-Institute is one of the world’s leading research institutes in mathematics and theoretical physics, with an efficiency in terms of cost that is unequalled elsewhere in the world."
Peter Goddard, Director, Institute for Advanced Study Princeton gemeinsam mit den vier weiteren internationalen Evaluatoren des ESI

"It is almost impossible to believe that one of the most successful, cost-effective scientific enterprises is to be terminated."
Elliott Lieb, Professor of Mathematics and Physics, Princeton University

"Das ESI hat sich trotz eines im internationalen Vergleich sehr kleinen Budgets in der ersten Reihe dieser Institute etablieren können."
Prof. Dr. Wolfgang Hackbusch, Prof. Dr. Jürgen Jost, Prof. Dr. Felix Otto, Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften, Leipzig

3. Schlechte internationale Vorbildwirkung

"Es erscheint als sehr sonderbar, dass zu einer Zeit, in der etwa China gleich mehrere Institute nach ESI-Muster aufgebaut werden, in Europa nicht einmal mehr die zur Fortführung einer vergleichsweise kleinen Forschungseinrichtung wie des ESI erforderlichen, relativ bescheidenen Mittel zur Verfügung stehen."
Dr. Mandred Karbe, European Mathematical Society Publishing House, ETH Zürich

"It seems like nonsense to terminate the ESI activity while in other parts of the world, particularly in Rome, we are devoting a great deal of your energy to create scientific institutions based on the ESI model."
Prof. Dr. Roberto Longo, University of Rome Tor Vergata

"Das ESI wurde zum Modell und Vorbild für ähnliche Forschungseinrichtungen in anderen Ländern. Die Einstellung seiner Aktivitäten würde einen unersetzlichen Verlust für die Mathematik und Physik weltweit bedeuten."
Prof. Dr. Karl-Henning Rehren, Uni Göttingen

"While recently leading a group of US researchers at a dozen universities in making plans for a large research network in mathematics, I immediately thought of the Schroedinger Institute as a model."
Evans M. Harris, Professor für Mathematik am Georgia Institute of Technology

4. Als Wirtschaftsfaktor völlig bedeutungslos

"Da sowohl die Mathematik als auch die Physik zu den Grundpfeilern unserer wissenschafts- und technik-geprägten Welt gehören, werden negative Folgen auch in der technischen Innovationskraft Ihres (und meines) Landes und seiner Wirtschaft zu beobachten sein."
Prof. Dr. Jürg Fröhlich, ETH Zürich

"In China several new independent mathematical institutes of this sort are now being constructed. That government there regards ideas from science as the key to future success, and mathematics and theoretical physics play a central role in that plan."
Arthur Jaffe, Landon T. Clay Professor of Mathematics and Theoretical Science, Harvard University

5. Unnötig für den Wissenschaftsnachwuchs

"Among its various functions the ESI is what is known as a 'post doc slave market' and a very good one. Benefits of such institutions work both ways: Post-docs spend time there and glean research experience under scientific supervision, and Austrian Science gets relatively cheap scientific contact with researchers in the rest of the world."
Prof. Dr. Jon Aaronson, Tel Aviv University

"Das ESI stellt ein unverzichtbares 'Kontaktzentrum' dar, bei dem österreichische ForscherInnen mit weitweit führenden KollegInnen zusammenarbeiten können. Gerade für unsere jungen WissenschaftlerInnen ist diese Form der Kooperation unverzichtbar."
Univ.Prof. Dr. Robert Tichy, TU Graz

6. Keine internationale Vernetzung

"It is mainly through the ESI that Austria manages to attract the best scientists from all over the world to gather together and bring their knowledge and expertise to Austria."
Prof. Dr. Emanuel Breuillard, Université Paris 11

"Thanks to the ESI, Vienna has become the primary meeting place where mathematicians from Paris, Bonn, Zagreb can periodically exchange ideas with their counterparts from Toronto, Los Angeles and Tokyo."
Prof. Dr. Michael Harris, Université Paris-Diderot Paris 7

"Das ESI ist für die Mathematik und theoretische Physik in Österreich ein Fenster zur Welt. Wird es geschlossen, so zieht wieder mehr wissenschaftliche Provinzialität in Österreich ein."
Prof. Dr. Jürg Fröhlich, ETH Zürich

7. Ungünstige Wirkung auf die Universität und Konkurrenz zu eben dieser

"Viele der hervorragenden internationalen Neubesetzungen im Bereich Physik/Mathematik waren nur möglich angesichts der Perspektiven, die das ESI als internationaler Umschlagplatz von Ideen eröffnet. (Drei der Unterzeichner verhehlen nicht, dass dies ein wesentlicher Grund gewesen ist, das Angebot aus Wien überhaupt anzunehmen.)"
Goulnara Arzhantseva (ERC Starting Grant 2010)
Adrian Constantin (ERC Advanced Grant 2010)
Ludmil Katzarkov (ERC Advanced Grant 2008)
Christian Krattenthaler (Wittgensteinpreis 2007)
Walter Schachermayer (Wittgensteinpreis 1998, ERC Advanced Grant 2009)

"ESI has become an irreplacable recruitment tool for universities in Vienna."
Alejandro Adem, Director, Pacific Institute for the Mathematical Sciences, Vancouver, und fünf kanadische Kollegen

8. Verderblicher Einfluss auf die Jugend und ihre Studienwahl

"Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ihrer Initiative zur Förderung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Anm. K.T.) ist es sicherlich zu verdanken, dass das Ansehen und Interesse an Mathematik und Physik in Österreich gestiegen sind (...) Wir sehen in einer Beendigung der finanziellen Unterstützung des ESI ein Abgehen von Ihrer bisherigen Politik, die MINT-Fächer zu fördern."
Univ.Prof. Dr. Dietmat Dorninger, Dekan der Fakultät für Mathematik und Geoinformation der TU Wien

Nicht gewürdigt wird in den Briefen allerdings die weitsichtige Planung des ESI-FInanzierungsstopps mit Jahresbeginn 2011. Der fällt nämlich fast auf den Tag genau auf den 50. Todestag von Erwin Schrödinger, der am 4. Jänner 1961 starb. Das ist doch eine wunderbare Koinzidenz, ja richtiggehend ein PR-Coup, dass Anfang 2011 die Wissenschaft weltweit Schrödingers gedenken wird – und Österreich fast zeitgleich die Abwicklung des nach ihm benannten Instituts vermelden kann!