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Mit den vielen nanokleinen Härchen an den Füßen kann der Gecko über Mauern und Decken laufen. Für den medizinischen Einsatz werden diese Haftprinzipien mit den Klebeproteinen von Muscheln kombiniert.

Foto: REUTERS/Jonathan Searle

Bionik nennt sich dieser Forschungsbereich, über den Experten kürzlich in Wien diskutierten.

In Streitgesprächen möchte man seinem Gegenüber mitunter gern den Mund verkleben. Eine Verteidigungsfantasie, die im Tierreich von einer speziellen Salamanderart als reale Überlebensstrategie praktiziert wird. Diese in Nordamerika und Asien lebenden Amphibien verteidigen sich gegen ihre gefährlichsten Feinde, die Schlangen, unter anderem durch das Ausscheiden eines klebrigen Sekrets. Der Schleim verklebt der Schlange das Maul. Da er schnell extrem fest wird und äußerst beständig ist, kann sie dieses auch nicht mehr schließen und nicht mehr zubeißen. Die Schlange stirbt, ihr Opfer kann flüchten.

Einsatz in der Industrie

Ein bizarres Phänomen, das der Biologe Janek von Byern in einem beim Wissenschaftsfonds beantragten Projekt genauer untersuchen möchte. Sein Ziel ist es, biologische Klebstoffe nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. Dies ist deshalb so wichtig, weil "die meisten Klebstoffe, die derzeit in Medizin oder Industrie eingesetzt werden, synthetisch sind und größtenteils aus gesundheitsschädlichen und nicht abbaubaren Substanzen bestehen" , sagt der Wissenschafter vom Zentrum für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung an der Uni Wien.

Neben dem Salamander konzentrieren sich Janek von Byern und sein Kollege Norbert Cyran auf ihrer Suche nach ungiftigen Klebstoffalternativen auch auf eine winzige Tintenfischart – den vor den Küsten Thailands vorkommenden Idiosepius.

Dieser kaum zwei Zentimeter kleine Meeresbewohner nutzt einen selbstproduzierten Klebstoff, um sich zur Tarnung unter Algen oder Seegras anzukleben. "Ebenso wie beim Salamander gehen wir hier vor allem der Frage nach, wie der Klebstoff gebildet und nach außen abgegeben wird und wie die Drüsenstruktur aussieht" , erläutern die Wissenschafter.

Im nächsten Schritt wird dann mit biochemischen Methoden die Klebstoffzusammensetzung untersucht. "Erst dann können wir uns überlegen, wie ein nach diesen Prinzipien entwickelter biologischer Klebstoff sinnvoll eingesetzt werden könnte."

Bionik (auch Biomimetik oder Biomimikry) als gezieltes Abschauen von der Natur, als Entschlüsselung ihrer "Erfindungen" und deren technische Umsetzung, ist heute ein boomender Forschungszweig. Da die Natur zum Teil Jahrmillionen zur Vervollkommnung ihrer ausgefeilten Technologien brauchte, verwundert es nicht, dass sich auch die wissenschaftlichen "Kopisten" mit Geduld wappnen müssen.

Lange Entwicklungsdauer

"Bis man die neuen Klebstoffe nach unseren tierischen und pflanzlichen Vorbildern anwenden kann, wird es sicher noch zehn, 15 Jahre dauern" , dämpft von Byern allzu ungeduldige Erwartungen. Und wo sollen die biologischen Superkleber zum Einsatz kommen? "Es ist vor allem der medizinische Bereich, in dem diese ungiftigen Klebstoffe dringend gebraucht werden" , sagt Norbert Cyran. "Beispielsweise zum Verkleben von Wunden oder zum Befestigen von Prothesen, die sich bei Bedarf wieder ablösen lassen."

Um den aktuellen Wissensstand über die erstaunlichen Hafttricks von Tieren und Pflanzen sowie deren Umsetzung in neue Produkte zu diskutieren, trafen einander kürzlich Experten des neu gegründeten europäischen Bionik-Netzwerks "Biological Adhesives" im Wiener Tiergarten Schönbrunn. Da das Verkehrsministerium einen Bionik-Schwerpunkt im Forschungsprogramm hat, übernahm es die Schirmherrschaft. Die dabei vorgestellten Forschungsprojekte befassen sich zum einen mit physikalischen Haftprinzipien, wie sie etwa beim Gecko wirksam werden: Dank seiner vielen nanokleinen Härchen an den Füßen sind die Tiere in der Lage, bequem über Mauern und Decken zu laufen.

"Klebemethoden nach diesem Vorbild werden derzeit in der Technik angewandt" , sagt von Byern. "Etwa bei Haftstrukturen für Roboter." Der zweite Weg zum Bioklebstoff führt über die Analyse chemischer Systeme in der Natur und zielt vor allem auf medizinische Anwendungen ab. Das Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und klinische Traumatologie unter der Leitung von Heinz Redl befasst sich mit dem körpereigenen Gewebekleber Fibrin. Der großteils aus menschlichem Blutplasma gewonnene Klebstoff eignet sich besonders zum Verbinden sehr empfindlicher Gewebe wie etwa von Wundrändern innerer Organe nach Verletzungen oder Operationen.

Gut verträglich, abbaubar

"Fibrin ist seit über 30 Jahren der unübertroffene Gewebekleber in der Medizin. Als einziger klinisch eingesetzter biologischer Klebstoff ist er gut verträglich, vom Körper abbaubar und hat überdies heilende Wirkung" , sagt Redl. "Unsere derzeitigen Forschungen gehen sogar noch über diese Anwendungen hinaus und optimieren Fibrinprodukte für den Einsatz in der Geweberegeneration." Neu im Einsatz ist ein Bio-Kleber, dessen Entwickler sich sowohl die Nanostruktur der Geckofüßchen als auch die Klebeproteine von Muscheln zum Vorbild nahmen und beide Prinzipien kombinierten. "Geckel" soll extrem haftfest sein und auch unter feuchten Bedingungen kleben.

Amerikanische Forscher haben schon vor Jahren eine Art Muschelkleber entwickelt, mit dem Wunden verklebt statt genäht werden können. Eine Erfindung, die den Forschungsboom im Feld der Bioklebstoffe mit ausgelöst hat. "Zwar ist die Produktpalette von Bioklebern auf chemischer Basis schon jetzt recht groß" , erklärt von Byern, "von vielen weiß man jedoch noch nicht, wie gut sie tatsächlich kleben." Bis zur breiten Anwendung ist es ein langer Weg. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)