Der Sparefroh ist das neue Maskottchen der Wirtschaftspolitik. Doch die Budgetsanierung wird erschwert, wenn Regierungen Glaubwürdigkeitsprobleme haben.

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Nach der Wirtschaftskrise fordern immer mehr Politiker und Ökonomen vehement Sparpakete ein. Die Wirtschaftsforscher sind sich einig, dass viele Staaten Konsolidierungsbedarf haben. Doch sie sind sich uneins, wie stark und in welchen Bereichen gespart werden soll. Wirtschaftsforscher der OECD bringen auf den Punkt, dass es "eine Konsolidierung nach dem Schema F nicht geben kann" . Ein Team um die Ökonomin Stéphanie Guichard hat 85 Phasen untersucht, in denen Industriestaaten Sparpakete umgesetzt haben, und untersucht, wann sie von Erfolg gekrönt waren. Doch die kommenden Konsolidierungen wären viel größer, so Guichard. Die größte Befürchtung ist daher, dass das Wirtschaftswachstum durch die Sparpolitik abgewürgt wird. Wirtschaftsforschungsinstitute in Österreich und Deutschland rechnen mit der Abkühlung des Wachstums auf niedrigem Niveau. Für viele Ökonomen sind die großen Einsparbemühungen, die die Staatsschulden wieder reduzieren sollen, eine Wachstumsbremse.

Geht es nach John Maynard Keynes, ist die Sache klar. Auf den wohl bekanntesten Ökonomen der Welt beruft sich heute eine Vielzahl der Kritiker der globalen Konsolidierungsbemühungen. Die Wirtschaft wachse noch zu schwach, um sich Sorgen über die Schulden zu machen. Denn nachhaltig sparen könnten Staaten ohnedies nur, wenn das Wachstum höher ist. Nobelpreisträger Paul Krugman warnt etwa immer wieder davor, dass die Sparbemühungen zu einer Unzeit kommen: "Die Ausgaben zu kürzen, während die Volkswirtschaft noch in einer tiefen Krise steckt, ist sowohl ein extrem kostenreicher wie auch ziemlich ineffizienter Weg, die zukünftigen Schulden zu reduzieren. Kostenreich, weil es die Volkswirtschaft tiefer in die Krise schlittern lässt, ineffizient, weil damit auch die Steuereinnahmen reduziert werden."

Die Welt nach Keynes

Doch für Ökonomen wie Alberto Alesina, Professor für Politische Ökonomie an der Harvard University, beschreibt Krugman nur einen Spar-GAU. Tatsächlich könnte nämlich eine gut geschnürtes Sparpaket "nichtkeynesianische" Effekte haben. Das bedeutet: Obwohl der Staat spart und damit seine Nachfrage nach Gütern senkt, ist das Gesamtwachstum in der Volkswirtschaft kaum beeinträchtigt. Im Gegenteil: Es sei sogar möglich, langfristiges wie auch kurzfristiges Wachstum zu erhöhen, indem gespart wird.

Ökonomen wie Alesina begründen ihren Sparoptimismus für Europa mit einigen Episoden der Vergangenheit, insbesondere der großen Sparpakete in Irland, Schweden und Dänemark in den 1980er-Jahren. Damals standen die europäischen Länder vor einem Schuldenhaufen. Sie schnürten in der Folge sehr straffe Sparpakete, doch die Wirtschaft wurde dadurch nicht abgewürgt. Im Gegenteil: Die Sparmaßnahmen wurden von höherem Wachstum begleitet.

Ökonomen haben den Erfolg dieser Budgetkonsolidierung intensiv untersucht. So kommen viele Studien zum Ergebnis, dass eine Sanierung dann erfolgreicher ist, wenn die Ausgaben gekürzt, nicht aber die Einnahmen über neue Steuern erhöht werden. Zudem zeigt die Vergangenheit auch, dass Konsolidierungen oft dann erfolgreich sind, wenn sie mutig sind, also besonders schnell und stark konsolidiert wird. Ökonomen erklären das über den Vertrauenseffekt. Ist ein Staatshaushalt erstmals in einer offensichtlichen Schieflage, befürwortet die Bevölkerung Einsparungen. Mehr noch, ein Sparpaket würde sie optimistischer stimmen und damit den privaten Konsum ankurbeln.

Effizienz- und Strukturreform

In eine ähnliche Kerbe schlägt Olivier Blanchard, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Er hat vor kurzem die Wirtschaftspolitiker angehalten, bei Budgetkonsolidierungen auf "zehn Gebote" zu achten. Das oberste Gebot sei dabei, einen "glaubwürdigen, mittelfristigen Budgetplan" zu haben. Tatsächlich seien die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung ein wichtiger Teil einer erfolgreichen Konsolidierung, bestätigt auch Professor Giacomo Corneo, Institutsvorstand für Öffentliche Wirtschaft an der Freien Universität Berlin. Doch er schränkt die wissenschaftlichen Ergebnisse etwas ein. Es gebe nur wenige vergleichbare Episoden von Konsolidierungen, wie sie etwa heute nötig seien; "mit Schlussfolgerungen und Lehren muss man daher vorsichtig sein" .

Stattdessen plädiert Corneo für einen theoretisch fundierten Umgang mit Konsolidierungen. Staaten müssten die großen "Effizienzreserven" nutzen, was bisher durch Gesetze oder Bürokratie verhindert wird.

Konsolidieren in einer Krise

Karl Aiginger und Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) haben in einer Studie zehn Faktoren identifiziert, wann eine Konsolidierung in der aktuellen Wirtschaftslage Erfolg haben kann. Die Ergebnisse vergangener Studien könnten dabei zu positiv sein. Denn wenn viele Staaten gleichzeitig sparen wie heute nach der Krise, drückt das die Wachstumsmöglichkeiten zusätzlich. Doch die Wifo-Ökonomen betonen, dass man deswegen nicht vor Reformen zurückschrecken darf.

Eine Konsolidierung muss umso cleverer sein. Deshalb sollte die Regierung eine aktive Strategie verfolgen, so die Wifo-Ökonomen. Das würde bedeuten, den Wachstumspfad (siehe Kasten links) aktiv zu erhöhen, mit "Forschung, Bildung, aber auch der Qualifikation der Arbeitskräfte sowie der Förderung von Energieeffizienz und alternativen Energien" . Die negativen Effekte einer Sparpolitik könnten für Schratzenstaller und Aiginger damit beseitigt werden, dass diese "aktive" Politik verfolgt wird. (Lukas Sustala/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)

=> Wissen: Das Potenzial einer Wirtschaft

Wissen:Das Potenzial einer Wirtschaft

Das Potenzialwachstum ist ein abstraktes Konzept. Es beschreibt den möglichen Wachstumspfad einer Volkswirtschaft bei "normaler Auslastung" , also ohne dass über den Kapazitäten produziert wird. Ökonomen konzentrieren sich dabei auf die Ausstattung einer Volkswirtschaft mit Arbeitskräften und dem Know-How auf der einen Seite, Kapital und Investitionen, die in einer Wirtschaft getätigt werden, auf der anderen Seite.

Der Sachverständigenrat der deutschen Wirtschaft hat in einer umfassenden Studie mehrere Faktoren für das mittelfristige Wachstum in Deutschland identifiziert. Für die Wirtschaftsweisen sind es langfristig das Bildungsniveau der Bevölkerung sowie die Innovationskraft einer Volkswirtschaft, die entscheidend auf das Wachstum einer Volkswirtschaft wirken.

Dabei ist es für Ökonomen schwierig, die Rolle von Forschung und Bildung für das Wirtschaftswachstum zu quantifizieren. Doch Studien, die regelmäßig von internationalen Organisation wie dem Internationalen Währungsfonds durchgeführt werden, zeigen, dass diese Faktoren für entwickelte Volkswirtschaften langfristig entscheidend sind. (sulu)