ModeratorIn: Wir begrüßen sehr herzlich Manfred Nowak im derStandard.at-Chat. Er wird heute über seine Tätigkeit als UN-Sonderberichterstatter für Folter berichten.

Manfred Nowak: Willkommen beim Chat.

schielenderloewe: Herr Nowak. Was war Ihr frustrierendstes, was Ihr erfreulichstes Erlebnis im Rahmen Ihrer Aufgabe?

Manfred Nowak: Mein frustrierendstes Erlebnis war Simbabwe, wo mir erst bei meinem Zwischenaufenthalt in Johannesburg mitgeteilt wurde, dass Präsident Mugabe mich nicht mehr in sein Land einreisen lassen wollte. Obwohl ich die ausdrückliche Einladung von Premierminister Tsvangirai weiterhin hatte, wurde ich am Flughafen in Harare eine Nacht lang festgehalten und mit dem ersten Morgenflug nach Johannesburg zurückgeschickt. Vor allem die Zivilgesellschaft in Simbabwe hatte große Erwartungen in meinen Besuch gesetzt, die ich leider enttäuschen musste. Eines meiner erfreulichsten Erlebnisse war die Einladung nach Uruguay, wo mich die Regierung ausdrücklich aufgefordert hat so kritisch wie möglich zu untersuchen und mir auch keinerlei Prügel in den Weg gelegt hat. Trotzdem waren die Haftbedingungen fürchterlich, sodass ich der Regierung sogar empfehlen musste einige Teile von Gefängnissen unverzüglich zu schließen. Innerhalb von 3 Tagen hat der Präsident Uruguays diese Empfehlung durch eine Weisung umgesetzt und auch heute noch bin ich im engen Kontakt mit der Regierung, da sie wirklich bemüht ist meine Ratschläge ernst zu nehmen.

ModeratorIn: Sie waren sechs Jahre lang Sonderberichterstatter für Folter. Was hat sich in den sechs Jahren geändert, in denen ja auch die EU ständig für Menschenrechte eingestanden ist? Wird weniger gefoltert? UserInnenfrage per Mail: Sie waren sechs Jahre lang

Manfred Nowak: Als ich das Mandat im Dezember 2004 übernommen habe, war der "Krieg gegen den Terror" der Bush-Regierung auf seinem Höhepunkt. Bilder über Folterungen durch US-Soldaten in Abu Ghraib gingen um die Welt. Die Bush Regierung hat alles versucht um das absolute Verbot der Folter auszuhöhlen und manche europäische Regierungen haben sich bei der Politik der Folter und eines Spinnennetzes von Geheimgefängnissen mitschuldig gemacht. Diese Politik hat sich unter Präsident Obama grundsätzlich geändert, auch wenn er nach wie vor nicht dazu bereit ist die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen unter der Bush-Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Im Rahmen des Kampfes gegen den Terror wird heute sicher weniger gefoltert als vor 6 Jahren. Doch die alltägliche Folter von einfachen Menschen die einer normalen Straftat verdächtig sind und zur Erzwingung eines Geständnisses geschlagen oder sonst wie misshandelt werden, hat sich fürchte ich nicht grundlegend verändert.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Wird unter Obama tatsächlich nicht mehr gefoltert?

Manfred Nowak: Ich habe seit der Machtübernahme durch Barack Obama keine stichhaltigen Vorwürfe über Folterungen durch US-Organe erhalten. Allerdings zeigen gerade die jüngsten Veröffentlichungen von Wikileaks, dass die irakischen Sicherheitsbehörden systematisch foltern und dass die US-Behörden im vollen Bewusstsein dieses Risikos Menschen in US-Haft an die irakischen Sicherheitsbehörden übergeben. Dadurch macht sich auch die Obama-Regierung mitschuldig an Folterungen.

Zinssklave #4206923: Guten Tag Herr Nowak! Was halten Sie persönlich von whistleblower Organisationen wie wikileaks, die (teilweise auf halb- bzw. illegalem Weg beschaffte) Dokumente veröffentlichen, die massive Menschenrechtsverstöße dokumentieren. Haben Organisationen

Manfred Nowak: Oft bedarf es leider solcher Methoden um die Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen die von den Regierungen bewusst geheim gehalten werden, ans Tageslicht zu bringen. Es wäre schon längst eine Verantwortung der Obama-Regierung gewesen, eine unabhängige Untersuchung über die schweren Menschenrechtsverletzungen unter der Bush-Regierung einzuleiten und auch bisher geheim gehaltene Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da dies nicht geschehen ist, freue ich mich über Initiativen wie Wikileaks. Ich glaube, dass diese meine persönliche Meinung von all jenen innerhalb der UNO geteilt wird, die ehrlich an der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen interessiert sind.

GreX78: Warum kommt Bush einfach mit allem davon, er darf sogar Leute "waterboarden" lassen? Das muss eine Bestätigung für die "Terroristen" sein weiter zu machen...

Manfred Nowak: Präsident Obama hat viel verändert, aber es leider verabsäumt die unter der Bush-Regierung begangenen Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er ist sehr an einem Konsens mit den Republikanern interessiert, obwohl diese bisher ihm das Leben so schwer als nur möglich gemacht haben. Das ehrt ihn, aber es führt auch leider dazu, dass Politiker wie Bush, Cheney, Gonzales oder Rumsfeld nicht zur Verantwortung gezogen werden.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Mich wundert, dass Regierungen, die systematisch foltern, überhaupt einen Sonderberichterstatter ins Land lassen. Mich wundert, dass Regierungen, die systematisch foltern, überhaupt einen Sonderberichterstatter ins Land las

Manfred Nowak: Das hat unterschiedliche Ursachen. Manche Regierungen wie beispielsweise jene von Äquatorialguinea oder Sri Lanka haben mich primär eingeladen um nach außen ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der UNO zu dokumentieren und dadurch ihr menschenrechtliches Image zu verbessern. Andere wie beispielsweise Nepal, Nigeria oder Uruguay waren ehrlich an einer objektiven Evaluierung der Situation von Folter und Haftbedingungen interessiert um durch die Umsetzung meiner Empfehlungen die Situation zu verbessern.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Wie merkt man, wenn man hinters Licht geführt wird? Haben Sie Beispiele?

Manfred Nowak: Kasachstan ist ein gutes Beispiel. Wenn ich beim Öffnen von frisch gestrichenen Zellentüren aufpassen muss um meine Kleidung nicht mit frischem Lack zu bekleckern, dann ist das meist ein Indiz, dass in letzter Minute die Zellen gereinigt und neu ausgemalt wurden. Im Frauengefängnis wurde mir von vielen Häftlingen bestätigt, dass sie 4 Tagen nicht in ihren Betten schlafen durften, weil die Gefängnisleitung ja nicht wusste wann ich kommen würde und die Bettwäsche frisch gebügelt und nicht beschmutzt sein sollte. Außerdem wurden die Häftlinge aufgefordert eine Party für mich zu organisieren und so zu tun, als würden jeden Tag Partys mit Tanzmusik und Lautsprechern feiern. In manchen Gefängnissen wurden Häftlingen in den Einzelzellen eine Stunde vor meinem Besuch entlassen, obwohl sie eigentlich zu einer einwöchigen Disziplinarstrafe verurteilt wurden und zu ihrer eigenen Überraschung plötzlich frei gelassen wurden. In fast allen Haftanstalten wurden die Häftlinge individuell instruiert was sie mir sagen oder nicht sagen sollten. Das macht mein unabhängiges fact finding äußerst schwierig, weil ich mich immer wieder durch eine Wand von Lügen hindurchfragen musste, bis die Häftlinge endlich sich trauten zuzugeben, dass sie vorher unter Druck gesetzt wurden. Wie diese Beispiele zeigen ist es aber trotzdem möglich durch geschicktes Fragen letztlich die Wahrheit herauszufinden.

dradiwabal: Herr Nowak. Wie sieht die Situation bezüglich Folter in Österreich aus. Können sie dazu etwas sagen?

Manfred Nowak: In den späten 1980er Jahren hat Amnesty International gesagt, dass Menschen in Polizeihaft (z.B. im Wiener Sicherheitsbüro) einem nicht unerheblichen Risiko von Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt waren. Diese Situation hat sich durch das Sicherheitspolizeigesetz, entsprechende Schulungen der Polizei und die Tätigekeit des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium bzw. seiner 6 Besuchskommissionen sicherlich verbessert. Andererseits hat der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit in diesen 20 Jahren leider stark zugenommen, so dass vor allem AfrikanerInnen auch heute noch einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sind, wie verschiedene Beispiele der letzten Jahre zeigen. Bekanntestes Beispiel ist die Folterung des Gambiers Bakary Jassey, der nur deshalb, weil er sich seiner zwangsweisen Abschiebung widersetzt hat (er hat eine österreichische Ehefrau und Kinder) von 4 Wiener Polizeibeamten in eine verlassene Lagerhalle im 2. Bezirk gebracht und dort so schwer misshandelt wurde, dass dies eindeutig nur als Folter qualifiziert werden kann. Da Österreich leider noch immer keinen eigenen Folterparagraphen im Strafgesetzbuch verankert hat (was eine Verletzung der UNO-Konvention gegen die Folter darstellt) und das Quälen von Gefangenen als bloßes Vergehen mit einer Höchststrafe von 2 Jahren bedroht ist, sind die schuldigen Beamten die die Tat bis zum Schluss geleugnet haben trotzdem mit einer bedingten Haftstrafe von 6 bzw. 8 Monaten davon gekommen. Dieser Fall zeigt, dass Folter leider auch in Österreich oft noch als eine Art "Kavaliersdelikt" gesehen wird. Bakary Jassey hat bis heute weder eine offizielle Entschuldigung noch eine finanzielle Entschädigung oder eine permanente Aufenthaltserlaubnis als Wiedergutmachung für seine erlittenen Leiden und Traumatisierungen erhalten.

rudi online: Wenn Sie jemanden verhören von dem Sie wisssen dass er Informationen besitzt die zur Verhinderung eines Anschlages sehr dienlich wären - würden Sie foltern, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden könnten?

Manfred Nowak: Nein.

tco99: Welchen Rat geben sie ihrem Nachfolger mit?

Manfred Nowak: Juan Mendez ist selbst Opfer von Folter während der argentinischen Militärjunta und einer der profiliertesten Menschenrechtsexperten der Welt, so dass er nicht wirklich auf meine Ratschläge angewiesen ist. Ich bin davon überzeugt, dass er dieses Mandat mit dem gleichen Engagement und im gleichen Sinne wie ich weiterführen wird. Wenn er neue Akzente setzen wird, die ich zu wenig bedacht habe, so freut mich das.

ModeratorIn: Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Nowak und danke den UserInnen für ihre Fragen.

Manfred Nowak: Ich danke allen UserInnen für ihr Interesse an der Bekämpfung von Folter.