Frühkindlicher Autismus ist ein Sammelbegriff für Menschen mit verschiedenen, oft schwer wiegenden Entwicklungsproblemen, die unbehandelt zu schwerer geistiger und sozialer Behinderung führt. Autismus ist häufig, 0,4-1,2 Prozent er Menschen sind betroffen.

Autismus ist zwar nicht heilbar, aber mit entsprechender Behandlung in den meisten Fällen sehr gut besserbar. In Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, gibt es aber für diese Kinder nicht die entsprechenden Therapieeinrichtungen. Verantwortlich ist die österreichische Gesundheitspolitik, die autistischen Kindern die notwendige Behandlung verwehrt.

Bei entsprechender Behandlung mit strukturierter Therapie (ABA oder TEACCH) über zwei bis drei Jahre können zwei Drittel dieser Kinder in das normale Schulsystem integriert werden. Die übrigen Kinder können zumindest so weit gebessert werden, dass sie nicht bei jeder kleinsten Kleinigkeit verzweifeln und sich im Sturm ihrer Gefühle nicht mehr auskennen - wie der jetzt von der Delogierung bedrohte Bub.

Warum bekommen autistische Kinder in Österreich nicht die notwendige Behandlung?

Eine kürzlich präsentierte Studie hat bestätigt, dass es für autistische Kinder in ganz Österreich keine auch nur annähernd dem internationalen Standard entsprechende Therapieeinrichtung für diese Kinder gibt - obwohl Österreich die UN- Behindertenkonvention und die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, nach der behinderte Menschen ein Recht auf eine dem internationalen Standard entsprechende Therapie haben; obwohl Nichttherapieren 20-mal teurer ist; und obwohl zwei Österreicher (Kanner und Asperger) schon in den 40erJahren des letzten Jahrhunderts die wesentlichen Probleme autistischer Kinder erforscht haben.

Weil die Krankenkassen Angst haben, "ihr" Geld für die notwendigen Therapien auszugeben, weil die Behinderteneinrichtungen, in denen dann die nicht behandelten Menschen geparkt und vor der Öffentlichkeit verborgen werden, aus einem anderen Topf finanziert werden, weil für österreichische Politiker langfristige Konzepte nicht wahlrelevant sind, weil kranke Kinder keine Lobby haben, weil die Eltern schuld sind, dass sie solche Kinder haben, weil wir das Geld lieber in schönere Projekte wie Autobahnen und Eisenbahntunnel stecken oder marode Banken stützen, weil es ja bisher auch so gegangen ist, und weil wir ohnehin das beste Gesundheitssystem der Welt haben, und weil die Gemeinde Wien ohnehin schauen wird, dass die Familie schon irgendwo unterkommt und weil dann eh alles in Ordnung ist.

Das Problem sind nicht die bösen Nachbarn, denen das Geschrei auf die Nerven geht, das Problem ist nicht die ohnehin unendlich bemühte Familie (warum kriegen "die" auch solche Kinder?), das Problem ist nicht Wiener Wohnen, das sich bemüht hat, das Problem sind Politiker, die jene verteufeln, die solche Missstände aufzeigen, die wegschauen, so lange es geht, die täglich von Bittstellern, die für ihre Sache kämpfen, belästigt werden, sodass sie den Überblick dafür verloren haben, was wirklich notwendig, was menschlich, gut und vernünftig ist, die ständig Angst haben, dass Krankenfürsorge und soziale Wohlfahrt missbraucht wird, und dass die im Gesundheitsbereich Tätigen, die ohnehin viel zu viel verdienen, nicht auf Kosten der Allgemeinheit zu reich werden.

Im konservativen Bundesstaat Kalifornien haben die konservativen Abgeordneten das Recht autistischer Kinder auf adäquate Behandlung durchgesetzt. Dort werden autistische Kinder nach allen Regeln der Kunst behandelt - weil diese Abgeordneten rechnen können und weil es sich Kalifornien nicht leisten kann, für die Folgen nicht adäquater Therapie ein Leben lang aufzukommen. (Sonja Gobara, Christian Norbert Popow, Reinhold Kerbl, Lilly Damm, DER STANDARD; Printausgabe, 8.11.2010)