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Osttimors Präsident José Ramos-Horta nahm in Wien an einem Nobelpreisträger-Treffen teil

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Standard: Der chinesische Dissident Liu Xiaobo hat den Friedensnobelpreis erhalten. Kann eine solche Auszeichnung etwas bewegen?

Ramos-Horta: Im Falle Chinas kann weder der Friedensnobelpreis noch internationaler Druck etwas bewirken. Die Chinesen kennen ihre Geschichte - eine, geprägt von Armut, Bürgerkrieg, Invasionen, Demütigungen. Ihnen sind Sicherheit und Stabilität wichtiger als das westliche Konzept von Freiheit und Demokratie. Materielle Fortschritte sind eine dringlichere Priorität, als fähig zu sein, das Regime zu kritisieren. Aber China hat sich ja schon verändert, auch politisch. Allerdings: In einigen Situationen hat der Friedensnobelpreis geholfen.

Standard: Sie meinen Ihren Fall.

Ramos-Horta: Ja, Osttimor. Der Preis hat internationale Aufmerksamkeit und mehr Druck auf Indonesien erzeugt. Aber wir hatten bereits eine starke Widerstandsbewegung. Wie viele der 1,3 Milliarden Chinesen verlangen eine westliche Demokratie? Wir wissen es nicht, aber es sind wenige.

Standard: Nach der Unabhängigkeit galt Ihr Land als Positivbeispiel, dann gab es Unruhen, Anschläge. Wie stabil ist die Lage?

Ramos-Horta: Seit drei Jahren haben wir Frieden und Stabilität. Polizei und Armee sind reformiert, sie sind keine Quelle von Instabilität mehr. Wir haben ein robustes Wirtschaftswachstum von mehr als zehn Prozent jedes Jahr. Ich bin sehr optimistisch.

Standard: Einige Opfer der indonesischen Herrschaft fordern Gerechtigkeit. Sie bestehen darauf, das Kapitel ruhen zu lassen. Warum?

Ramos-Horta: Amnesty International und die UN führen immer den Ausdruck Opfer an. Ich habe drei Brüder und eine Schwester verloren. Wir gehören auch dazu. Aber wir müssen die Beziehungen mit Indonesien normalisieren, um weitermachen zu können. Einige, vor allem Bürokraten des UN-Systems, die uns gerne belehren, scheinen vergessen zu haben, dass die Uno in Osttimor zwischen 1999 und 2002 die Macht hatte. Warum haben sie kein Tribunal geschaffen? Weil sie wussten, dass es destabilisiert hätte. Wenn man einen Konflikt beenden möchte und gleichzeitig mit dem Finger auf die andere Partei zeigt und sagt: Wir werfen euch ins Gefängnis - dann wird der Krieg weitergehen.

Standard: Osttimor zählt immer noch zu den allerärmsten Staaten, trotz großer internationaler Hilfe.

Ramos-Horta: Wir sind nur acht Jahre alt! Das Land war 1999 gründlich zerstört. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir große Fortschritte gemacht, die Armut ist um neun Prozent zurückgegangen, die Kindersterblichkeit um 50 Prozent. Was die internationale Hilfe angeht: Da sollten Sie einmal die Geber fragen, wem sie das Geld gegeben haben. Wir haben nichts gekriegt.

Standard: Wollen Sie damit sagen, es ist keine Hilfe angekommen?

Ramos-Horta: Es ist irreführend, wenn die reichen Länder sagen, wir haben soundso viel Geld gegeben. In Wirklichkeit verwalten sie das Geld selbst, über ihre Hilfsorganisationen oder NGOs. Es geht an Berater, sogenannte Experten, die eine Studie nach der anderen erstellen. Warum haben sie nicht Straßen oder ein Elektrizitätssystem gebaut? Die EU hat geholfen, ein paar Brücken und Krankenhäuser zu bauen. Wenn wir von etwa drei Milliarden Dollar sprechen, die gegeben wurden - wo ist der Rest?

Standard: Fühlen Sie sich betrogen?

Ramos-Horta: Nein, aber der Ansatz war falsch. Es hätte mehr in ländlichen Gebieten getan werden müssen - Wasser, sanitäre Anlagen, Nahrungsmittelsicherheit, Wiederaufforstung. Das geschieht überall. Es muss generell mehr Geld direkt für die ländliche Entwicklung ausgegeben werden, um das Leben der Menschen dort zu verbessern.

Standard: In Burma finden dieses Wochenende Wahlen statt. Frei und fair werden sie nicht sein ...

Ramos-Horta:... fair sind sie auf jeden Fall nicht. Trotzdem: Wenn ich Aung San Suu Kyi (Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin) oder ein Führer der (aufgelösten) Nationalen Liga für Demokratie wäre, hätte ich teilgenommen. Wir haben damals jede kleinste Gelegenheit genutzt. Wir hatten großes Vertrauen, dass die Menschen, wenn es eine kleine Chance gibt, nach ihrem Gewissen wählen würden. Wenn also Aung San Suu Kyi trotz strenger Kontrollen und prekärer Sicherheitslage sagte: Wir gründen eine neue Partei, wir nehmen teil - dann könnte das Militär vielleicht eine Überraschung erleben. (Julia Raabe, STANDARD-Printausgabe, 06./07.11.2010)