Stefan Meyer um 1912: Der gelernte theoretische und experimentelle Physiker beschäftigte sich seit Anbeginn mit Radium, ab 1910 war er mit der Leitung des Radiuminstituts beschäftigt.

Foto: Zentralbibliothek für Physik

Karl Kupelwieser war einer jener Menschen mit viel Geld, Verstand und Weitsicht, deren Bekanntschaft Wissenschafter wohl gerne täglich machen würden. Der Jurist, der im Aktienkonsortium der Teplitzer Walzwerke zu Reichtum gekommen ist, stiftete 1908 insgesamt 500.000 Kronen für den Bau eines Hauses, in dem Physiker das Radium, sein Vorkommen und seine Wirkung erforschen sollten - zehn Jahre, nachdem das Ehepaar Marie und Pierre Curie das chemische Element entdeckt hatten und damit weltweit einen Boom auslösten. Auch in Österreich, wo die damals noch nicht 30-jährigen Experimentalphysiker Stefan Meyer und Egon von Schweidler schon 1899 mit Radium- und Poloniumstrahlen experimentierten.

Technische Ausstattung

Zwei Jahre nach der Stiftung wurde am 28. Oktober 1910 das "Institut für Radiumforschung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften" in der Wiener Boltzmanngasse eröffnet. Kupelwieser hatte mit der k. u. k. Monarchie und mit der Akademie der Wissenschaften eine Vereinbarung getroffen, die einzigartig war: Der Staat sollte über die Uni Wien für Gehälter, Gebäudeerhaltung und ein jährliches Budget aufkommen, die Akademie musste vorhandene Radiumbestände zur Verfügung stellen. Sie wurden nach den Versuchen von Meyer und Schweidler aus Quellen in St. Joachimsthal in Böhmen gewonnen. In großen Mengen, wie Robert Rosner und Brigitte Strohmaier in Marietta Blau (Böhlau, Wien 2003) berichten. In der Boltzmanngasse hatten die Physiker dann auch die notwendige technische Ausstattung, um die Radiummengen wissenschaftlich bestmöglich zu bearbeiten. Davor war man in einem Mietshaus in der Türkenstraße bei weitem nicht so gut ausgerüstet.

Erster Vorstand des Radiuminstituts war Franz Serafin Exner, der erste Leiter war einer seiner talentiertesten Schüler: Stefan Meyer. Der aus liberalem jüdischem Bürgertum stammende Wissenschafter war vom Zeitpunkt der Institutsgründung an "mehr Manager als Forscher", wie der Wissenschaftsforscher und Meyer-Biograf Wolfgang L. Reiter erzählt. Ein Manager, der Neugier und Experimentierfreude zugelassen hat, eine "Vaterfigur", wie Rosner/ Strohmaier schreiben, dem es gelang, das Radiuminstitut zu Weltruf zu führen - und dabei freundschaftlich zu bleiben. Neben dem von Marie Curie in Paris sowie von Ernest Rutherford in Cambridge geleiteten Instituten sicher kein leichtes Unterfangen.

Viele Wissenschafter kamen nach Wien, um hier nicht nur mit Radium zu forschen, trotz der vorherrschenden Armut: Victor Franz Hess zum Beispiel, der während seiner Zeit am Institut 1912 die kosmische Strahlung, eine Teilchenstrahlung aus dem Weltall, entdeckte und dafür 1936 den Nobelpreis für Physik erhielt. Oder Marietta Blau, die 1937 gemeinsam mit Hertha Wambacher das durch kosmische Strahlung verursachte Zerplatzen von Atomkernen entdeckte. Erwin Schrödinger schlug sie deshalb für den Nobelpreis vor - ohne Erfolg.

Hoher Frauenanteil

Blau war eine von vielen Physikerinnen am Radiuminstitut. Wissenschaftshistoriker sprechen heute von mehr als einem Drittel Frauen unter dem wissenschaftlichen Personal. Ein Phänomen in einer Zeit, wo von Gleichbehandlung im Forschungsbetrieb noch lang keine Rede war. Reiter glaubt, dass ein ganzes Bündel von Umständen dazu führte, unter anderem die Vorbildwirkung von Marie Curie und die verbesserten Chancen für Frauen in naturwissenschaftlichen Studien. Es war wohl kein Zufall, dass eine Frau auch die erste Institutsleitung nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm: Berta Karlik wurde 1956 auch erste Inhaberin eines Lehrstuhls an der Uni Wien.

1938 wurden die Karrieren von allen jüdischen Wissenschaftern, also auch jene von Stefan Meyer, beendet. Das Personal des Radiuminstituts wurde halbiert. "50 Prozent der Autoren wissenschaftlicher Publikationen am Institut mussten in die Emigration", sagt Historiker Reiter. Marietta Blau flüchtete. Meyer überlebte, pensioniert, die Nazizeit in Bad Ischl. Wie ihm das gelang, ist bis heute nicht vollends geklärt. Möglicherweise durch die Gunst eines Gemeindebeamten, der allerdings 1940 verstarb. Vielleicht auch durch die Ehe seiner Tochter, der Chemikerin Agathe Meyer, mit dem norwegischen Chemiker Rosenqvist, weshalb die Familie, so Reiter im Standardwerk Vertriebene Vernunft "quasi einen ausländischen Status" erhielt. Noch heute erzählen sich die Ischler, die es selbst erlebten oder durch Überlieferung hörten, wie Meyer regelmäßig am Hausberg Katrin wanderte. Die "Vaterfigur" der Experimentalphysik kehrte 1946 ans Radiuminstitut zurück. Da er schlecht hörte, aktivierte Berta Karlik Meyers mittlerweile in den USA lebende Freunde, die dem Förderer früherer Tage ein Hörgerät zukommen ließen.

Meyer wandte sich zuletzt visuellen Fragen zu. 1949 starb er nach einer Herzattacke. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 11. 2010)

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Radium

Das weiche, radioaktive Schwermetall Radium kommt in der Natur relativ selten vor. Nach seiner Entdeckung wurde es lang fälschlicherweise als gesundheitsfördernd bezeichnet - und in Krebsmedikamenten verwendet. Betreiber von Radiumbädern wetteiferten mit der Menge des Metalls in ihren Gewässern. 1903 schrieb Pierre Curie, der Radium und das ebenfalls radioaktive Polonium gemeinsam mit seiner Frau Marie 1898 entdeckte: "In kriminellen Händen könnte Radium sehr gefährlich werden, und hier kann man fragen, ob es von Vorteil für die Menschheit ist, die Geheimnisse der Natur zu kennen." Erst in den 1920er-Jahren wurde das Metall als gefährlich erkannt. Radium kann bösartige Tumore verursachen. Viele damit arbeitende Forscher litten an den Folgen, Marie Curie starb 1934 an Leukämie. Die 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben wurden mit Polonium gezündet. (DER STANDARD, Printausgabe, 3. 11. 2010)