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Auch Halloween wurde als PR-Termin genutzt. Das echte Gruseln soll für den US-Präsidenten und seine Frau aber erst nach dem 2. November kommen, sagen die Demoskopen.

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Joe Biden kommt richtig in Fahrt. Zur Faust geballt, saust seine Rechte hoch und nieder. Der Vizepräsident klingt wie ein Boxtrainer, der am Ring einen strauchelnden Schützling anfeuert. "Steh auf! Steh auf!", ruft Biden in die Arena. "Mein Vater hat immer gesagt: 'Schlägt dich jemand zu Boden, dann gibt es nur eines: Aufstehen.'" Und hinterher müsse man lernen aus Fehlern, um nicht gleich wieder zu Boden zu gehen.

Es ist eine Metapher, mit der Biden den Zustand der amerikanischen Wirtschaft beschreibt. Die sei gerade dabei, wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Nun dürfe man nicht den Fehler begehen, sie erneut fast k. o. schlagen zu lassen von den Konservativen, die sie unter George W. Bush auf das Knockout der Finanzkrise zutreiben ließen. Es ist die Ouvertüre für Barack Obama, der als Nächster auf die Bühne stürmt, mit federnden Schritten, voller Elan. Vor achttausend Fans in der Cleveland State University setzt der Staatschef zum Endspurt an. Wahrscheinlich glaubt er selbst nicht mehr, dass seine Demokraten das Ruder noch herumreißen können. Aber keiner soll sagen, dass dieser Obama kein Kämpfer sei, dass er abgehoben sei.

Cleveland, die Industriestadt am Eriesee, liegt in Ohio. Und in Ohio, einem "swing state", in dem das Pendel traditionell hin und her schwingt zwischen den beiden großen Parteien, sieht es schlecht aus für die Demokraten, falls die Meinungsforscher nicht völlig danebenliegen. Aus Ohio stammt John Boehner, der konservative Fraktionschef im Repräsentantenhaus, der wohl anstelle Nancy Pelosis der nächste Speaker, der nächste Parlamentsvorsitzende, sein wird. Gerade dort will Obama Flagge zeigen. Auf der Zielgeraden gibt er alles, genau wie seine Frau Michelle, die am Montag nach Nevada düste, um die Werbetrommel für Harry Reid, den Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, zu rühren.

Worauf der Präsident im Stillen hofft, ist eine Art Last-Minute-Effekt. Umfragen zeigen, dass schwankende und abwartende Wähler ganz zum Schluss eher den Demokraten zuneigen als den Republikanern. Dass es im Grunde nur darum geht, sie hinterm Ofen hervorzulocken. Ob sich die Faustregel auch diesmal bewahrheitet, weiß niemand, zu eindeutig scheint der Wind der Regierungsriege ins Gesicht zu blasen. Unversucht lässt Obama jedenfalls nichts. Er rackert sich ab, um die "enthusiasm gap" zu schließen, jene Motivationslücke, die viele Junge passiv zuschauen lässt, obwohl sie eigentlich immer noch mit ihm sympathisieren.

Es ist ja nicht so, dass die Stimmung nur düster wäre. Am Samstag demonstrierte das junge, linksliberale Amerika, dass es geradezu sprüht vor Witz und Ironie. Schätzungsweise eine Viertelmillion versammelte sich auf der Mall in Washington bei einer Rallye "zur Wiederherstellung der geistigen Gesundheit", zu der die Komödianten Jon Stewart und Stephen Colbert aufgerufen hatten. "Wenn Obama ein Muslim ist, wieso kriegen wir freitags nicht frei?", stand auf Postern. "Nehmt unser Land zurück. Zurück ins 19. Jahrhundert!", hat Bill Gruin, ein Geschichtslehrer, auf ein Stück Pappkarton gekritzelt, um die Tea Party aufs Korn zu nehmen. "Bringt die Sechzig-Stunden-Woche zurück! Und Kinderarbeit! Und pferdegezogene Pflüge! Und gebt Alaska zurück an Russland!"

Die Geschichte, die Obama auf jeder Wahlkundgebung erzählt, handelt von einem Auto, das von der Fahrbahn abkam. "Die Republikaner haben den Wagen in den Graben gefahren. Wir schoben ihn wieder heraus. Wir schwitzten, es war schlammig dort unten. Dreck spritzte uns ins Gesicht, egal, wir schoben weiter. Schließlich hatten wir den Wagen wieder oben. Ja, er ist nun ein wenig verbeult, aber die Richtung stimmt wieder. Und jetzt klopfen uns die Republikaner auf die Schulter und sagen: 'Wir wollen den Schlüssel zurück'. Nein, ihr könnt den Schlüssel nicht wiederhaben, ihr wisst ja nicht, wie man fährt." Und dann sei da noch das Spekulieren auf den Gedächtnisschwund, fügt der Präsident in Cleveland hinzu. Die politische Strategie der andere Seite läuft darauf hinaus, dass alle von euch an Amnesie leiden. Sie bauen darauf, dass jeder überall im Land vergisst, wer uns die Suppe eingebrockt hat."(Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2010)