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Zwei zarte Pflänzchen, die gemeinsam besser dran wären? KDE und GNOME sind die beiden großen Desktop-Projekte der Linux-Welt.

Image: KDE & Gnome, a Creative Commons Attribution (2.0) image from woallance3's photostream

Die Linux-Desktop-Welt ist seit Beginn an durch eine große Vielfalt an unterschiedlichen Projekten gekennzeichnet. nicht nur Distributionen sondern auch Desktop-Umgebungen gibt es in Hülle und Fülle. Das Gros der Linux-NutzerInnen verteilt sich dann aber doch auf ein paar wenige Angebote, in Desktop-Hinsicht sind es vor allem KDE und GNOME, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Während manche diese Vielfalt als eine der Kernstärken der freien Softwarewelt anpreisen, sehen andere hier eher eine Zersplitterung, die den Linux-Desktop von größeren Erfolgen im Massenmarkt abhält. Im Interview mit dem WebStandard wünscht sich denn auch Sebastian Kügler vom KDE-Projekt von den Distributionen klare Entscheidungen für einen Desktop. Immerhin sei die aktuelle Zweigleisigkeit pure Ressourcenverschwendung, die dazu führe, dass man immer zwei nicht ganz fertige Desktop-Umgebungen habe. Das folgende Gespräch führte Andreas Proschofsky am Rande der unlängst in Nürnberg abgehaltenen openSUSE-Konferenz, weitere Themen sind ein Ausblick auf kommende KDE-Neuerungen und die Chancen von Linux auf anderen Geräteklassen.

derStandard.at: Vor einigen Tagen hat ein Kommentar von PC World, in dem der Autor die These aufstellt, dass Linux seine Chance für den Erfolg am Desktop mittlerweile verpasst hat, für einige Aufregung in der Open-Source-Community gesorgt. Ist die Sache auch unter dem Aspekt, dass andere Geräteklassen immer wichtiger werden, dort die meiste Innovation stattfindet, mittlerweile gelaufen?

Sebastian Kügler: Ich glaube, dass wir eine Chance verpasst haben. Aber nur deswegen, weil Telefone jetzt twittern können, den Desktop für tot zu erklären, halte ich für einen riesengroßen Unsinn. Es ist ganz sicher so, dass es auch in zehn Jahren noch Desktop-Systeme und Laptops geben wird, alleine schon in Hinblick auf ergonomisches Arbeiten - mit einem vernünftigen Bildschirm, einem vernünftigen Keyboard - ist das notwendig. Der Desktop wird sich in eine Reihe anderer Geräte einreihen, aber er ist sicher nicht tot.

derStandard.at: Zugleich ist aber auch ein deutlichen Trend dahingehend zu verspüren, Anwendungen ins Web zu verlagern, wodurch der lokale Desktop immer unwichtiger wird. Sehr konsequent setzt dies ja Google mit ChromeOS um, wo die Desktop-Umgebung praktisch nur mehr aus einem Browser besteht.

Sebastian Kügler: Klar hat so etwas Vorteile, wie das einfache Teilen und Backupen von Daten oder die Möglichkeit leicht zwischen einzelnen Geräten zu wechseln. Aber: In Wirklichkeit ist der Browser so etwas wie ein kleinster gemeinsamer Nenner. Insofern wird es hier eine Trennung geben, die wirklich arbeitsintensiven Aufgaben bleiben am Client, die Tasks bei denen Zusammenarbeit im Vordergrund stehen, werden online erledigt.

Ich würde sogar umgekehrt sagen, dass es der Browser ist, der mehr und mehr verschwindet. Wenn man sich zum Beispiele Smartphones ankuckt: Warum gibt es 150.000 iPhone-Apps? 120.000 davon, weil die Webseite nicht richtig auf dem Apparat funktioniert. Webseiten funktionieren genau so nicht auf einem Media Center.

Was im Web passiert, ist, dass das User Interface unabhängig vom Target Device wird - und das ist Bullshit, das funktioniert einfach nicht. Man hat auf dem Smartphone komplett andere Eingabemöglichkeiten als auf einem Desktop.

derStandard.at: Mit Stylesheets kann ich aber natürlich auch im Web unterschiedliche Interfaces für verschiedene Geräteklassen anbieten...

Sebastian Kügler: Zum Teil: Ja. Aber dazu kommt dann natürlich noch, dass es so Sachen wie Geolocation gibt, bei denen ich sicher nicht will, dass sie in der Cloud laufen, weil das meine Privatsphäre beeinträchtigt. Wahrscheinlich sieht das nicht jeder Privatbenutzer so, aber für Firmen spielt das ebenfalls eine sehr wichtige Rolle.

derStandard.at: Auch wenn es durchaus unterschiedliche Zahlen zur Verbreitung des Linux-Desktops gibt, eins ist doch allen Untersuchungen gemein: Seit einiger Zeit ist hier eine Stagnation feststellbar. Was wäre nötig um hier wieder Bewegung in den Markt zu bringen?

Sebastian Kügler: Der Ausbruch aus dem bisherigen Desktop-Paradigma ist ganz wichtig. Innerhalb von KDE arbeiten wir mit dem Plasma-Team ganz stark daran. Wir haben mit dem Desktop angefangen, kurz danach haben wir aber auch begonnen ein spezielles User-Interface für Netbooks zu entwerfen. Jetzt arbeiten gerade zwei Teams gleichzeitig an einem Media Center und einem Smartphone-Interface. Wir haben also eine Plattform, die speziell auf verschiedene Apparate zugeschnitten ist.

derStandard.at: Das Wachstum passiert dann aber vor allem auf neuen Devices.

Sebastian Kügler: Wenn man den richtigen Riecher hat, ist es natürlich wesentlich einfacher, sich in einer neuen Geräteklasse zu behaupten. Wir haben bei Netbooks gesehen, dass es auf jeden Fall die Möglichkeit gibt, dass Linux auf einmal durch die Decke schießt. In dem Fall haben wir es dann nicht geschafft den Markt zu sichern, das ist eine ganz wichtige Sache, die wir noch lernen müssen - nicht einfach nur gute Sachen machen, sondern auch Produkte liefern. Ich bin mir zum Beispiel ziemlich sicher, dass gerade ziemlich viele Firmen, die einen iPad-Klon rausbringen wollen, nach guten Lösungen suchen - das ist natürlich eine Chance für Linux als Enduser-System.

Ich weiß nicht, wie realistisch es ist, dass der Mainstream-Desktop auf Linux umstellt, weil das ein Markt ist, der vollkommen verhärtet ist. Neue Geräte sind hier aber eventuell auch eine Chance das wieder aufzuweichen, wenn etwa die Abhängigkeit von klassischen Microsoft-Anwendungen wie Office geringer wird.

derStandard.at: Ist es fair zu sagen, dass GNOME der dominierende Enterprise-Linux-Desktop ist?

Sebastian Kügler: Ich habe eigentlich nicht den Eindruck. Ich arbeite zum Beispiel gerade an einem Projekt für den deutschen öffentlichen Dienst, wo gerade eine Umstellung von KDE3 auf KDE4 stattfindet, den wir begleiten. Das sind zum Beispiel so 12.000 Desktops. Es gibt einige ähnliche Enterprise-Setups, etwa bei einem großen deutschen Automobilhersteller, in Brasilien benutzt das komplette Schulsystem KDE, in Portugal läuft gerade ein Projekt mit 400.000 Laptops, die auf KDE laufen. Die französische Nationalversammlung benutzt ebenfalls KDE.

derStandard.at: Zumindest bei den Kaufangeboten der Hersteller scheint GNOME dann aber doch einen gewissen Vorteil zu haben, setzen hier doch sowohl Red Hat als auch Novell auf die KDE-Konkurrenz.

Sebastian Kügler: Es wird zumindest wesentlich mehr Werbung dafür gemacht.

derStandard.at: Mark Shuttleworth hat unlängst in einem IRC-Chat gemeint, dass es keinen Sinn macht, zwei Desktops parallel zu unterstützen...

Sebastian Kügler: Da stimme ich Mark vollkommen zu.

derStandard.at: ...und insofern auch weiterhin KDE bei Ubuntu nicht im selben Ausmaß unterstützt werden wird, wie GNOME. Ist es ein Problem, wenn eine dermaßen verbreitete Distro KDE als "Desktop zweiter Klasse" behandelt?

Sebastian Kügler: Ich bin der Überzeugung, dass es Unsinn ist zwei Desktops zu unterstützen und zu versuchen es allen recht zu machen. Allerdings hätte aus meiner KDE-Sicht Mark Shuttleworth schon vor ein paar Jahren klar sagen sollen: "OK, Leute - wir richten uns ganz auf GNOME aus" und nicht solche Sachen erzählen wie vor ein paar Jahren, dass Ubuntu die KDE-Community gleich viel wert ist. Denn im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass es ganz einfach nicht so ist, und damit hat er dann mehr Leute vergrämt als ihm lieb ist.

Es bringt dem Benutzer nichts, wenn zwei dreiviertel fertige Desktops vorhanden sind, der normale User switcht nicht zwischen den Umgebungen. Es macht viel mehr Sinn, wenn die Energie auf ein Produkt gerichtet wird, das dafür dann wirklich gut ist. Und dass ist bei meiner Firma - open-slx - deutlich KDE. Weil die untenliegende Technologie besser ist, weil die kommerzielle Unterstützung für Sachen wie Qt besser ist als für GTK+, die Plattform sehr zukunftssicher ist, durch diesen großen Eingriff, den wir mit KDE4 vor ein paar Jahren gemacht haben.

derStandard.at: Bezieht sich diese Kritik jetzt auf einzelne Distributionen oder ist es allgemein ein Problem, dass es zwei große Desktops im Linux-Umfeld gibt?

Sebastian Kügler: Ich denke es ist allgemein ein Problem, und einer der größten Gründe, warum sich der Linux-Desktop nie durchsetzen konnte. Dadurch wird der gesamte Software-Stack wahnsinnig viel komplizierter.

Wie viele Linux-Distributionen gibt es? 200? Das ist wohl eine konservative Schätzung. Aber wer braucht die? Ich denke es würden auch drei oder vier reichen, dann können sich die NutzerInnen noch immer entscheiden, das Ökosystem ist viel weniger fragmentiert, wahrscheinlich sind wesentlich mehr Ressourcen pro Distribution da. Damit könnte man wohl erheblich mehr "reißen".

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob diese Konsolidierung tatsächlich im Distributionsumfeld passieren wird. Gerade im KDE-Projekt sehen wir viele Entwickler, die "upstream" geschwommen sind, weil sie sonst - um ein konkretes Beispiel zu nennen - eine coole Power-Management-Lösung entwickeln, die nur auf Arch Linux zum Einsatz kommt. In dem Fall hat sich der Entwickler dann dazu entschlossen lieber gleich zum Upstream-Projekt beizutragen, wo die Fragmentierung deutlich geringer ist - wenn auch nicht null.

derStandard.at: Wie wichtig ist es, dass sich openSUSE mittlerweile - wieder - dazu durchgerungen hat, KDE als Default-Desktop zu bezeichnen.

Sebastian Kügler: Wahnsinnig wichtig, hauptsächlich aber wohl für openSUSE selbst. Wir haben hier ja in den letzten Monaten die Strategiediskussion gesehen, eben weil eine klare Richtung fehlt. Und gerade bei openSUSE hat der Kampf der verschiedenen Desktops um verschiedene Ressourcen der Community jahrelang richtig geschadet. Ich denke es würde openSUSE nutzen, wenn man sich hier noch klarer hinter KDE stellt. Das würde zunächst mal sicher Schmerzen bei manchen verursachen und auch politische Streitigkeiten zur Folge haben, aber dann könnte man klarer unterschiedliche Systeme positionieren: Windows für alle, die keine Augen im Kopf haben, Mac für alle, die kein Gewissen haben, Ubuntu für jene, die Herrn Shuttleworth toll finden und openSUSE dann für alle, die ihren Desktop schön und flexibel haben wollen.

derStandard.at: Mit Akonadi arbeitet man bei KDE schon seit einiger Zeit an einem neuen Kommunikationsframework für den Desktop. Allerdings hat sich das immer wieder verzögert, was ist hier der aktuelle Stand und was ist falsch gelaufen?

Sebastian Kügler: Ich glaube nicht, dass etwas schief gelaufen ist. Wir haben Akonadi relativ spät begonnen und es war nie geplant, das mit 4.0 rauszubringen. Mittlerweile ist die Akonadi-Infrastruktur auch da und stabil. Jetzt geht es darum, dass wir den Kontact-Client mit Akonadi im Hintergrund releasen können und da geht es derzeit etwas langsamer als wir gehofft haben. Wir haben so 90-95 Prozent der klassischen Funktionalität fertig, aber der Rest kostet einfach Zeit und Ressourcen. Ich hätte natürlich gerne, dass es schon fertig wäre, aber ein Mail-Client ist keine Sache, die man releasen kann, wenn er noch nicht ausreichend getestet ist - vor allem für die Migration der Daten.

Es gibt im Moment monatliche Beta-Versionen, und ich hoffe immer noch auf dieses Jahr für einen stabilen Kontact mit Akonadi-Backend. Allerdings ist nicht sicher, wann das tatsächlich bei den Nutzern ankommt, hier müssen sich die Distros entscheiden, ob sie schon die neue Lösung nehmen, oder lieber noch eine Runde den traditionellen Kontact nehmen.

derStandard.at: Wie wird das für openSUSE aussehen, kommt Kontact mit Akonadi mit 11.4?

Sebastian Kügler: Ich hoffe, aber ich traue mich das nicht zu versprechen, weil ich mehr darauf Wert lege, eine wirklich stabile Lösung anzubieten, als es ein paar Monate früher oder später anzubieten.

Wirklich spannend wird es dann danach, der Port von Kontact auf Akonadi ist ja erst der erste Schritt für eine Reihe von neuen User Interfaces, etwa mein eigenes Lion Mail, das ich vor kurzem vorgestellt habe, und für das es super Feedback gab.

derStandard.at: Im Umfeld von Nokias Maemo entstanden findet das Kommunikations-Framework Telepathy schon einige Releases seinen Einsatz in GNOME und hat sich hier mittlerweile recht weit entwickelt. Will man dieses künftig auch bei KDE nutzen?

Sebastian Kügler: Sieht sehr stark danach aus, ja. Ich hoffe das auch, weil das ist eine sehr feine Technologie. Es gibt einige Leute, die derzeit an TelepathyQt und Telepathy-KDE arbeiten, um das zu ermöglichen.

derStandard.at: Wofür will man dies dann alles nutzen?

Sebastian Kügler: Instant Messaging sicherlich, aber auch File Sharing, Screen-Sharing, Voice over IP, aber auch ganz neue Benutzer-Interfaces. Vor allem auch, was die Zusammenarbeit zwischen mehreren Personen betrifft.

derStandard.at: Plasma soll künftig verstärkt die 3D-Funktionen von aktuellen Grafikkarten nutzen. Wird entsprechender Hardware-Support damit eine Voraussetzung?

Sebastian Kügler: Nein, wir machen hier im Window Manager und in Plasma Fallbacks, wenn die 3D-Unterstützung gerade aus irgendeinem Grund nicht funktioniert oder nicht richtig erkannt wird, werden einfach die Effekte abgeschalten. Wir werden das auf jeden Fall optional halten, aber wir wollen die Hardwaremöglichkeiten auch nutzen, wenn sie da sind. Qt bietet hierfür auch die nötigen Werkzeuge, die entweder XRender oder pures CPU-Rendering nutzen können - was oft schneller ist. Das ist eigentlich ziemlich traurig, aber es ist tatsächlich so, dass das "hardwarebeschleunigte" XRender in einigen Fällen erheblich langsamer ist.

derStandard.at: Aber wessen Schuld ist das? Es ist doch irgendwie verwunderlich, dass über die Jahre immer wieder konstatiert wird, dass der Linux Grafik-Stack massive Performance-Probleme hat, aber trotz all der Bemühungen noch immer solch fundamentale Schwierigkeiten vorhanden sind.

Sebastian Kügler: Das ist nicht so einfach zu sagen, aber ein Problem, das etwa vor kurzem einer unserer Entwickler, Martin Grässlin, der am Window Manager KWin arbeitet, in einem Blog-Eintrag herausgearbeitet hat, ist, dass viele 3D-Treiber behaupten, dass sie gewisse Sachen können, die sie in Wirklichkeit gar nicht beherrschen.

Ein Problem dabei ist sicher aber auch, dass die Kommunikation zwischen KDE- und den X.org Grafiktreiber-Entwicklern viel zu schwach ist. Das ist eine Sache, der ich mich in nächster Zeit verstärkt widmen will, also Leute einerseits von KDE und andererseits von X.org und Kernel-Seite zusammenzubringen. Ich bin vollkommen davon überzeugt, dass die X.org-Leute genauso freundlich sind wie die von KDE, das eigentliche Problem liegt viel mehr daran, dass alle lieber in ihrer "Comfort Zone" bleiben. Das gilt es aufzubrechen.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 19.11.10)

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