Der griffige Belag macht Irland zum Paradies für Motorradfahrer, auch wenn die auf der grünen Insel rar sind. Dafür kommt Rennfahrer-Legende Joey Dunlop aus Nordirland. Fotos: Guido Gluschitsch
Zwei Buben spielen mit rosafarbenen Handgranaten. Einen Block weiter, auf der Shankill Road, empfängt uns die Maschinengewehrsalve eines vielleicht Zehnjährigen, als wir nur ums Eck schauen. Die Shankill Road ist die protestantische Festung in Belfast. Die ganze Straße ist beflaggt, und überall erinnern Gemälde auf Häuserwänden, Grabstätten und Schilder an das Unrecht im Nordirland-Konflikt - genauso wie auf der katholischen Seite der Stadt, in der Falls Road.
Die sechs Motorräder, die wir uns für die Nord-Irland-Reise ausgeborgt haben, tragen Dubliner Kennzeichen. Wir wagen es nicht, sie einfach so in der Shankill Road abzustellen. Einer bleibt immer bei ihnen, während die anderen zu Fuß ausschwärmen. Auf Schritt und Tritt rinnt es einem, auf dieser Straße Belfasts, kalt den Rücken runter. Die Stadt, in der einst die Titanic gebaut wurde, wirkt in der Shankill Road hoffnungslos und zurückgezogen. Dabei ist sie das gar nicht. Dauernd werden wir angesprochen. Manchmal wegen der irischen Kennzeichen, noch öfter weil es hier kaum jemanden gibt, der auf einem Motorrad das Land bereist.
Vermutlich liegt es am Wetter, dass sich hier kaum jemand auf zwei Rädern durch Nordirland traut. Die Straßen sind fast immer nass, auch wenn wir während der ganzen Tour fast nie im Regen fuhren. Kaum machten wir einen Abstecher in ein Museum, fing es draußen zu regnen an - kamen wir heraus, hörte es auf.
Die nassen Straßen haben aber einen fantastischen Grip - es gibt also keinen Grund, deswegen nervös zu werden.
Während wir im Ulster Transport Museum waren, hat es nicht geregnet. Dort läuft gerade eine Ausstellung über Joey Dunlop. Die Iren vergöttern ihren im Jahr 2000 verstorbenen Motorradrennfahrer, der als der erfolgreichste Straßenrennfahrer der Geschichte gilt. 26-mal gewann er die Isle of Man TT, bis er am 2. Juli in Tallinn (Reval) bei einem Rennen tödlich stürzte. Doch die Iren denken nicht traurig an ihn zurück - es huscht eine Maske der Begeisterung über ihr Gesicht, wenn sie über Joey Dunlop reden.
Im Grunde sind die Iren recht gefasst. Unendlich freundlich, aber doch emotional so verschlossen wie ein Banksafe. Während unsereinem das Herz übergeht, verzieht ein Ire wegen einer grünen Wiese, die in der Sonne liegt, keine Wimper. Während unsereins an seiner Sehkraft zweifelt, wenn er sieht, wie eine Ziege Diet Coke aus Dose säuft, dreht der Ire wortlos am Absatz um, holt eine weitere Dose und füllt sie in die Ziege.
Wir haben das Cola ausgelassen und uns, nachdem Quartierbezug in einem Bed & Breakfast, ein Bier gegönnt. Guinness tranken die Harten, Smithwicks die Gemäßigten, wer ein Helles trank, wurde des Lokals verwiesen. Zwei Guinness, und man braucht kein Abendessen mehr, so sättigend ist das Gebräu. Allein schon deshalb lohnt es sich, mit dem ersten Guinness bis nach dem Mahl zu warten. Denn vor allem die nationalen Speisen waren sehr gut. "Surf and Turf" , zwei Steaks, die wie zwei Burger-Buns eine Meeresfrüchte-Mischung umschließen, muss man genauso probiert haben wie "Irish Stew" oder "Steak and Guinness Pie" , Irlands Antwort auf das Gulasch aus Bier und Fleisch.
Ganz ungewohnt war die Mischung aus saftigen grünen Wiesen, die bis wenige Meter ans Meer heran reichen. Dazwischen ist ein Strandabschnitt aus feinstem Sand. Trotzdem findet man hier maximal einen Fischer, aber sicher keinen Schwimmer. Das Meer ist einfach zu kalt. Im September, wenn es am wärmsten ist, hat es gerade einmal dreizehn Grad - der Robbe Rose war das aber gerade recht.
Warm ums Herz wird einem allerdings, wenn man diese wunderschöne Natur sieht. Nebelschwaden, die das Land streicheln. Seen, deren Anblick im Kopf sofort wilde Sagen entstehen lassen. Schlösser, Burgen, Ruinen, die einen wie eine Zeitmaschine in eine andere Welt versetzen. Wie Kinder in Belfast, die noch immer nicht wissen, dass der Nordirland-Konflikt inzwischen beigelegt ist. (Guido Gluschitsch/DER STANDARD/rondoMOBIL/Oktober 2010)