Pflanzen sind besonders gut geeignet, um diese Phänomene zu studieren. In Wien tätige Wissenschafter sind an vorderster Front mit dabei.

In gewisser Weise nahm die Geschichte vor mehr als 250 Jahren in Schweden ihren Anfang – mit einer eigentümlichen Entdeckung: Im Jahr 1742 fand der Student Magnus Ziöberg ein unscheinbares Gewächs, das ganz so aussah wie das Gemeine Leinkraut, aber ganz anders gestaltete Blüten besaß. Das getrocknete Exemplar machte schnell die Runde und landete schließlich bei Carl von Linné, der mit seinem Klassifikationssystem weltberühmt wurde.

Der Forscher, der sich in der Fauna und Flora Schwedens besser auskannte als jeder andere, dachte zuerst an einen schlechten Scherz. Doch nach eingehenden Untersuchungen bestätigte er, dass der Fund eine verunstaltete Art war, die nach Generationen missgebildeter Blüten wieder normale Blüten haben konnte.

In der Botanik ohne Parallele

In Linnés Worten: "Nichts kann fantastischer sein als das, was hier geschah. Das ist in der Botanik ohne Parallele. Es ist sicher nicht weniger bemerkenswert, als wenn eine Kuh ein Kalb mit einem Wolfskopf gebären würde." Der Forscher taufte die rätselhafte Pflanze prompt Peloria – griechisch für Monster. Denn was hier genau vorging, konnten sich weder Linné noch viele andere großen Geister (inklusive Goethe und Darwin) erklären, die sich mit Peloria eingehend beschäftigten.

1999 sorgte das Pflänzchen dann abermals für Verblüffung. Nachdem das Gen gefunden war, das die Blütenform bestimmte, stellte sich heraus, dass dessen DNA-Sequenz in Peloria völlig identisch war mit der im Leinkraut. Etwas anderes musste für das so andere Erscheinungsbild sorgen. Dann aber fand man hat des Rätsels Lösung: einen epigenetischen Mechanismus namens DNA-Methylierung, durch den das Peloria-Gen abgeschaltet wird und der für die Blütenform sorgt.

"Pflanzen sind besonders gut geeignet, um epigenetische Phänomene und Mechanismen zu untersuchen", sagt Ortrun Mittelsten Scheid, eine der international führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet. Die aus Deutschland stammende Pflanzengenetikerin untersucht am Gregor-Mendel-Institut der ÖAW in Wien, wie sich Umweltstress auf die Epigenetik der Pflanzen auswirkt.

Erst kürzlich veröffentlichte sie mit ihrer Arbeitsgruppe im einflussreichen Fachblatt "Plant Cell" (Bd. 22, S. 1) neueste Forschungsergebnisse darüber, welche Folgen Hitze für Arabidopsis hat. Das Pflänzchen mag es am liebsten kühl bei Temperaturen unter 15 Grad. Mittelsten Scheid und ihr Mitarbeiter Ales Pecinka haben die Pflanzen zuerst drei Stunden lang Temperaturen von 37 Grad ausgesetzt. "Da gab es zwar auch es eine ganze Kaskade von molekularen Reaktionen. Doch in dem Zusammenhang haben wir keine epigenetischen Veränderungen gefunden." Die zeigten sich erst, als die Hitzeperiode auf 30 Stunden verlängert wurde.

Das Besondere dabei: "Die Aktivierung der Gene passierte ohne Veränderung der klassischen epigenetischen Faktoren, nämlich der sogenannten DNA-Methylierung und der Histon-Modifikation", sagt Mittelsten Scheid. Vielmehr kam es in den Zellkernen zu einer Reorganisation vom gesamten Chromatin, also jenem Material, aus dem die Chromosomen bestehen. Und das schließt nicht aus, dass die Veränderungen dauerhaft bleiben könnten.

Könnten solche epigenetischen Anpassungen ein Hinweis darauf sein, dass sich die Pflanzen besser als gedacht auf den Klimawandel einstellen könnten? Ovidiu Paun jedenfalls ist davon überzeugt. Der aus Rumänien stammende Wissenschafter forscht mit Unterstützung des FWF an der Uni Wien unter anderem über epigenetische Mechanismen bei österreichischen Orchideenarten.

Paun publizierte kürzlich mit Kollegen eine vielbeachtete Studie über die evolutionäre Ausdifferenzierung von verschiedenen Arten des Knabenkrauts in Europa ("Molecular Biology and Evolution", Bd. 27, S. 2465). "Unsere Untersuchungen zeigten, dass sich die genetisch sehr ähnlichen Arten binnen vergleichsweise kurzer Zeit aufgrund von epigenetischen Modifikationen an ganz verschiedene Umweltbedingungen anpassen konnten." Rein genetisch hätte das viel länger gebraucht.

In gewisser Weise erinnern diese epigenetischen Anpassungen an jene Experimente, die der berüchtigte Pflanzengenetiker Trofim Lyssenko unter Stalin durchführen ließ – etwa um kältefesten Winterweizen herzustellen. Diese Versuche scheiterten katastrophal und kosteten etliche Menschenleben. War an den Experimenten im Lichte der modernen Epigenetik womöglich doch etwas dran?

Kein Vergleich mit Lyssenko

Ortrun Mittelsten Scheid ist skeptisch: "Das funktioniert sicher nicht in der Form, in der sich Lyssenko das vorgestellt hat. Seine Arbeiten waren unwissenschaftlich und durch Ideologie und Geltungssucht geprägt." Die Grundidee, dass es durch Umwelteinflüsse möglich ist, die Genexpression der Pflanzen so zu verändern, dass diese über Generationen hinweg stabil bleibt, sei zwar theoretisch möglich. "Steuerbar ist das aber noch längst nicht." (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)