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Sarah Palin hat sich als Wortführerin an die Spitze der Bewegung gestellt. Die vergangenen Tage reiste sie mit dem Tea- Party-Express durch die Staaten, um Stimmung zu machen.

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"20. 1. 2013. Obamas letzter Tag", steht auf dem Aufkleber auf Diana Reimers Wagen.

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Wie es anfing, weiß Diana Reimer noch, auf den Tag genau. Es war am 19. Februar 2009. Das Weiße Haus hatte vorgeschlagen, Hausbesitzer, die mit ihren Zahlungen in Verzug geraten waren, mit einem Milliardenpaket zu unterstützen. Auf dem Parkett der Chicagoer Börse ließ Rick Santelli, ein Reporter des Wirtschaftssenders CNBC, seinem Ärger freien Lauf.

"Das ist Amerika! Wie viele von euch wollen bezahlen für den Kredit eures Nachbarn, der unbedingt ein Extrabad haben musste und nun seine Schulden nicht mehr begleichen kann?" Ringsum begannen die Broker zu johlen, Santelli kam richtig in Fahrt: "Wir denken an eine Tea Party." Bei den Reimers in Lansdale, einem stillen Vorort von Philadelphia, traf er einen Nerv. "Das ist es", dachte Diana. "Da machst du mit." Politik war bis dahin kein großes Thema für sie gewesen, die Krise am Immobilienmarkt dagegen schon.

Auch Don und Diana Reimer hatten ein Einfamilienhaus gekauft, und wie viele Amerikaner benutzten sie es als Sparbüchse. Um Sohn Nathaniel das Studium zu finanzieren, nahmen sie einen zusätzlichen Kredit auf, mit den eigenen vier Wänden als Sicherheit. Was sollte schon schiefgehen, die Partystimmung trieb ja die Preise, ihr Häuschen war von Monat zu Monat mehr wert auf dem Papier. 2006 platzte die Blase, bald verlor Don seinen Job bei einer Versicherung, die Lebensplanung ging in die Brüche. Eigentlich wollten die Reimers ihr Domizil im Grünen verkaufen, um sich mitten in Philadelphia etwas Kleineres zu suchen. Aber beim Verkauf hätten sie Geld zuschießen müssen, um den Kredit abzulösen. Geld, das sie nicht hatten. "Wir steckten fest", sagt Diana.

Um über die Runden zu kommen, fing die quirlige Rentnerin mit 66 wieder zu arbeiten an, bei Macy's, einer Kaufhauskette. Im Grunde wären die Reimers ideale Kandidaten für Obamas Hypothekenhilfe gewesen. "Nein, Almosen von Uncle Sam, das ging uns gegen den Strich", verwahrt sich Diana. "Hilf dir selbst", lautet ihre Maxime, der Staat hat sich rauszuhalten. Zwei Monate nach Rick Santellis Wutausbruch zog sie frierend vors Kapitol in Washington. Es war am Tax Day, dem 15. April, dem Tag, bis zu dem Amerikaner ihre Steuererklärungen abgeben müssen. Die erste Demonstration ihres Lebens. "Ich war einfach wütend, mir passte die ganze Richtung nicht. All diese Defizite."

Heute leiten Don und Diana die Sparte der "Tea Party Patriots" in Pennsylvania. Zehn Stunden täglich sitzen sie im Keller am Computer, knüpfen Kontakte, organisieren Geschichtsstunden über die Gründerväter der US-Nation. Gegen wen sich ihr Ärger richtet, bleibt diffus. Die Siedler, die 1773 bei der Bostoner Tea Party britischen Tee ins Hafenbecken warfen, um gegen britische Steuern zu protestieren, hatten es da einfacher. Ihr Feind war der König im fernen London. Heute wettern die Tea-Party-Patrioten gegen die "Sozialisten" in der Hauptstadt. Barack Obama und Nancy Pelosi, der Präsident und die Parlamentssprecherin, sind ihre Lieblingsfeinde. Gleich dahinter rangiert George W. Bush.

Der häufte Schulden an, um im Irak Krieg zu führen. Rettete marode Banken und half den kranken Autobauern Detroits. Während der Rest des Landes Obama wählte, weil er der Anti-Bush war, sehen ihn die Reimers eher als Fortsetzung Bushs mit anderen Mitteln. Sein Konjunkturpaket halten sie für Geldverschwendung. In Levittown, der Mustersiedlung amerikanischer Vorortidylle, profitierte sogar ein Spirituosenhändler davon, indem er eine Million Dollar an Darlehen kassierte. Werbung macht er keine dafür.

"Stimmt schon, wir hätten es anders anpacken müssen. Weniger mit der Gießkanne, konzentrierter beim Reparieren unserer kaputten Infrastruktur." Josh Shapiro versteht, dass sie echt ist, die Wut im konservativen Lager. Und dass sie weit in die Mitte reicht. Der Demokrat will zum vierten Mal in Folge in den Senat Pennsylvanias gewählt werden. Um die Tea Party, das weiß er auch, kann er keinen Bogen machen. Nach Umfragen sagen 27 Prozent der US-Bürger, dass sie deren Ziele unterstützen. Ed Boyd, ein Bauinspektor aus der Kleinstadt Glenside mit Turnschuhen an den Füßen, fasst in drei Punkten zusammen, wofür die Tea Party steht: "Ausgabendisziplin, freier Markt, Limits gemäß der Verfassung." Letzteres bedeutet eine basisdemokratische Welt ohne Macht für Washington.

Bei Diana Reimer war es die Gesundheitsreform, "Obamacare", die sie richtig auf Trab brachte. "Du musst eine Krankenversicherung haben - wo, bitte sehr, steht das in unserer Verfassung geschrieben?" Falls jemand zweifelt, zieht sie das Dokument aus ihrer Handtasche. Kritiker halten ihr gern Petitionen unter die Nase. Man wolle auf alles Staatliche verzichten, steht darin, auf die Rente, die Nationalparks und Medicare, die subventionierte Gesundheitsversorgung für Alte. "Ich hab mir das alles sauer verdient", entgegnet Diana Reimer. Und wenn sie ihr Nein zu "Obamacare" begründet, merkt man, wie genau sie gerechnet hat, präzis auf sich bezogen.

Heute erhält sie pro Monat 700 Dollar Staatsrente, wovon 95 Dollar für Medicare abgehen. Wächst der Kreis der Versicherten, wird der Medicare-Abzug steigen und ihr Renten-Netto schrumpfen, für Diana Reimer ist es so sicher wie das Amen im Gebet, egal, was die Politiker heute erzählen. Plötzlich klingt sie gar nicht mehr so rebellisch. "Wir brauchen keine großen Veränderungen. Es reicht, wenn wir reparieren, was zerbrochen ist." (Frank Herrmann aus Lansdale/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2010)