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Manchmal können Investmentbanken auch Weitblick beweisen. 2001 erfanden die Volkswirte bei Goldman Sachs die B-Klammer für die aufstrebenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China. "BRIC" dient seither als Synonym für die in ihrer wirtschaftlichen Dynamik sich ähnelnden Staaten. Die Wahl Brasiliens stieß damals auf heftigen Widerspruch.

Im publizistischen Windschatten Chinas und Indiens hat jedoch das Land mit den größten Süßwasserreserven und dem größten tropischen Regenwald der Welt, riesigen, landwirtschaftlich noch wenig genutzten Flächen und enormen Rohstoff- und Ölreserven seit Mitte der 90er-Jahre eine Bilderbuchkarriere hingelegt.

Die harten Reformvorschläge des oft geprügelten Internationalen Währungsfonds (IWF) legten dafür die Basis: Während Anfang der 90er-Jahre die Inflation jährlich durchschnittlich 764 Prozent betrug, schuf der 1994 eingeführte Real und die finanzpolitische Disziplin der Regierung die Voraussetzung für das folgende Wirtschaftswachstum. 2008 schlitterte Brasilien als einer der letzten Staaten in die Weltwirtschaftskrise, Anfang 2009 tauchte es als einer der ersten wieder daraus auf.

Erst vor kurzem kündigte die Regierung an, dem IWF künftig als Geldgeber statt als Schuldner zur Verfügung stehen zu wollen. Bis 2025 stehen Brasiliens Aussichten gut, zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt vor Frankreich und Großbritannien aufzusteigen.

Weltklasseunternehmen

Währungsreform, niedrige Inflation, Öffnung für Welthandel und ausländische Investoren, Privatisierung staatlicher Industrien und Rohstoffreichtum haben einige Weltklasseunternehmen hervorgebracht. Eines davon ist Flugzeughersteller Embraer, für den der oberösterreichische Zulieferer FACC (inzwischen mehrheitlich in chinesischem Besitz) Teile baut. Aber nicht nur Industriepolitik hat Brasilien den Anschluss an die Weltwirtschaft gesichert: Eine der größten Erfolgsstorys ist das Agrarwunder. Innerhalb von drei Jahrzehnten wandelte sich das Land vom Nettoimporteur zu einem der größten Produzenten der Welt. Brasilien ist eines der ersten tropischen Länder, das den Anschluss an die fünf großen Agrarmächte USA, Kanada, Australien, Argentinien und Europa schaffte, die in gemäßigten Klimazonen anbauen. Das Erfolgsgeheimnis: Agrarforschung, Technologie und große landwirtschaftliche Betriebe.

Bei einer Reihe von Produkten, darunter Rind- und Schweinefleisch, Zucker und Kaffee, ist Brasilien zum größten Exporteur der Welt aufgestiegen, bei Sojabohnen liefert es ein Drittel der weltweiten Exporte. All das schaffte das Land laut OECD ohne große staatliche Subventionen: Mit 5,7 Prozent sind diese in Brasilien mit Abstand die geringsten, in den USA sind es zwölf, im OECD-Schnitt 26, in der EU 29 Prozent. Die landwirtschaftliche Expansion beruht nicht auf der - aus anderen Gründen erfolgenden - Abholzung von Regenwälder: Die Agrarproduktion findet in der brasilianischen Steppe Cerrado statt, viele hunderte Kilometer vom Amazonas-Gebiet entfernt. In erster Linie beruht sie auf höherer Effizienz, nicht größerer Landnutzung (siehe Grafik).

Dahinter steht die Arbeit der 1973 gegründeten Forschungsgesellschaft Embrapa, die landwirtschaftliche Produktion unter tropischen Bedingungen erforschte. So ermöglichte die Kreuzung mit afrikanischen Gräsern die Verwandlung der Steppe in fruchtbares Weideland, oder die Adaptierung von Sojapflanzen auf tropische Bedingungen - teilweise durch Einsatz der in Europa verpönten Gentechnik. Brasiliens Erfolg ist noch nicht am Ende: Nur 50 von 400 Mio. Hektar werden derzeit landwirtschaftlich genutzt, schätzt die UN-Ernährungsorganisation FAO. Brasiliens Erfahrungen könnten einem anderen Kontinent mit tropischen Bedingungen helfen: Afrika. (spu/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2010)