Neu im Solondz-Ensemble: Charlotte Rampling

 

Foto: Viennale

Wie erklärt eine Mutter ihrem Sohn, was Pädophilie ist? Wie antwortet sie auf eine Frage, die ganz konkret ist: "Wo gehen die Dinge hin bei einem Jungen?" Timmy weiß zwar, an welcher Stelle sein Körper anders ist als der eines Mädchens, aber ist es wirklich vorstellbar, dass ein Mann sich an seinem "tushy" zu schaffen macht? Auf dieses zugleich zärtliche und obszöne Wort für das menschliche Rektum kann Trish, die Mutter von Timmy, nicht direkt eingehen. Sie gibt eine ausweichende Antwort, obwohl sie weiß, dass es gerade in ihrer Familie besonders schwierig und besonders unumgänglich ist, sich diesen Fragen zu stellen. Denn der Vater, den Timmy für tot hält, ist im Gefängnis. Wegen Pädophilie.

Die Szene höchst belasteter Sexualaufklärung ist typisch für den amerikanischen Filmemacher Todd Solondz. Sie stammt aus seinem jüngsten Film "Life During Wartime". Solondz greift darin einige Figuren und Konstellationen aus dem kontroversen "Happiness" wieder auf, die drei Schwestern von damals stehen wieder im Mittelpunkt, werden allerdings von anderen Darstellerinnen gespielt. In allen Fällen geht es um unterdrücktes Begehren, das sich aber immer wieder auf eine zum Teil höchst merkwürdige Weise Geltung verschafft. Es ist, als laste ein riesiger Druck auf dieser Welt, und die Figuren legen ungeheure Ernsthaftigkeit an den Tag, sich nicht ungehemmt der Perversion hinzugeben - oder zu sterben, endgültig an der Widersprüchlichkeit der eigenen Begierden zu scheitern.

Wie sich diese Psychodramen immer wieder auf den größeren Zusammenhang der Geopolitik (und der jüdischen Blicke darauf) öffnet, das ist die nächste Dimension des höchst spannenden Projekts von Solondz. (Bert Rebhandl/ DER STANDARD, Printausgabe, 25.10.2010)