Graz - Einen sehr leidenschaftlichen Umgang mit einer handlichen Skulptur von Franz West hatte Ivo Dimchev bei Impulstanz im vergangenen Sommer. Der bulgarische Choreograf schlug damit auf sein Bühnenbild und auf ein Fenster ein, bis das Stück, das die Form einer Neun oder Sechs hatte, zerbrach. Dimchev sagte ins Publikum: "Entschuldige, Franz!" , und West, der unter den Zuschauern saß, nahm es gelassen. In der aktuellen Franz-West-Ausstellung Autotheater in der Grazer Kunsthalle ist ein solcher Gebrauch der dort aufgestellten oder -gehängten Arbeiten nicht erwünscht. Aber ein friedlicheres Benutzen einiger der Objekte sehr wohl. Getarnt als Retrospektive stellt sich hier ein Skulpturentheater aus, in dem sich Betrachter und Objekt eine ganze Reihe potenzieller Performances liefern. Ein Stuhl mit einem Paravent etwa ist als Einladung zu verstehen, sich auszuziehen, die Kleidung auf dem Stuhl abzulegen und hinter dem Paravent fünf Minuten lang was auch immer zu tun. Oder in eine Box zu gehen, auf der in großen Lettern steht: "Integral / Wenn sie die Kabine b/etreten und dann hef/tig gestikulieren so e/ntspricht das dem Titel" .
Den Charakter des "Auftritts" seiner Arbeiten verstärkt West noch durch den Entschluss, einige der Transportkisten im Ausstellungsraum stehen und ein Objekt erst gar nicht auspacken zu lassen. Die Arbeitsgesten ihres Entstehens sind Wests Skulpturen anzusehen.
Sie verleihen den Objekten ihre Lebendigkeit. Wenn nun aus dem Betrachter ein Benutzer werden kann, der auch einmal ein "Passstück" in die Hand nehmen und mit dieser ausgeliehenen Körper-Erweiterung in einer weiteren Kabine vor den Spiegel treten darf, komplettiert sich der Charakter des Theaterhaften in Wests Werk.
So hat sich der Künstler listig vom öden Retrospektive-Format befreit und eine wunderbare Kunst-Szenerie ermöglicht. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 23./24. Oktober 2010)