Sineb El Masrar: Muslim Girls. Wer wir sind, wie wir leben. Frankfurt am Main: Eichborn 2010.

Foto: Eichborn

„Da sind wir also! Diese Horde dahergelaufener Terrorismus-Sympathisantinnen. Die sich mit ihren muslimischen Männern wie die Karnickel vermehren, ein Kopftuchmädchen nach dem anderen produzieren ..."

Mit dieser Passage, die über Muslime herrschende Klischeevorstellungen gewaltig auf's Korn nimmt, beginnt Sineb El Masrars „Muslim Girls". Das in flottem Ton verfasste und von Ironie und Witz gespickte Buch möchte gegen gängige Vorurteile, die das Bild junger Frauen aus muslimischen Kulturkreisen maßgeblich prägen, anschreiben. Ein wichtiges und ambitioniertes Anliegen - nicht nur, weil Thilo Sarrazins Aufregerbuch „Deutschland schafft sich ab" nach wie vor durch die Medien geistert.

Klischeebehaftetes Halbwissen 

In „Muslim Girls" beklagt El Masrar den Umstand, dass klischeebehaftetes Halbwissen über Muslime in Deutschland (aber nicht nur dort) allgegenwärtig sei. Auch werde ein völlig verzerrtes Bild von muslimischen Frauen entworfen, indem diese als immerwährend von Gewalt und Unterdrückung betroffen imaginiert würden. „Humor und Freude, innerer und äußerer Reichtum, Kreativität und starker Wille - das sind Vokabeln, die mit muslimischen Frauen kaum bis gar nicht in Verbindung gebracht werden", so die Autorin. Einen wichtigen Grund für diese stark stereotypisierte Wahrnehmung muslimischer Frauen bringt El Masrar kurz und prägnant auf den Punkt: „In der Regel wird nicht mit uns geredet, sondern gerne über uns."

„Ein Stück Stoff"

Da in der öffentlichen Auseinandersetzung über muslimische Frauen das Kopftuchthema die Debatte dominiert, vermag es nicht zu verwundern, dass sich auch El Masrar diesem Thema widmet. El Masrar erklärt die Unterschiede zwischen Niqab, Burka, Hidschab und Tschador und legt ihre Befürchtung, dass Burka-Verbotsgesetze zur Stigmatisierung der Muslime beitragen werden, dar. Sie räumt ein, dass man durchaus geteilter Meinung über „alle diese Kleidungsstücke" sein könne. Letztlich seien sie jedoch „ein Tei der Lebensrealität von Muslimas, die sich darin durchaus wohlfühlen" und folgert: „Uns Muslim Girls ist das Stück Stoff offenbar sehr viel weniger wichtig, als der Rest der Welt denkt."

Systematische Ausgrenzung

Deutlich wichtiger als das Kopftuchthema sind der Autorin die schlechteren Chancen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem. El Masrar führt aus, dass vor allem in den ersten Jahren des Zugangs so genannter GastarbeiterInnen nach Deutschland LehrerInnen mit deren Kindern überfordert gewesen seien, „weil die Kulturministerien keine Konzepte für diese neue Schulsituation" entwickelt hatten. Jahrzehntelang seien die Kinder der GastarbeiterInnen vom deutschen Schulsystem „systematisch ausgegrenzt" worden, beispielsweise indem man ihnen nach Absolvierung der Volksschule trotz guter Noten eine Empfehlung für die Hauptschule, nicht aber für das Gymnasium ausgesprochen habe.

Bunte Medienwelt?

Systematische Ausgrenzung von MigrantInnen ortet El Masrar jedoch nicht nur im Bildungswesen. Auch der deutsche Medienmarkt, die „angeblich so bunte Medienwelt" habe MigrantInnen lange Zeit ignoriert. Die Autorin folgert: „Aber im Spiegel der Medien - in den Printmedien, im Radio und im Fernsehen - wurden wir genauso wenig als Teil dieser Gesellschaft angesehen wie im wahren Leben oftmals auch." Die mangelnde Präsenz von MigrantInnen in den Medien sowie die unausgewogene Berichterstattung über MigrantInnen in so genannten Mehrheitsmedien haben Sineb El Masrar dazu motiviert, ihr eigenes Magazin auf den Markt zu bringen. Seit 2006 erscheint die „Gazelle", die von einem multikulturell besetzten Redaktionsteam produziert wird; ein „deutsches Frauenmagazin für deutsche Frauen - die eben heutzutage oft auch ausländische Wurzeln haben!"

Lesenswert

Mit „Muslim Girls" liefert Sineb El Masrar ein flott geschriebenes, gut recherchiertes und informatives Buch. Kritisch setzt sich die Autorin mit gängigen Klischees über Muslime auseinander, sucht diese unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien zu widerlegen und setzt ihnen zudem ihre eigenen Erfahrungen als Muslima entgegen. Auch wenn der Titel etwas irreführend sein mag, weil es in „Muslim Girls" nicht vorrangig „nur" um Frauen geht und auch wenn man in einzelnen Punkten (Kopftuch) die Meinung der Autorin nicht teilen kann: Lesenswert. (Meri Disoski, 22. Oktober 2010, daStandard.at)