In Wien sind 44 Prozent der Bevölkerung ausländischer Herkunft, in Österreich haben 18 Prozent Migrationshintergrund. Integration ist der Schlüssel für ein möglichst reibungsloses Zusammenleben. Die Frage ist: Wie geht das?

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Die Stuttgarter Zeitung wunderte sich: Wien sei eine so nette und schöne Stadt, gut verwaltet, habe die geringste Straßenkriminalität aller europäischen Hauptstädte und die bravsten Migranten der Welt. Man müsse schon lange suchen, um ein Problem zu finden. Die Wiener fanden eins: die Zuwanderung. Ergebnis: 26 Prozent für die FPÖ.

Tatsächlich hat die FPÖ ihren Wahlkampf in der Bundeshauptstadt mit Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie bestritten. Und das erfolgreich. Denn "Ausländer" sind immer noch ein Thema, das zieht. Letztendlich geht es um die Integration von Zuwanderern oder eben um deren Nicht-Integration. Moschee und Muezzin, außerhalb von Wahlzeiten nicht unbedingt das drängendste Problem der Bevölkerung, sind da nur Platzhalter für Ängste und Vorurteile. Da nutzte es auch wenig, dass sich Wiens Bürgermeister Michael Häupl schon im Frühjahr ungewohnt selbstkritisch auf die Brust klopfte: Ja, es sei in Sachen Integration viel versäumt worden. Aber man habe daraus gelernt und viel auf den Weg gebracht.

In der Steiermark stellte die FPÖ den Kampf gegen Minarette in den Vordergrund ihres Wahlkampfes - obwohl es in der Steiermark kein einziges Minarett gibt. Dennoch war das ein tragendes Thema und brachte der FPÖ immerhin einen Landesrat.

In der Nachwahlanalyse machte sich bei den anderen Parteien Ratlosigkeit breit. Zuwanderer sind ein bestimmendes Thema jeder Wahlauseinandersetzung, ein besonders emotionales Thema, und eines, das negativ belegt ist. Die Freiheitlichen spielen darauf virtuos Klavier. Die Wählerstromanalyse nach der Wien-Wahl hat ergeben, dass das Thema Zuwanderung für 68 Prozent der FPÖ-Wähler das wesentliche Motiv war, Strache die Stimme zu geben. Paradox ist: Die FPÖ ist bei den Migranten zweitstärkste Partei. Das bedeutet, dass die Werbeoffensive der anderen Parteien, die sich massiv wie nie auch um die Stimmen der Zuwanderer bemüht hatten, kaum Erfolg hatte. Auch unter Migranten ist die Angst vor den "anderen" groß. Wer ohnehin auf der sozialen Skala weit unten rangiert, fürchtet den Verdrängungswettbewerb umso mehr.

750.000 Wiener und Wienerinnen, das sind fast 44 Prozent der Gesamtbevölkerung, haben laut dem Wiener Integrationsmonitor "Migrationshintergrund". Das bedeutet, sie sind entweder im Besitz einer ausländischen Staatsbürgerschaft, wurden im Ausland geboren, oder zumindest ein Elternteil wurde im Ausland geboren. Zuwanderung ist in der Stadt also tatsächlich ein Thema. Und für viele offenbar ein Problem, oft nicht ein selbst erlebtes, aber vielfach ein gefühltes Problem.

In Österreich ist der Schnitt etwas niedriger: Zum Stichtag 1. Jänner 2010 lebten 895.000 Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, im Land, das entsprach einem Anteil von 10,7 Prozent an der Bevölkerung. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund, aber mit österreichischer Staatsbürgerschaft, macht fast 18 Prozent aus.

Wenn Politiker nachdenken, wie man mit dem "Problem Zuwanderung" umgeht, landen sie immer bei einer Lösung: Integration. Bloß: Wie funktioniert sie? Während die einen darunter Assimilation oder Anbiederung bis zur Selbstverleugnung verstehen, wird Integration auf der anderen Seite auch als Einladung missverstanden, sich alles zu nehmen, was da ist.

In politischen Sonntagsreden heißt es: Integration darf keine Einbahnstraße sein. Aber wo fährt man hin, wenn man Integration lebt? Und wer kommt einem entgegen? der Standard versucht in einer Serie den Begriff Integration und seine verschiedenen Interpretationen zu klären, anhand von Beispielen zu zeigen, wie Integration funktioniert oder funktionieren könnte und wie sie nicht funktioniert. Experten sollen zu Wort kommen und Betroffene, Skeptiker und Optimisten. Es wird Interviews, Analysen und Reportagen geben, aufgeschlüsselt auf die verschiedenen Lebensbereiche. Und es soll auch nicht verschwiegen werden, wie kontroversiell das Thema Integration in der Redaktion diskutiert wird.

Ein wesentlicher Schlüssel zur Integration ist Bildung. Erste Station ist üblicherweise der Kindergarten. Seit Herbst 2009 gilt das verpflichtende Kindergartenjahr, auch um die Deutschkenntnisse aller Kinder zu fördern. Wien ging noch einen Schritt weiter: Hier ist der Kindergarten für alle seit Herbst vorigen Jahres gratis.

In Wiens Pflichtschulen hat die Hälfte der Kinder eine nichtdeutsche Muttersprache. Für Kinder und Lehrer eine schwierige Herausforderung. In Hauptschulen liegt der Anteil von Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch bei 60 Prozent, in einigen Schulen noch viel höher. Und es gibt Beispiele, wie der Unterricht selbst dann funktioniert, wenn 96 Prozent der Schüler nicht Deutsch als Muttersprache haben.

Im Alltag gibt es Unterschiede, wie zahllose, einander mitunter widersprechende Statistiken belegen: Türkische Männer sind doppelt so oft arbeitslos wie österreichische, Inländer verdienen um 15 Prozent mehr als Migranten, Ausländer arbeiten doppelt so oft am Bau oder in der Gastronomie, Einheimische sind doppelt so oft in Banken oder in der Verwaltung tätig. Migranten sind sozialer, haben in der Regel einen größeren Freundeskreis. Und zu jeder Regel gibt es Ausnahmen, und Ausländer ist nicht gleich Ausländer: Die größte Migrantengruppe sind mittlerweile Deutsche.

Und es gibt jede Menge Vorurteile und jede Menge Erlebtes. Jeder hat schon einmal erlebt oder kennt jemanden, der jemanden kennt, der ...

Im Park zum Beispiel. Die Geschichte kennt in Wien jeder. Türkische Gangs, die den Fußballplatz besetzen und alle anderen vertreiben. Oder der türkische Vater, der in der Schule der Lehrerin nicht die Hand gibt, weil sie eine Frau ist. Einzelfälle zwar, aber auch das gibt es, auch das ist eine Frage der Integration. (Petra Stuiber, Michael Völker/DER STANDARD, Printausgabe, 22. Oktober 2010)