Seit 82 Jahren schon gibt's Würstel beim Leo.

Foto: derStandard.at/Blei

Vera Tondl ist in der dritten Generation Würstelstandbesitzerin.

Foto: derStandard.at/Blei

Sali arbeitet seit drei Wochen hinter dem Grill - lieber als am Kebapstand.

Foto: derStandard.at/Blei

Mühsam seien jene Kunden, die das Würstel schneiden lassen und dann doch ein Hotdog bestellen würden.

Foto: derStandard.at/Blei

"Ich hätte mir nicht gedacht, dass ich den Würstelstand einmal übernehmen werde", sagt Vera Tondl und lacht. "Aber nachdem ich zehn Jahre eine Tankstelle geführt hatte und gescheitert war, bin ich reumütig zu meinem Vater gegangen." Dadurch hat die 53-jährige Tondl in der dritten Generation den Würstelstand Leo an der Kreuzung Nußdorferstraße und Gürtel übernommen. Er ist der älteste noch bestehende Stand in ganz Wien und seit 82 Jahren in Betrieb.

Seit der Gründung 1928 habe sich aber einiges geändert. So hatte etwa Tondls Großvater und Leo-Gründer Leopold Mlynek sen. noch einen beweglichen Wagen die Nußdorferstraße entlang gezogen, um nach einem freien Standplatz zu suchen - tagtäglich außer Sonntag. Im strengen Winter des Jahres 1987 hatte sein Sohn Leopold jun. endgültig genug davon und beschloss daher, den Stand fix zu verankern. 

Den ganzen Tag am Stand

Unter ihrem Großvater wäre es auch noch üblich gewesen, dass Kunden einen ganzen Tag beim Würstelstand verbracht hätten. "Damals sind die Leute wegen dem Schmäh gekommen, aber ich sage immer, dass der Schmäh heute aus ist", erklärt Tondl. Deshalb legt sie auch Wert darauf, dass es bei ihr keinen Schnaps zu kaufen gibt und dass das Bier ausschließlich zum Würstel und nicht alleine serviert wird. "Ich bin eigentlich sehr stolz drauf, dass wir keine Trangler (Trinker, Anm. d. Red.) bei uns haben."

Dafür zählen vor allem junge Nachtschwärmer zum Kundenstamm, die mitunter auch die Lust am Wettessen packt, wie Leo-Mitarbeiter Leschek berichtet: "Es kommt immer wieder vor, dass vor allem Burschen um ein oder zwei Bier wetten, wer am meisten essen kann." Vor einer Woche etwa hätte ein junger Mann fünfzehn Pfefferoni gegessen und zwei Gläser des scharfen Einlege-Wassers getrunken, um seine Wette zu gewinnen. "Nachher hat er aber nicht mehr so fit ausgesehen", sagt der Mitarbeiter, der viele Nachtschichten schiebt und schmunzelt.

Spiele aus drei Generationen

So wie sonst fast alles hätten sich auch die "Spiele" im Laufe der Jahre verändert. "Bei meinem Großvater hat es noch das so genannte Gurkerlspiel gegeben", erzählt Tondl. Dabei hätte einer der Gäste ein Gurkerl in die Luft geworfen und ein zweiter musste es mit einem Reisigbesen so weit wie möglich die Nußdorferstraße hinunter befördern. Der Gewinner habe ein Getränk spendiert bekommen. "Unter meinem Vater als Geschäftsführer war dann das Eierspiel angesagt", erinnert sich die 53-Jährige. "Die Gäste haben versucht, mit hartgekochten Eiern in ein Blumenkisterl im dritten Stock zu treffen. Danach hat's immer ausgesehen auf der ganzen Straße."

Klassiker: Käsekrainer-Hotdog

Derartige Essens-Spielchen werden heutzutage am Gürtel nicht mehr veranstaltet. Ganz reibungsfrei ist der Alltag am Würstelstand dennoch nicht. "Wir haben jetzt einen Running Gag, der nur Hotdog Käsekrainer heißt", erzählt die Inhaberin. Stünde nämlich ein Kunde besonders lange vor der Karte und könne sich ewig nicht entscheiden, dann würde er mit einer fast hundertprozentigen Sicherheit einen Käsekrainer-Hotdog bestellen, den Klassiker am Stand. "Besonders gern habe ich auch Kunden, die mir zusehen, wie ich ihr Würstel aufschneide und dann doch einen Hotdog wollen", meint Mitarbeiter Leschek. Aber das passiere zum Glück eher selten.

Auch Besitzerin Tondl kann nur wenig von schlechten Erfahrungen mit ihrer Bude berichten. Ein Beispiel hat sie trotzdem auf Lager: Einmal sei sie eingeladen worden, einen Gastronomiestand anlässlich des Nationalfeiertages am Wiener Heldenplatz zu betreiben. "Obwohl wir extrem viel Umsatz gemacht haben, bin ich am Ende mit einem Verlust von mehreren tausend Schilling dagestanden", erzählt die Betreiberin. Grund: Die Platzmiete sei zu hoch gewesen. Deshalb werde sie in Zukunft auch nicht mehr auf solche Angebote eingehen.

Löhne vor Lieferanten

Seit drei Wochen arbeitet auch Sali an ihrem Würstelstand, der auf die Frage, ob er es gern täte, nur antwortet: "Adam fragte Eva: Liebst du mich? Und Eva sagte: Was bleibt mir denn anderes über." Tondl gibt zu, dass sie beim Bewerbungsgespräch interessiert gewesen sei, warum ein Mann mit türkischen Wurzeln nicht bei einem Kebap-Stand anfangen würde. Sali gibt die Antwort selbst: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man dort oft seinem Geld nachlaufen muss und nicht immer pünktlich bezahlt wird - an Würstelbuden ist das anders." Und das soll sich laut Besitzerin Tondl auch nicht ändern, denn selbst in den "harten" Monaten von Jänner bis März gilt: "Zuerst bekommen die Angestellten ihr Geld, erst dann werden Miete, Strom und Lieferanten bezahlt."

Die Mutter kommt durch

An die Pension will die Würstelbudenbesitzerin erst in frühestens 15 Jahre denken, denn Ideen für neue Dinge habe sie noch genug. "Ich versuche etwa, den Würstelstand ein wenig gesünder zu machen. Deshalb gibt es jetzt auch Salat und Tomaten zur Wurst", erzählt Tondl und fügt hinzu: "Eigentlich würde ich auch gerne Obst verkaufen, so wie mein Großvater - aber das isst ja heutzutage niemand. Das ist dann doch wieder zu gesund." Den Grund für die "neue Linie" nennt die Besitzerin mit einem Lachen: "Da kommt in mir eben die Mutter durch."

An einen wichtigen Rat des Vaters, den er ihr bei der Übernahme des Geschäfts mit auf den Weg gegeben habe, hält sich Tondl bis heute: "Wurscht was passiert, das Stand'l muss offen bleiben." (Bianca Blei, derStandard.at, 21. 10. 2010)