Wie STANDARD-Karikaturist Oliver Schopf die Urteilsverkündung im Bawag-Prozess sah.

Gerichtszeichnung: Oliver Schopf

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Richterin Claudia Bandion-Ortner mit dem Bawag-Urteil, das jetzt kräftig "zerzaust" wurde.

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Helmut Elsner bei der Urteilsverkündung - seit damals ist viel Zeit vergangen und einiges passiert.

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Massive Bedenken der Generalprokuratur gegen die Urteile im Bawag-Prozess bringen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, die als Richterin für den Monsterprozess verantwortlich war, schwer unter Druck. Alle Oppositionsparteien forderten am Dienstag unisono ihren Rücktritt. Doch die ÖVP, allen voran Vizekanzler Josef Pröll, sieht dafür keinen Grund.

Die Generalprokuratur spricht sich für eine Aufhebung aller Strafaussprüche und die teilweise Neudurchführung der Verfahren aus. "Es sind vor allem Mängel an den Feststellungen im schriftlichen Urteil, die uns veranlasst haben, bei allen Angeklagten die Aufhebung des Strafausspruchs zu empfehlen", erklärte der Sprecher der Generalprokuratur, Wilfried Seidl. Die Expertise ist für den Obersten Gerichtshof (OGH) zwar nicht bindend, meistens folgt das Höchstgericht aber den Empfehlungen. In den Fällen der Ex-Bawag-Granden Helmut Elsner, Johann Zwettler und Peter Nakowitz fällt bei einer Berufungsverhandlung am 22. und 23. Dezember die Entscheidung. Über die Urteile der übrigen Angeklagten wird in einer nichtöffentlichen OGH-Sitzung entschieden.

Bandion-Ortner weist Vorwürfe eines Justizskandals zurück. "Es liegt in der Natur der Sache, dass es in einem Großverfahren verschiedene Rechtsansichten gibt", sagte sie. Außerdem habe die Prokuratur wesentliche Teile des Urteils bestätigt.

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Wien - Der Bawag-Prozess oder große Teile des Verfahrens könnten platzen. Die Generalprokuratur hat in einer Stellungnahme an den Obersten Gerichtshof zahlreiche Mängel im nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Urteil festgestellt. Sollte der Oberste Gerichtshof der Ansicht der Prokuratur folgen, was er in über 90 Prozent der Fälle tut, müssten Teile des Prozesses gegen Helmut Elsner und Co wiederholt werden.

Alle neun Angeklagten im Bawag-Verfahren hatten Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt. Die Prokuratur, die als Art oberste Anklagebehörde dem OGH beigeordnet ist, empfiehlt fünf der neun Schuldsprüche aufzuheben, in vier Fällen wird eine Teilaufhebung empfohlen.

Gänzlich nichtig sei demnach der Schuldspruch gegen Finanzinvestor Wolfgang Flöttl, gegen die Ex-Bank-Vorstände Josef Schwarzecker, Hubert Kreuch, Christian Büttner sowie gegen den Ex-Wirtschaftsprüfer Robert Reiter. Den Beschwerden der ehemaligen Bankchefs Helmut Elsner und Johann Zwettler, sowie von Ex-Bawag-Generalsekretär Peter Nakowitz und Ex-Bawag-Aufsichtsrats-Chef Günter Weninger komme "teilweise Berechtigung" zu, heißt es in der Rechtsmeinung.

Die Prokuratur hat im erstinstanzlichen Schöffenverfahren, das von der heutigen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner geleitet wurde, zahlreiche Verfahrensfehler festgestellt. Die Fehler sind rechtlich komplex. Es geht um Mängel bei der Faktenfeststellungen ebenso wie um falsche rechtliche Schlüsse:

  • Der Hauptangeklagte Elsner wurde in der Erstinstanz zu neuneinhalb Jahren Haft wegen Untreue, Betrug und Bilanzfälschung verurteilt. Beim zentralen Delikt der Untreue bestätigt die Prokuratur das erstinstanzliche Urteil im Wesentlichen. Nur in vier von 18 Punkten sieht sie Mängel. Beispiel Ophelia, eine Finanzgesellschaft Flöttls, der die Bawag zweimal Geldspritzen ohne entsprechende Besicherungen gab. Bei einem dieser Kredite behandelt das Urteil nicht, ob das Verhalten Elsners kausal für den späteren Schaden war. Die Kausalitätsprüfung ist aber Grundvoraussetzung im Strafrecht. Diese und weitere Mängel lassen die Prokuratur zum Schluss kommen, die Verurteilung Elsners wegen schweren Betrugs sei aufzuheben.
  • Probleme gibt es aber auch mit dem europäischen Haftbefehl, mit dem Elsners Auslieferung aus Frankreich erreicht wurde. Elsner wurde im Verfahren auch wegen eines Bilanzfälschungsdeliktes bei der Solidaritätsprivatstiftung ÖGSP verurteilt. Die ÖGSP wurde im Haftbefehl nicht erwähnt. Fällt die Verurteilung wegen der Causa ÖGSP, müsse eine Verjährung aller Bilanzfälschungsdelikte gegen Elsner geprüft werden, so die Prokuratur.
  • Während bei Elsner und Zwettler aber nachrangigere Punkte bemängelt werden, gehen die Probleme bei den anderen Angeklagten tiefer. Bei den Ex-Vorständen Schwarzecker und Kreuch heißt es, das Urteil sei widersprüchlich. An einer Stelle im Urteil steht, dass die beiden von Zwettler und Elsner im Falle eines Geschäftes mit Flöttl über die gegebenen Sicherheiten getäuscht wurden. In einer späteren Passage steht jedoch, ihnen sei die Sachlage klar gewesen.

Ruinen in der Landschaft

  • Beim Schuldspruch gegen Flöttl werde im Urteil "ohne weiteres" unterstellt, Flöttl habe vom Befugnismissbrauch des Bawag-Vorstandes bei den riskanten Vermögenstransaktionen gewusst. Dafür fehle die Begründung - daher wird auch im Falle Flöttls die Urteilsaufhebung empfohlen.
  • Ein weiterer, laut Wiener Strafrechtler Robert Kert, "gravierender Mangel" betrifft die Verurteilung Weningers und Büttners wegen Mittäterschaft. Wieder dreht es sich um Ophelia. Laut Prokuratur ist unklar, wann die beiden über Informationen betreffend der Kredite an Ophelia verfügten.

Änderungen soll es auch bei den Schadenssummen geben. Zwettler soll laut nicht rechtskräftigem Ersturteil einen Schaden von rund 970 Mio. Euro verursacht haben, die Ansicht der Prokuratur bestätigt davon 640 Mio. Euro, im Falle Elsners sind es 1,4 Milliarden (statt 1,72 Mrd.).

Beim OGH wird über die Nichtigkeitsbeschwerden am 22., 23. und allenfalls am 24. Dezember entschieden. Bei Elsner, Zwettler und Nakowitz wird in einer öffentlichen Berufungsverfahren verhandelt. Hebt der OGH die fünf Schuldsprüche wie empfohlen ganz auf, müssen diese Verfahren am Straflandesgericht neu durchgeführt werden. Bei einer Teilaufhebung müsste nur bezüglich der mangelhaften Aspekte neu prozessiert werden.

Die Anwälte der Angeklagten zeigten sich am Dienstag zufrieden. Elsners Verteidiger Stephan Mertens hofft darauf, dass das gesamte Verfahren gegen seinen Mandaten - und nicht nur die Punkte betreffend des schweren Betruges - wiederholt wird. "Was von der Untreue übrig ist, steht wie eine Ruine in der Landschaft da", sagte er dem Standard.

Sollte es zu einer Neuauflage des Prozesses kommen, werde man mit neuen Gutachten für einen Freispruch des noch Untersuchungshäftlings Elsner kämpfen. (szi, simo, gra, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.10.2010)