Aus dem Himmel über Dänemark regnet es schwarze Schleier über Claudius Körber als Hamlet (li.) und Leon Ullrich als Horatio.

Foto: Manninger

Graz - Schwarz gekleidet hockt Hamlet wie ein Rabe auf einem Stehpult und dreht der Welt den Rücken zu. So erscheint Claudius Körber zu Beginn von Theu Boermans' Inszenierung am Grazer Schauspielhaus. Dieser Dänenprinz hat nichts Gedankenverlorenes oder Traumwandlerisches.

Er ist wie ein zorniger Teenager, bitter von der Enttäuschung und angewidert von der Welt der sogenannten Erwachsenen, die im Hintergrund während seiner Monologe johlend, tanzend und saufend hinter einem transparenten Vorhang ihre Macht feiern.

Sein Onkel Claudius (Stefan Suske), der Mörder von Hamlets Vater, wird an diesem Pult später eine Rede halten. Ganz im Stil des schamlosen Politikers, der die größten Schweinereien als Notwendigkeit verkauft.

Zwischendurch fallen immer wieder Kleidungsstücke aus dem Schnürboden. Schwarze Hosen flattern wie sterbende Vögel zu Boden, weiße Schleier der Unschuld senken sich wie Nebel herab. Der Kleiderregen wiederholt sich in allen Farben und gibt auf der minimalistischen Bühne Bernhard Hammers einen stillen, unheimlichen Takt an.

Gefühle ohne Pathos

Körber spielt seinen Hamlet, ohne jemals in Pathos oder Kitsch abzurutschen. Das gilt für die gesamte Inszenierung von Boermans, der keine Scheu vor großen Gefühlen hat, es aber schafft, diese nüchtern abzubilden. So rührt etwa auch eine für die Rolle zwar junge, aber ihr doch gewachsene Birgit Stöger als Gertrud, wenn sie weinend von Ophelia an deren Grab Abschied nimmt.

Stefan Suske als Claudius bringt gemeinsam mit Franz Xaver Zach (Polonius) eine Prise Komik in die tragische Geschichte. Etwa wenn er als überforderter Macho angesichts der etwas zu hysterischen Ophelia (Claire Vivianne Sobottke) seine Gattin grummelnd bittet: "Gertrud, mach du!" Manchmal nur gleitet die Übersetzung von Marius von Mayenburg zu sehr ins Saloppe ab, was die elegant in die Gegenwart geholte Inszenierung nicht nötig hätte.

Vom College in die Schlacht

Unter den vielen jungen Neuzugängen dieser Saison ist Leon Ullrich ein Gewinn, der mit seinem unaufgeregten, präzisen Horatio perfekt Körbers glaubwürdigen Hamlet ergänzt. Gelungen ist auch die Performance von Hamlets sogenannten Freunden Rosenkranz (Gustav Koenigs) und Güldenstern (Alexander Knaipp). Sie spazieren wie spaßsüchtige Collegestudenten auf das bald blutige Schlachtfeld.

Auf Letzterem schaffen gegen Ende die Kleiderberge - wie Sünden, die man nicht mehr wegräumen kann - ein unwegsameres Gelände. Der Rest bleibt unausgesprochen, denn das Schweigen des Todes holt hier das letzte Wort Hamlets ein. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, Printausgabe, 20.10. 2010)