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Polizisten vor dem Tatort, dem PiS-Büro in Lodz. Im Hintergrund Wahlplakate mit Parteichef Jaroslaw Kaczyñski, dem Zwillingsbruder des tödlich verunglückten Staatspräsidenten Lech Kaczyñski.

Foto: EPA/RAFAL GOLY

Ein tödlicher Angriff auf Mitarbeiter der rechtsnationalen Oppositionspartei PiS verschärft das politische Klima in Polen weiter. PiS-Chef Jaroslaw Kaczyñski macht Premier Donald Tusk für die Bluttat verantwortlich.

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Warschau/Wien - "Das ist das Ergebnis einer Hasskampagne, die seit geraumer Zeit gegen die PiS geführt wird" , sagte Jaroslaw Kaczyñski, Chef der rechtsnationalen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), am Dienstag kurz nach der Bluttat in der zentralpolnischen Stadt Lodz. Laut Polizei war das Motiv des Täters zu diesem Zeitpunkt noch unklar.

Ein 62-jähriger Mann, nach Medieninformationen ein Blumenhändler aus Czestochowa (Tschenstochau), hatte im Lodzer PiS-Büro den Assistenten des Europaabgeordneten Janusz Wojciechowski mit einer Pistole erschossen. Dann stach er mit einem Messer auf den Mitarbeiter eines anderen Abgeordneten ein und verletzte ihn schwer. Den Attentäter habe offenbar "Hass auf die Partei" Kaczyñskis angetrieben, sagte ein am Tatort anwesender PiS-Lokalpolitiker der Zeitung Gazeta Wyborcza: "Er hat gesagt, dass er Kaczyñski umbringen will." Zunächst habe der Täter alle Patronen aus seiner Pistole abgeschossen und dann seinen Angriff mit dem Messer fortgesetzt. Die Polizei nahm den Täter fest, er verweigere jedoch die Aussage, sagte ein Sprecher.

Der Europaabgeordnete Wojciechowski sagte zu Journalisten, er sei "schockiert" über die Tat. Sein verstorbener Assistent Marek Rosiak sei ein "gewissenhafter und verantwortungsvoller Mitarbeiter" gewesen. Parlamentspräsident Grzegorz Schetyna von der rechtsliberalen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) sagte, es sei "etwas Schreckliches passiert" . Die Politik müsse sich nun Gedanken darüber machen, wie man in Zukunft solchen Situationen vorbeugen könne.

Kaczyñski seinerseits warf Ministerpräsident und PO-Chef Donald Tusk persönlich vor, eine Hasskampagne gegen die PiS gestartet zu haben. Die Regierung müsse für den Schutz der Parteibüros und ihrer Mitarbeiter sorgen. Jedes weitere Wort des Hasses gegen die PiS käme einem Mordaufruf gleich.

Kaczyñskis schnelle Schuldzuweisung lässt erwarten, dass er aus der Tat politisches Kapital schlagen will, wie er dies bereits nach dem Tod von Staatspräsident Lech Kaczyñski, seines Zwillingsbruders, beim Absturz der Präsidentenmaschine am 10. April nahe dem russischen Smolensk getan hat. Auch für seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen Anfang Juli gegen den PO-Kandidaten Bronislaw Komorowski machte er eine angebliche Hasskampagne des Regierungslagers verantwortlich.

Tatsächlich hatte es landesweit Kritik daran gegeben, dass Lech Kaczyñski auf dem Krakauer Wawel, dem historischen polnischen Königsschloss, beigesetzt wurde. Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger Botschafter in Österreich, zweimaliger Außenminister und heute Beauftragter von Premier Tusk für die Beziehungen zum Ausland, warf Kaczyñski in einem Standard -Interview politisch motivierte Nekrophilie vor. Das Interview wurde von polnischen Medien aufgegriffen und erregte großes Aufsehen.

Kaczyñskis jetzige Reaktion ist auch mit Blick auf die Kommunalwahlen am 21. November zu sehen. Dabei setzt die PiS auf allgemeine Fragen wie Kritik am Wirtschaftsliberalismus. Die PO wiederum streicht lokale Themen hervor. Sie will damit nicht nur der Politikmüdigkeit vieler Polen entgegenkommen, sondern auch Grundsatzdebatten vermeiden, die ihr schaden könnten. Ein aktuelles Beispiel ist das geplante Gesetz zur künstlichen Befruchtung. Dazu liegen sechs Gesetzesentwürfe vor, allein zwei - einander konkurrierende - von der PO, die auch auf ihre katholischen Wähler Rücksicht nehmen muss. Die jüngste Äußerung des Erzbischofs von Warschau-Praga, Henryk Hoser, verdeutlicht die Schärfe der Auseinandersetzung: Wer im Parlament für die künstliche Befruchtung stimme, schließe sich selbst aus der Kirche aus. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 20.10.2010)