Beichtstuhl-Verfahren heißt das Prozedere, in dem alle Ressortchefs zum Finanzminister pilgern, der ihnen dabei Teile ihrer Budgets abknöpft. Die Rahmenbedingungen für die Einsparungen standen dabei schon vor den Verhandlungen am Montag fest: Schließlich hat sich die Koalition bereits längst auf einen strikten Sparkurs geeinigt und will kein Ressort ungeschoren lassen. Das dominante, ja einzige Ziel der nunmehr hektischen Budgeterstellung ist ein niedrigeres Haushaltsdefizit.

Keine Frage: Dies ist ein wichtiges, sogar unvermeidbares Vorhaben. Doch Budgetpolitik sollte mehr als das Erstellen von aktuellen Zahlenreihen sein. Eine Regierung, die in solchen turbulenten Zeiten ein Budget erstellt, stellt damit auch politische Weichen für eine gar nicht so ferne Zukunft.

Die versäumten Pensionsreformen der Vergangenheit kosten den Steuerzahler bereits heute viele Milliarden - und wenn nicht bald etwas gegen die grassierende Frühpensionitis unternommen wird, dann werden die Budgetnöte späterer Finanzminister noch viel größer sein. Bei allen politischen Zwängen, denen sie sich ausgesetzt sieht, hat die rot-schwarze Regierung es jetzt in der Hand, die kommenden Realitäten dieses Landes zu prägen.

Dies gilt genauso für die vom Staat unternommenen oder unterlassenen Bauprojekte. In den Neunzigerjahren wurde der Autobahnausbau in den Osten aus fadenscheinigen innenpolitischen Gründen vernachlässigt. Eine Folge davon ist, dass Österreichs sonst so erfolgreiche Kfz-Zulieferindustrie im aufstrebenden Autoproduktionsland Slowakei heute kaum einen Absatzmarkt findet.

Die Weichenstellungen von heute betreffen in erster Linie den Bereich Bildung. Dort ist die Regierung gerade dabei, die ohnehin maroden Universitäten mit weiteren Kürzungen - sowie dem SP-Njet zu Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen - endgültig zu zerstören. Die Erkenntnis, dass Österreich damit seine wirtschaftliche Zukunft verspielt, beeindruckt die Koalition genauso wenig wie das bisschen Widerstand, das Rektoren, Professoren und Studierende dieser Politik entgegenbringen.

Dafür aber wird das - darin sind sich alle ernsthaften Verkehrsexperten einig - sinnloseste Bahnprojekt Österreichs weiter vorangetrieben. Der Kor-almtunnel zwischen Graz und Klagenfurt wird zehn Milliarden Euro kosten und niemals ausreichend genutzt werden. Das Geld, das dort vergraben wird, fehlt - wie Wifo-Chef Karl Aiginger am Wochenende deutlich machte - an allen Ecken und Enden, und vor allem in der Bildung. Aus Rücksicht auf steirisch-kärntnerische Regionalinteressen werden komplett falsche Prioritäten gesetzt.

Aber auch hier hat die Regierung, vor allem Infrastrukturministerin Doris Bures, noch Spielraum. Während die Budgetverhandlungen laufen, bietet sich mit der Entscheidung über das wichtigste Baulos jetzt die letzte Chance, den Tunnelbau zu einem noch erträglichen Preis zu stoppen oder zumindest auf Jahre zu verschieben. Wird das Los einmal vergeben, sind die Weichen für die Fertigstellung gestellt.

Andere Budgetentscheidungen, die in den nächsten Tage fallen, lassen sich später korrigieren, der Tunnelbau aber nicht mehr. Daher sagt die Kor-almbahn viel mehr über Erfolg oder Scheitern der Faymann-Pröll'schen Politik aus als irgendeine Steuererhöhung oder Sparmaßnahme. Wird an ihr weiter gebaut, entsteht ein Mahnmal für die Torheit der Regierenden. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2010)