Clemens Jabloner: "Man kann niemandem den Vorwurf machen, dass er Rechtsmittel ausnützt"

Foto: Regine Hendrich

Mehrjährige Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof führten bei beiden Abschiebungsfällen, die in den letzten Wochen für Aufregung sorgten, dazu, dass die Familien sich in ihrer Umgebung inzwischen integriert haben. Genau das veranlasste SPÖ und ÖVP in den letzten Tagen zu Kritik am Gerichtshof: Es sei "unverständlich", dass Verfahren vier Jahre dauern, meinte Josef Cap im ORF am Sonntag. Und Innenministerin Maria Fekter legte am Montag noch eins drauf: Der VwGH sei "ein Sorgenkind", meinte Fekter.

VwGH-Präsident Clemens Jabloner gibt im derStandard.at-Gespräch den Ball zurück: "Primär liegt die Verantwortung beim Gesetzgeber" – dieser habe durch häufige Gesetzesänderungen und fehlende Strutkurreformen den Gerichten die Arbeit erschwert, und damit Verfahren verlängert. Maria Sterkl stellte die Fragen.

derStandard.at: Dass Asylsuchende vier Jahre warten müssen, bis der Verwaltungsgerichtshof über ihr Anliegen entscheidet, sorgte jüngst für Kritik. Ist der Verwaltungsgerichtshof ein Sorgenkind, wie Maria Fekter meint?

Jabloner: Das ist ein Versuch, in einer schwierigen politischen Situation den Schwarzen Peter dem Verwaltungsgerichtshof zuzuschieben. Dass wir überlastet sind mit dem Fremden- und Asylrecht, bitte das steht seit zwei Jahrzehnten fest. Man kann ja nicht sagen, wir konzentrieren uns jetzt nur aufs Fremden- und Asylrecht, und alle anderen lassen wir warten. Außerdem wurden ja die Gesetze andauernd geändert - in überstürzender Weise muss alles neu judiziert werden.

derStandard.at: Die Regierungsparteien sind also selbst Schuld an den langen Verfahren?

Jabloner: Primär liegt die Verantwortung beim Gesetzgeber, der sehr schwierige Gesetze erlässt, die ausjudiziert werden müssen. Und natürlich bei den institutionellen Vorkehrungen, die ja ebenfalls vom Verfassungsgesetzgeber zu treffen sind. Seit langer Zeit streben wir eine Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit an, und nun ist wieder nichts passiert, obwohl es ja im Regierungsprogramm steht.

derStandard.at: Die Innenministerin hat auch die aufschiebende Wirkung kritisiert.

Jabloner: Im Gesetz ist angeordnet, dass die aufschiebende Wirkung ohne Rücksicht auf den Verfahrensausgang gewährt wird, es kommt nur auf eine Interessensabwägung an. Und mir ist doch als Richter wohler, wenn jemand vorläufig hierbleiben kann, auch wenn er am Ende keinen Asylgrund hat, als man schickt jemanden zurück in ein Land, wo er womöglich gefoltert wird. Da ist doch klar, wie diese Wertentscheidung ausgehen wird.

derStandard.at: Wie stehen Sie zum öfters geäußerten Vorwurf, Asylwerber würden einen „Berufungsmarathon" absolvieren, um sich ein Aufenthaltsrecht sozusagen über die Hintertür zu erschleichen?

Jabloner: Man kann das nicht als Vorwurf sehen. Die Verwaltung tritt dem Asylsuchenden negativer entgegen als einem Bauwerber oder einem Steuerpflichtigen. Dass auf der anderen Seite Entscheidungen nicht akzeptiert werden, sondern alles getan wird, um Verfahren in die Länge zu ziehen, das ist klar. Aber man kann ja in einem Rechtsstaat niemandem den Vorwurf machen, dass er Rechtsmittel auch ausnützt.

derStandard.at: Heute wäre eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof für die Betroffenen gar nicht mehr möglich, denn nun gibt es den Asylgerichtshof, der relativ rasch quasi letztgültige Entscheidung trifft. Ist das Problem damit zufrieden stellend gelöst?

Jabloner: Nein. Wir waren immer dagegen, weil das eine Minderung des Rechtsschutzes war. Außerdem hat man das Gefüge des Rechtsschutzes in Unordnung gebracht, weil jetzt der Verfassungsgerichtshof sehr stark unter Druck geraten ist. Natürlich muss ich zugeben, dass man den Verwaltungsgerichtshof dadurch entlastet hat. Aber zufrieden? Zufrieden wäre ich nur mit einer Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

derStandard.at: Der Präsident des Asylgerichtshofs ist stolz darauf, dass nur ein verschwindend kleiner Teil der Entscheidungen vom VfGH bemängelt wird. Zu Recht?

Jabloner: Das ist zu relativieren. Der VfGH prüft ja nur exzessive Fehler. Die normale Kontrolle des Gesetzesvollzugs, wie sie ansonsten üblich ist, erfolgt ja hier nicht, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht mehr beteiligt ist. (Maria Sterkl, derStandard.at, 18.10.2010)