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Gegen die Vätergeneration: Thomas Harlan.

Foto: Archiv

Berchtesgaden/Berlin - Auf die Frage, ob sein Nachname für ihn ein Ärgernis darstelle, hat Thomas Harlan in einem seiner letzten Interviews geantwortet: "Das ist ein sehr alter Stachel, und der ist endgültig drin. Ich habe ja den Entschluss gefasst, meinen Namen nicht zu ändern. Richtig zu beschweren ist nicht möglich, wenn man sich das einhandelt." Man ist versucht zu sagen: ein Werk nicht im, sondern gegen den Namen des Vaters, Veit Harlan, wenn man auf die Filme und Bücher von Thomas Harlan blickt. Und doch läge in dieser Einschätzung eine falsche Reduktion, weil das Werk mehr als Kunst gewordene Psychoanalyse ist, das Genre des Familiendramas weit übersteigt.

Als Filmemacher, Schriftsteller, linker Intellektueller und Historiker aus Deutschland hat Thomas Harlan seinem familiären Hintergrund ein Projekt abgerungen, das zu den beeindruckendsten Auseinandersetzungen mit einer Vätergeneration zählt, in der sein Vater, der Regisseur Veit Harlan (Jud Süß), eine weithin sichtbare Figur war. Das brachte eine Kindheit umgeben von Nazigrößen mit sich - die prägnantesten Anekdoten hat der 1929 in Berlin geborene Harlan oft erzählt: wie er mit am Tisch saß, als Ferdinand Porsche und Hitler über den Volkswagen nachdachten, wie Goebbels für das Geburtstagskind mitten in der Nacht das "arisierte" Kaufhaus Wertheim öffnen ließ und die Gestapo dabei Spalier stand.

Erst in den letzten Jahren, nachdem Christoph Hübner und Gabriele Voss mit dem Interviewfilm Wandersplitter die Biografie Thomas Harlans wieder in die Öffentlichkeit geholt hatten, wurden auch seine Filme wieder sichtbar, vor allem Wundkanal, der bei seiner Berlinale-Premiere 1985 als Skandalon galt, weil ein hochrangiger Nazi - Alfred Filbert - darin sich selbst spielte.

Aus heutiger Sicht scheint es fast so, als ob ein historiografisches Projekt, das nie fertiggestellt wurde, insgeheim im Zentrum von Harlans Werk hätte stehen sollen. Der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli hatte Harlan in den 60er-Jahren Forschungen finanziert, um in polnischen Archiven nach juristisch belastbaren Beweisen für die Verbrechen der Nazis zu recherchieren und eine Monografie zu verfassen.

Es sollte ein Buch werden, das zeigt, wie systematisch die Strukturen der BRD aus denen der Nazi-Zeit hervorgegangen waren. Aus verschiedenen Gründen wurde das Buch nie publiziert, aber das Material floss in die beiden Romane Rosa (2000) und Heldenfriedhof (2006) ein, die der Geschichte zwar keinen Sinn, aber eine ästhetische Form abringen. Am vergangenen Samstag ist Thomas Harlan in einem Lungensanatorium in der Nähe von Berchtesgaden gestorben. (Simon Rothöler, DER STANDARD - Printausgabe, 19. Oktober 2010)