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Spektakulärer Fund der Polizei in Guadalajara: eine Waffenkammer der Drogenbanden, gespickt mit bizarr verzierten automatischen Waffen.

Foto: REUTERS/Alejandro Acosta

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Kollegen und Verwandte des jungen Mordopfers beim Begräbnis im September.

Foto: REUTERS/Alejandro Bringas

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Die nächste Warnung der Kartelle: Vor dem Sendestudio des einflussreichen TV-Senders Televisa in Ciudad Victoria explodierte Ende August eine Autobombe.
Foto: REUTERS/Henry Romero

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Drogenboss "Barbie" wurde gefasst.

Foto: REUTERS/Henry Romero

Luis Carlos Santiago begegnete seinen Mördern auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Ciudad Juarez, Nordmexiko. Es war Mittag, Santiago kam vom Essen, ein Auto fuhr vorbei, Santiago brach, von dutzenden Schüssen getroffen, tot zusammen. Erst zwei Wochen zuvor hatte der 21-Jährige ein Praktikum in der Bildredaktion des Diario de Ciudad Juarez, einer von vier Lokalzeitungen der Millionenstadt am Grenzfluss Rio Grande, begonnen. "Was wollt Ihr von uns?", stand am Tag nach der Bluttat in dicken Lettern auf der Titelseite. Und: "Sagen Sie uns, was Sie von uns als Zeitung erwarten."

"Sie", das sind die Drogenkartelle Juarez und Sinaloa, deren Terror seit 2008 allein in Ciudad Juarez 4.000 Menschen das Leben gekostet hat. Und die nach den Worten des Diario mittlerweile die eigentliche Autorität in dem Landstrich an der Grenze zu den USA darstellen. Während die Gewalt bis vor wenigen Monaten noch auf Städte wie Tijuana und Ciudad Juarez beschränkt war, greifen die Kämpfe der Kartelle untereinander und gegen die Sicherheitskräfte mittlerweile wie Metastasen im gesamten Norden Mexikos um sich. Die Staatsmacht, die den Banden den Krieg erklärt hat, steht dagegen auf verlorenem Posten.

Selbstzensur und Rechtlosigkeit

Kaum eine Zeitung wagt es noch, über die ausufernde Gewalt der mexikanischen Drogengangs zu berichten. Obwohl die bürgerkriegsartigen Kämpfe Städte wie Ciudad Juarez teils stundenlang lahmlegen, findet sich vielerorts kein Hinweis darauf in den Lokalblättern. Aus Angst davor, dass ihren Journalisten ein ähnliches Schicksal droht wie Luis Carlos Santiago. Die Vorsicht scheint keineswegs übertrieben. Mindestens 65 Journalisten wurden seit 2000 in Mexiko ermordet, die meisten davon in den vier Jahren seit 2006, als Präsident Felipe Calderon seine umstrittene Offensive gegen die Drogenkartelle einläutete. 90 Prozent der Morde blieben nach Angaben der US-Organisation Committee to Protect Journalists (CPJ) bis heute ungeklärt.

Gewalt in Bild und Text

Dort, wo die traditionellen Medien aufgrund der Gewalt resignieren, füllt seit März 2010 der Blog del Narco (Achtung: teils extrem explizite Fotos, Anm.) die Informationslücke. Drei Millionen Hits zählt die Seite mit den Berichten von der Drogenfront mittlerweile pro Woche. Was Zeitungen nicht drucken können oder wollen, findet im Netz ein Forum. Oft mit drastischen Fotos, die das Grauen, das sich in den Straßen Nordmexikos Tag für Tag und Nacht für Nacht zuträgt, hochauflösend und im Detail abbilden.

Hinter der Whistleblower-Seite soll ein etwa 20-jähriger Informatikstudent aus dem Norden Mexikos stecken, der von seinem Laptop aus an unterschiedlichen Orten ins Netz einsteigt und seinen Blog updatet. Welcher Name sich hinter dem Blogger verbirgt und von wo aus er seine Text- und Bildberichte ins Netz hochlädt, muss streng geheim bleiben. Nur zwei Menschen sollen von dem gefährlichen Hobby des Studenten wissen.

Ähnlichkeiten zu Wikileaks

Selbst Verbindungen zu Drogenkartellen zu haben, streitet er ab. "Ich bin weder für noch gegen die Kartelle", sagt der Blogger, der täglich zwischen 70 und 100 E-Mails bekommt, in denen ihn Informanten mit Gerüchten oder Fakten versorgen. Ähnlich wie Wikileaks bewertet der Blog del Narco die Informationen nicht, die er veröffentlicht. "Es ist eine Art technologischer Flohmarkt, viel Dreck, aber oft findet man Dinge, die interessant sind", sagte Mexiko-Experte George W. Greyson dem US-Wochenblatt Newsweek.

Unter den Lesern des Blogs sollen sich nicht nur interessierte Bürger, sondern auch Polizisten und Drogenkuriere finden. Deshalb hat der Blog auch nicht nur Fans, sondern ruft Kritiker auf den Plan, die darin nicht nur Aufklärung sehen, sondern auch eine Bühne und ein Forum für Kriminelle entdeckt haben wollen. "Die Gangs nutzen die Wirkung solcher Bilder genauso bewusst wie die Jihadisten in ihren Foren, um ihren Terror noch zu verstärken", sagte Scott Steward vom Sicherheitsdienstleister Stratfor in einem Newsweek-Interview. Andererseits nutzen viele User die Seite auch, um andere vor akuten Gefahren in ihrer Umgebung zu warnen.

"Wenn die Menschen in der Früh aufwachen und nichts über die Schießereien in der Nacht lesen können, greifen sie auf Soziale Netzwerke wie Twitter oder eben auf Blogs zurück", sagt der politische Analyst Daniel Lund vom Thinktank MUND Americas in Mexico City. "Wir werden sehen, was es bedeutet, wenn Blogs die Mainstreammedien nicht mehr ergänzen, sondern ersetzen." (flon/derStandard.at, 27.10.2010)