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Foto: reuters/white
Wien - Es dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Dann war die Sehnsucht nach Cola, Junkfood und Schokolade zumindest halbwegs besiegt. Dafür, erklärt Sally Silverstone, "hatten wir, als wir herauskamen Blutwerte, die denen von kleinen Kindern entsprachen. Unser Arzt meinte, wir wären jünger geworden."

Silverstone war Containerbewohnerin. Im weitesten Sinn. Die 57-jährige Britin lebte von 1991 bis 1993 im wohl ersten (und sinnvollsten) freiwilligen, beobachteten hermetischen Habitat für Menschen: In "Biosphere 2", dem an eine Mondstation erinnernden Labor in der Wüste von Tucson, (Arizona), in dem acht Menschen zwei Jahre lang ein autarkes Leben in einem geschlossenen System probten, war sie für die Ernährung der Crew verantwortlich.

Seither zieht Silverstone als gefragte Referentin über nachhaltige Ernährung durch "Biosphere 1" ("Wir werden immer gefragt, wieso das Biosphere 2 hieß: die Erde ist der erste geschlossene Lebensraum."). Am Dienstag war Silverstone in Wien, im Naturhistorischem Museum.

Keine Diätlügen

Das Ernährungs-Fazit aus den zwei Jahren, in denen die achtköpfige Besatzungstation mit dem auskommen musste, was sie auf einem halben Hektar Anbaufläche selbst erwirtschaftete, liest sich wie das Credo aller Gesundheits-, Öko- und Bio-Apostel der letzten Dekaden: "Egal wen man fragt, alle Menschen lügen, wenn sie sagen, was sie essen. Wir konnten nicht lügen. Und siehe da: Der Schlüssel für eine gesundes, langes Leben liegt in einer gesunden, ausgewogenen Ernährung."

Dabei, gibt Silverstone zu, sei die Umstellung von der "typischen" auf viel Fett, viel Zucker und viel Fleisch basierenden Diät des klassischen Industrienations-Bewohners auf fettarme, "zu 90 Prozent vegetarische" und pestizidfrei ("in diesem kleinen Kreislauf waren Auswirkungen viel schneller zu sehen") angebaute Nahrung gar nicht ideologisch motiviert gewesen: Wie im echten Leben auch, verbrauchen Rohrzuckeranbau und Tierzucht extrem viel Raum und Ressourcen - und zwar in einem Ausmaß, das in keinem Verhältnis zum Ernährungswert steht: Im geschlossenen Kreislauf "Biosphere 2"konnte man sich Ess-Luxus im gewohnten Ausmaß schlicht nicht leisten.

Dass dies in "Biosphere 1" grundsätzlich nicht anders sei, bestätigte Silverstone, die vor ihrer Laborzeit lange Jahre für Entwicklungshilfe-Ernährungsprogramme arbeitete: "Biosphere 2 war zwar extrem. Aber bei einer Reduktion des Konsums auf ein vernünftiges Maß, würde sich auf der Erde genug Nahrung für alle produzieren lassen - es ist aber auch eine Frage der Verteilung."

Freilich: Den reinen Ess-Purismus zu predigen, käme Silverstone nicht in den Sinn. Darum referierte sie in Wien im Büro von Bernd Lötschs Naturhistorischen Museum auch bei einem klassischen Wiener Frühstück. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 30.5./1.6.2003)