Wien- Scharfe Kritik an der geplanten Abschiebung einer angeblich suizidgefährdeten Armenierin übt die Volkshilfe Wien. Die 58-jährige Frau wurde nach Angaben der Hilfsorganisation am Mittwochvormittag in Schubhaft genommen. Ihre 14-jährige Tochter sollte von der Fremdenpolizei aus der Schule abgeholt werden, war jedoch nicht auffindbar, wie auch die Polizeidirektion Wien bestätigte. Die ursprünglich geplante Überstellung der Frau nach Ungarn wird allerdings offenbar ausgesetzt. Oberste Priorität habe nun die Suche nach der Tochter, sagte eine Polizei-Sprecherin der APA.

Vier Jahre im Verfahren

Die beiden Armenierinnen werden von der Volkshilfe in einem Flüchtlingswohnhaus betreut. Sie waren nach Angaben der Polizeidirektion Wien im Februar 2006 über Ungarn nach Österreich gekommen, ihr Asylantrag wurde im März 2006 zurückgewiesen. Auch der Bundesasylsenat wies die Berufung gegen die Ausweisung im April 2006 ab, eine dagegen beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingebrachte Beschwerde wurde am 6. Mai 2010, nach vierjähriger Verfahrensdauer, abgelehnt.

Wie die Volkshilfe weiter mitteilte, sei die Frau aufgrund traumatischer Fluchterfahrungen seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. "Bei ihr besteht höchste Suizidgefahr", heißt es seitens der Organisation. Demnach war die Frau, deren Namen die Volkshilfe nicht veröffentlichen möchte, nach einem gescheiterten Selbstmordversuch von 15. bis 23. September im Wiener AKH in Behandlung.

Tochter vermisst

Da die beiden Armenierinnen über Ungarn nach Österreich eingereist waren, sollten sie laut Volkshilfe am Donnerstag gemäß der innerhalb der EU geltenden Dublin-Vereinbarung dorthin abgeschoben werden. Nachdem die Tochter Mittwochvormittag in die Schule aufgebrochen sei, habe die Fremdenpolizei die Mutter ins Polizeianhaltezentrum gebracht, sagte eine Volkshilfe-Sprecherin der APA. Die Tochter sollte von der Fremdenpolizei aus der Schule abgeholt werden, wurde dort aber nicht angetroffen. Seither fehle jeder Hinweis auf ihren Aufenthaltsort. Derzeit versuche die Volkshilfe gerade, die Mutter in der Schubhaft zu besuchen. 

Laut Stephan Amann, Abteilungsleiter Flüchtlingsbetreuung bei der Volkshilfe Wien, wurden Sozialarbeiter der Volkshilfe am Mittwochabend nicht zu der im Polizeianhaltezentrum inhaftierten Frau vorgelassen - und zwar unter Verweis auf den schlechten Zustand der Armenierin. Seinen Angaben zufolge hat die Fremdenpolizei bereits am 15. September versucht, die beiden Armenierinnen abzuschieben. Die Mutter habe daraufhin einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten unternommen und sei ins AKH gebracht worden. Zudem sei die Frau bereits zuvor wegen Suizidgefahr in psychiatrischer Behandlung gewesen. Für Amann ist der rasche neuerliche Abschiebungsversuch daher unverständlich. Es sei ihm nicht erklärlich, "woher dieser Zeitdruck kommt, bei jemandem der Selbstmordgedanken hat und bei dem sich die Perspektive wie im Tunnelblick verengt".

Abschiebung befürchtet

Die Volkshilfe befürchtet, dass die 58-jährige Armenierin auch ohne ihre Tochter nach Ungarn abgeschoben werden könnte. Es wäre "schwer verfassungswidrig", eine kranke Mutter ohne ihr Kind außer Landes zu bringen, warnte . Nach Angaben der Volkshilfe sind beide Armenierinnen unbescholten und gut integriert. Die Tochter sei sogar Vorzugsschülerin.

SP-Wien übt Kritik

Kritik an Innenministerin Maria Fekter kommt in diesem Zusammenhang aus der Wiener SPÖ. "Dass Ministerin Fekter ausgerechnet heute ihr Paket für angeblich 'menschlichere' Abschiebungen präsentiert und gleichzeitig eine 14-Jährige aus der Schule in die Schubhaft abholen lässt, ist mehr als zynisch", kritisierte Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch. Eine derartige Vorgehensweise sei nicht nur für die direkt Betroffenen, sondern auch für den gesamten Klassenverband "höchst traumatisierend" und sei sofort abzustellen. Außerdem fordert Oxonitsch von Fekter Kriterien für einen humanen Umgang mit dem Bleiberecht.

 (APA)