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NPD-Anhänger.

Foto: dpa/Gero Breloer

Diskussionen rund um Zuwanderung und Integration: Es ist ein Gemenge aus Kraftsprüchen, aus Poltern und Zurückrudern, hysterischen Wasserstandsmeldungen, Ratlosigkeit und "linken Multikultiträumereien", in die die nächste Bombe hineinplatzt: Der Fanatismus ist in Deutschland auf dem Vormarsch, die rechtsextremen Einstellungen seiner Bürger sind gelinde gesagt bedenklich. Das sagt zumindest eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Mittwoch in Berlin präsentiert wurde.

Demnach wünscht sich jeder zehnte Deutsche einen "Führer", jeder Dritte würde gerne Ausländer in die Heimat zurückschicken. "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" glauben 35,6 Prozent der Bevölkerung und dass "Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen" unterstreichen knapp ebenso viele. Einen "Führer", der das Land zum Wohle aller "mit harter Hand" regieren sollte: Mehr als jeder zehnte Deutsche stimmt diesem Satz zu, während sich 15,9 Prozent der Befragten nicht sicher waren und mit "teils/teils" antworteten.

"Alarmsignal"

"Dieser Befund ist ein Alarmsignal", sagt Forscher Oliver Decker gegenüber der Nachrichtensendung tagesschau. In Krisenzeiten schwinde die Zustimmung zur Demokratie. Gefundenes Fressen für Rechtspopulisten, denn Argumente hätten "nur wenig Chance gegen die Logik der Ressentiments", warnt Decker: So stimmten 55 Prozent der Befragten dem Satz zu: "Araber sind mir unangenehm". Dass der "Einfluss der Juden" auch "heute noch" zu groß sei, fanden 17,2 Prozent. Einziger "Schutzfaktor gegen antidemokratische Einstellungen" sei Bildung, auch für Erwachsene.

Durch die Bank stimmte ein Viertel der Deutschen Aussagen mit ausländerfeindlichen Inhalten zu. Ein Ergebnis, das laut Studienmachern einen "Anstieg von dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen" bedeutet. 2008 sei es noch ein Fünftel der Bürger gewesen. Befragt wurden 2.500 zufällig ausgewählte Personen im Alter von 14 bis 90 Jahren. Ältere Menschen stimmen demnach wesentlich häufiger rechtsextremen Aussagen zu als junge. Auch je niedriger das Bildungsniveau, desto ausgeprägter die rechtsextreme Einstellung. Mit ihrer Arbeit knüpften die Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler an Erhebungen seit 2002 an.

Vor und nach der Krise

Vor zwei Jahren, als die Studie das letzte Mal durchgeführt wurde, machte man noch einen Rückgang von Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit aus. Doch war vor der Wirtschaftskrise. Die Zeit nach der "ökonomischen Schönwetterperiode" habe „möglicherweise eine Trendwende" und damit einen Anstieg rechtsextremer Einstellungen hervorgebracht, fassen die Wissenschaftler in ihrere Studie "Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010" zusammen.
Die Mitte, das sei die gesellschaftliche Mitte. Die Mitte, die sich in Zeiten der Krise oder selbst in der Krise befindet. Die Studie hinterfragt, wie sich Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die damit verbundenen veränderten Sozialstrukturen auf die Demokratie auswirken.

Rechtsextremismus "tief in Gesellschaft verwurzelt"

Und sie kommt zu dem Schluss: "Mittlerweile ist es allgemeiner Konsens, dass Rechtsextremismus eben kein ‚Randproblem unter Jugendlichen im Osten Deutschlands‘ ist. Das Problem ‚Rechtsextremismus‘ betrifft vielmehr alle Bevölkerungsschichten, Generationen und Regionen und erfordert das entschiedene Engagement aller gesellschaftspolitischen Kräfte."

"Als Hauptursachen hoher Zustimmungswerte für rechtsextreme Aussagen identifizierten unsere bisherigen Studien neben wirtschaftlicher und sozialer Deprivation insbesondere die Unzufriedenheit mit dem Privatleben und ein Gefühl politischer Einflusslosigkeit." Soll heißen: Verliert Hans Bauer im Jahre 2010 seinen Job und seine Freundin, steigt die Intoleranz gegenüber Ausländern. Egal, ob Hans Bauer jung, alt, reich, arm, Professor oder Lehrling ist.

Rechtsextreme Ansichten sind laut Studie tief in der Gesellschaft verwurzelt, die Ablehnung des Islam ist sogar mehrheitsfähig. Das gilt selbst für Milieus, die sich traditionell als "links" bezeichnen würden, etwa bei SPD-Anhängern und Gewerkschaftern, bei Kirchenangehörigen, Frauen wie Männern, in Ost- wie in Westdeutschland. So stimmte etwa im Osten jeder dritte Befragte ausländerfeindlichen Aussagen zu, in Westdeutschland jeder Vierte. (fin, derStandard.at, 13.10.2010)