Wie rund um alle früheren Nahostgespräche auch laufen bei Israelis und Palästinensern jetzt zwei vielschichtige Diskurse, die selbstverständlich ineinander verwoben sind - jedoch als gegenseitige "Bedingungen" nicht funktionieren. Und wie es im Moment aussieht, ist es einmal mehr nicht möglich, sie zu sinnvollen Verhandlungen zusammenzuführen. Das Wasser ist zu tief.

Wenn die Palästinenser von einem Siedlungsstopp reden, so meinen sie das Territorium ihres zukünftigen Staates. Obwohl die Palästinenserführung weiß, dass die Grenzen nicht mit der grünen Linie von 1948-1967 übereinstimmen werden - und die Gründe dafür sind historisch auf beiden Seiten zu suchen -, will sie den Status quo eingefroren haben. Als Bedingung.

Das ist verständlich angesichts der Erfahrungen während des Oslo-Friedensprozesses, in der die Zahl der israelischen Siedler hinaufschnellte. Aber ob es relevant ist - bei Verhandlungen, die zeitlich begrenzt sind? Ob eine Verhandlungslösung über Territorium mit Israel - besser gesagt: dieser israelischen Regierung - zu erzielen ist, wäre bald festzustellen. Aber die Palästinenserführung mit ihrem schwachen Mandat macht die Ansage eben nicht nur Israel, sondern ihrem eigenen Publikum gegenüber.

Also bringt Israels Premier Benjamin Netanjahu explizit eine Gegenbedingung aufs Tapet. Die Umstände kann man auch als Demonstration der asymmetrischen Verhältnisse lesen: Netanjahu bietet an, sich um einen (räumlich und zeitlich begrenzten) Baustopp zu bemühen, wenn die Palästinenser ein für alle Mal einen "jüdischen Staat" Israel anerkennen.

Trotz der Asymmetrie: Das wird ja wohl nicht so schwer sein, werden viele denken. Erstens ist Israel der jüdische Staat, und das soll auch so sein. Und zweitens wollen die Palästinenser ebenfalls einen Nationalstaat errichten, aus dem sie die Israelis weghaben wollen.

Aber der Offenbarungseid, der den Palästinensern von Netanjahu abverlangt wird, enthält noch viel mehr: Es genügt nicht mehr, wenn sie die Existenz Israels oder auch das Recht Israels auf seine Existenz anerkennen, sie sollen einen Schlussstrich unter ihre eigene Geschichte im Land ziehen und unterschreiben, dass sie es zu Recht verloren haben.

Noch immer könnte man pragmatische Argumente dafür finden: Die Aussage muss sich ja nicht auf die Vergangenheit beziehen, es wäre bloß eine Anerkennung der Tatsachen. Aber auch dies wäre ein viel substanziellerer Eingriff in die Verhandlungen als jeder Siedlungsstopp: Denn mit einem Schlag hätten die Palästinenser auch auf ihr (Flüchtlingen verbrieftes) Rückkehrrecht verzichtet. Für die Palästinenser gehört es ebenso zur Verhandlungsmasse wie für die Israelis das Territorium. Ja, sie werden ohnehin nicht zurückkehren, aber es geht - ebenfalls ganz pragmatisch - um andere Lösungen und Entschädigungen (die ohnehin die EU zahlen wird).

Die freundliche Auslegung bleibt, dass Netanjahu, wenn er seinen rechten Regierungspartnern eine palästinensische Anerkennung eines jüdischen Israels präsentieren könnte, von ihnen wiederum territoriale Zugeständnisse für den Palästinenserstaat verlangen könnte. Was hingegen das "jüdische" Israel für die israelischen Bürger bedeuten wird, nicht nur für die Nichtjuden, sondern was in Hinkunft die Forderungen an einen "echten" Juden in Israel sein werden, das steht wieder auf einem anderen Blatt. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2010)