Salzburg - Martin will nicht mehr länger warten. Gemeinsam mit seiner Mutter und dem neunjährigen Bruder Adam steht der Dreijährige Schlange. Sie warten vor einer Telefonzelle, einem Gitterzaun, einem Gebäude, und sie warten auf -nichts. Der slowakische Künstler Roman Ondák filmte seine Frau, während sie ihren gemeinsamen Söhnen das Warten beibringt. Nun sind die Aufnahmen Teil seiner eigens für den Salzburger Kunstverein konzipierten Installation Before Waiting Becomes Part of Your Life. In einer Endlosschleife werden die knapp dreieinhalb und viereinhalb Minuten langen Videos an zwei der Wände im Großen Saal projiziert.

Zum Jahresthema des Kunstvereins "Partizipation" könnten Ondáks Arbeiten nicht besser passen. Seine Kunst in Galerien zu präsentieren ist ihm nicht genug. "In den 90er-Jahren kamen mir immer mehr Zweifel an dieser Art zu arbeiten. Im lokalen Kontext sah ich darin keine Perspektive" , erklärt der 1966 in Žilina geborene Ondák. "Die Menschen in der Slowakei, mein engeres Umfeld, sie konnten damit nichts anfangen." Seither bezieht er Familienmitglieder, Freunde und Zuschauer in seine Arbeit mit ein. Sie sind zugleich Mitproduzenten und Betrachter der Werke.

Bereits 2003 ließ Ondák für seine Aktion Good Feelings in Good Times Freiwillige vor dem Kölner Kunstverein "Schlange stehen" . "Mich interessieren Handlungen, die noch nicht abgeschlossen sind. Während man wartet, befindet man sich in einem Zwischenbereich, gefüllt mit Wünschen und Hoffnungen." Im scheinbar banalen Akt des Wartens zeigt Ondák unerschöpfliche Möglichkeiten des Augenblicks auf. Und wer die wartenden Menschen genau beobachtet, erhascht einen Blick auf die große Unsichtbare: die verstreichende Zeit.

Im Kunstverein führt Ondák sein Warten-Konzept nun fort. In 24 Vitrinen liegen Broschüren und Kataloge mit Abbildungen Ondák'scher Warteschlangen. Das bedruckte Papier verleiht der Fiktion den Anschein von Realität, die verstreichende Zeit wird gleichsam eingefroren. "Ein Spiel für Erwachsene" , bezeichnet der Künstler das Warten. Er benutzt es als Chiffre für soziale Regeln, die sich, einmal erlernt, immer mehr verfestigen. Die Buben in den Videos führen es vor: Hinter dem renitenten Martin erduldet Adam die Tortur bereits geduldig.

Ondák arbeitet mit Mitteln von oft ans Banale grenzender Alltäglichkeit. 2009 gestaltete er den tschechisch-slowakischen Pavillon der Biennale in Venedig. Er ließ die Vegetation von draußen übergangslos im Pavillon weiterwachsen. "Es ist leicht, meine Arbeit wahrzunehmen. Will man sie aber wirklich erfassen, wird die Sache schon komplizierter." Bei genauerem Hinsehen entdecken sich unzählige Lesarten - bisweilen sehr widersprüchliche. Das kommt dem Künstler nur entgegen: "Ich möchte die festgefahrenen Grenzen, innerhalb derer wir Dinge wahrnehmen, aufbrechen." (Andrea Heinz/DER STANDARD, Printausgabe, 13.10. 2010)