Angenehmer ist es, komfortabler mit diesen zwei Tüchern, die um den Kopf gebunden und mit Nadeln festgehalten werden. Das eine ist eng über den Haaransatz an der Stirn gezogen, das zweite Tuch darüber - farbiger und moderner - verbirgt das gesamte Haar, geht über die Ohren und schließt das Kinn ab. "Ich fühle mich jetzt wohler" , sagt Ersa.

Seit bald zwei Wochen geht die junge Frau nun mit Kopftuch in ihr Psychologieseminar an der Universität von Samsun, der größten Stadt an der türkischen Schwarzmeerküste. Im Rest des Landes ist es nicht anders. Das Kopftuchverbot, 1997 eingeführt, um die Trennung von Staat und Religion in der Türkei festzuschreiben, ist mit einem Mal gefallen. Vor einem Jahr noch entging die Regierungspartei von Premierminister Tayyip Erdogan knapp der Schließung durch das Höchstgericht, weil sie versucht hatte, das Kopftuchverbot per Gesetz aufzuheben. Jetzt hat ein einfaches Schreiben der Hochschulbehörde den Kulturkampf entschieden. So sieht es zumindest aus.

Mit dem Tuch auf dem Kopf gehorche sie den Anweisungen des Koran, erklärt Ersa. Früher auf dem Gymnasium durfte sie es nicht tragen, und auch noch im vergangenen Semester auf der Uni musste Ersa das Kopftuch abnehmen, wenn sie in den Hörsaal ging. Die Kommilitonen wundern sich nur. "Donnerstag vor einer Woche komme ich in den Seminarraum, und dann sitzen sie da alle mit den Kopftüchern und den langen Mänteln" , sagt Funda, eine andere junge Frau an der Uni Samsun, die Deutsch für das Lehramt studiert und eigentlich aus München kommt. "Wenn das so weitergeht, bin ich schnell wieder zurück in Deutschland."

Sozialer Druck

Was die Kopftuchlosen nun fürchten, ist der soziale Druck, der die Frauen dazu drängen würde, es den Kopftuchträgerinnen gleichzutun und ihre Haare in Hörsälen, Büros oder auf der Straße zu bedecken. Im Sommer berichteten Studentinnen in Ankara, der Beamtenstadt von Republikgründer Kemal Atatürk, wie unangenehm mitunter der Gang über den Campus geworden sei: Mitstudenten sehen mit missbilligendem Blick auf kurze Röcke und zischen, wenn westlich gekleidete Studentinnen vorbeigehen.

Gülsün Bilgehan, Vizevorsitzende der Oppositionspartei CHP, erklärt, ihre Partei sei bereit, das gesetzliche Kopftuchverbot an Universitäten aufzuheben, auch wenn sie Zweifel habe, ob junge Frauen freiwillig ihr Haare bedecken, und zudem die Logik des Koran erniedrigend findet: Frauen sollen ihr Haar verhüllen, um Männer nicht zu provozieren. Das Kopftuch ist nicht die wichtigste Frage für die Frauen in der Türkei, sagt die Enkeltochter des früheren türkischen Präsidenten Ismet Inönü. Gewalt in der Ehe, die Benachteiligung der Frauen in Arbeit und Politik sind die viel entscheidenderen Probleme. Ein Ende des Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst, also in Behörden oder Krankenhäusern, wird die CHP aber keinesfalls mittragen. "Wenn wir das tun, sind wir verloren", sagt Bilgehan. "Für die CHP geht es um Menschenrechte, für Erdogan ist es eine Art Djihad." (Markus Bernath aus Samsun/DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2010)