ModeratorIn: Wir begrüßen SORA-Chef Christoph Hofinger im Chat und bitten die UserInnen um Fragen!

Christoph Hofinger: Ein herzliches Guten Tag/Grüß Gott an die Standard.at UserInnen!

christoph Richter: Wie kommt es, dass die Wahlbeteiligung sinkt, doch bei der wählerstromanalyse ALLE parteien von den Nichtwählern bei weitem zuwachs hatten?

Christoph Hofinger: Die Wahlbeteiligung sinkt nur ohne Wahlkarten. Inklusive aller Briefwahlstimmen wird sie im Endeffekt auf ca. 68% steigen. Das heißt die Wählerstromanalyse inkludiert bereits die Prognose der Wahlkartenstimmen.

L DaRNoK: Was ist bei den Wahlkarten noch möglich? Absolute für SPÖ? 30% für FPÖ? Oder doch nur minimale Verschiebungen?

Christoph Hofinger: Obwohl es eine Rekordzahl an Wahlkarten gibt, erwarten wir nur relativ geringe Verschiebungen. Das liegt daran, dass die WahlkartenwählerInnen den übrigen Wählern politisch und strukturell ähnlicher geworden sind. Wir prognostizieren dass die FPÖ ziemlich sicher noch ein Mandat verliert, das bekommen dann die Grünen. Falls die FPÖ noch ein zweites Mandat verliert, was nicht auszuschließen ist, dann wandert das zur ÖVP oder auch zur SPÖ. Die SPÖ hätte in diesem unwahrscheinlichen Szenario genau 50 Mandate, damit kann man in Wien aber auch nicht absolut regieren.

Angelika70: Halten sie das Wahlergebnis der FP für noch steigerbar? 30%, 35%, 40% oder hat es nun das Limit erreicht?

Christoph Hofinger: Das hängt von der Positionierung der FPÖ selbst und der Performance im übrigen politischen Spektrum ab. Überdies von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und wie sehr diese die Botschaften der FPÖ stützen. 30% ist aber nicht das obere Limit für die FPÖ.

rekrow: Stimmt es das die ÖVP ihre stimmen an die FPÖ verloren hat, und welche motive haben SPÖ Wähler die FPÖ zu Wählen?

Christoph Hofinger: Ja, die ÖVP hat jeden sechsten Wähler bzw. Wählerin an die FPÖ verloren. Das heißt, die Strategie durch eine gewisse Strenge in Integrationsfragen diese Flanke zu schützen ist nicht aufgegangen. Die SPÖ hat jeden siebten Wähler an die FPÖ verloren, entscheidend dürfte gewesen sein wie die SPÖ-Wähler von 2005 die Entwicklung der Stadt in punkto Lebensqualität einschätzen. Bei denen die eine sinkende Lebensqualität in Wien konstatieren, hat die FPÖ extrem stark dazugewonnen. In dieser Gruppe ist die Botschaft der SPÖ dass Wien eine extrem lebenswerte Stadt ist, nicht angekommen.

Protagoras v. Abdera: Sie erheben stets die wichtigsten Wahlmotive einzelner Parteien, erheben sie auch die Motive der Nichtwähler? Wenn ja, wie sehen die aus?

Christoph Hofinger: DIe NichtwählerInnen sind vor allem unzufrieden mit dem politischen Angebot. 17% geben als Grund für die Nichtwahl "unattraktive" Parteien an, 16% unattraktive KandidatInnen, je 14% dass sie gegen die Politik in Wien protestieren wollen und dass sie von ihrer traditionell bevorzugten Partei enttäuscht sind.

stadtbewohnerin: Wie hoch ist eigentlich die Zahl der WeißwählerInnen?

Christoph Hofinger: 1,5% der Wahlberechtigten, ein durchschnittlicher Wert.

quantensprung2: gibt es schon eine Analyse über das Wahlverhalten der Erstwähler/innen ?

Christoph Hofinger: Ja, die gibt es. Wir haben dazu 1000 16-20jährige befragt. Dort bekommt die SPÖ 46%, die Grünen 21%, die FPÖ 20% und die ÖVP 12%. Auffallend sind die Unterschiede zwischen Erwerbstätigen in dem Alter, wo die FPÖ auf 45% kommt und die Grünen nicht existent sind, und den SchülerInnen und Studierenden bei denen umgekehrt die Grünen mit 30% die zweitstärkste Partei sind.

psY: Wie stark beeinflussten Stimmen von MigrantInnen (insbesondere aus dem Balkan) den Verlust der Absolute der SPÖ?

Christoph Hofinger: Grundsätzlich hat die SPÖ bei MigrantInnen eine große Mehrheit, wobei auch die Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund aus dem ehemaligen Jugoslawien nach wie vor mehrheitlich SPÖ wählen. Das ist aber die einzige Gruppe unter den MigrantInnen, wo die FPÖ Ergebnisse vergleichbar mit den Nicht-MigrantInnen erreicht.

xEurocent: Was weiß man über die 24.000 Wähler, die von den Grünen zur SPÖ gewandert sind? Waren die enttäuscht von den Grünen (Stichwort: Spaltungen/Streit) oder warum sind sie gewechselt?

Christoph Hofinger: Die Gruppe ist in der Umfrage relativ klein, deswegen haben wir darüber keine eigene Auswertung gemacht. Die Querelen zu Beginn des grünen Wahlkampfs könnten dort aber natürlich eine Rolle gespielt haben.

xEurocent: Haben sich viele FPÖ-Wähler erst in den letzten Tagen entschieden oder wurde sie in den Umfragen der letzten Wochen (wo sie bei 20-24% lag) wieder mal unterschätzt

Christoph Hofinger: Die FPÖ-WählerInnen haben sich zum Großteil doch recht früh entschieden, was auch ganz gut zu dem Befund passt, dass die FPÖ bei älteren WählerInnen stark war. 75% haben sich nach eigenen Angaben schon länger festgelegt, 8% erst in den letzten Tagen, das ist genau so wie bei der SPÖ, aber es dürfte in den Umfragen noch gedauert haben bis alle zu ihrer schon länger gefällten Entscheidung auch in einer Interviewsituation stehen wollten.

JazzPianist #1: Wählten die F-Wähler eher Strache als person oder die Inhalte der F ?

Christoph Hofinger: Die Wahlmotive bei der FPÖ waren das Brechen der absoluten Mehrheit (für 69% sehr wichtig) und in der gleichen Größenordnung die Themen. Strache wurde im Vergleich dazu von 38% als sehr wichtiges Wahlmotiv genannt. Es waren also die Inhalte dominant.

ModeratorIn: Eine Userfrage per Email: Warum weichen die Ergebnisse der BV-Wahlen so massiv von denen der Landtagswahlen ab? Welche Unterschiede sind da am auffälligsten?

Christoph Hofinger: Die WählerInnen sind traditionell in der Lage zwischen verschiedenen Wahlgängen zu differenzieren, manche nutzen auch gerne die Möglichkeit des Stimmen-Splittings, wenn sie ohnehin zwischen zwei Parteien gespalten sind. Auffallend ist, wenn sich Einzelne vom Landestrend abheben können, so wie Veronika Mickel von der ÖVP im 8. und Thomas Blimlinger von den Grünen im 7..

Bundesministerium für Jenseitige Angelegenheiten: Wie sieht es mit den Koalitionspräferenzen der Wählerschaft aus?

Christoph Hofinger: 34% aller Wahlberechtigten wollen Rot-Schwarz, 28% Rot-Grün und 19% Rot-Blau (in der Annahme, dass es keine Absolute gibt). Bei den SPÖ-WählerInnen ist eine knappe Mehrheit (43%) für Rot-Grün, Rot-Schwarz folgt knapp dahinter mit 40%. Nur 8% wollen Rot-Blau.

Maximinianus: Wie die Wählerstromanalyse zeigt haben viele ehemalige Grün-WählerInnen dieses Mal SPÖ gewählt. Wollten diese die Absolute der SPÖ retten oder ist es einfach ein stärkeres Zeichen gegen Strache rot zu wählen?

Christoph Hofinger: Die Grünen wurden schon sehr häufig dafür gewählt, dass sie sich als Gegenspieler zu Strache positionieren: 64% der GrünwählerInnen gaben als wichtiges Wahlmotiv an, dass Grüne der Gegenpol zur FPÖ sind, das war das zweitwichtigste Motiv für die Grünwahl. Allerdings kann die Inszenierung Häupl vs. Strache natürlich für den ein oder anderen Grün-Rot-Wechsler ausschlaggebend gewesen sein.

Theatre of Tragedy: Es interessant, dass die SPÖ in bürgerlichen Bezirken dazugewann. Woran, denken Sie, liegt das?

Christoph Hofinger: Dort kam vermutlich die Botschaft, dass Wien so eine hohe Lebensqualität hat, gut an. Die ÖVP schwächelte und die Freiheitlichen können in einem Umfeld, in dem weniger Verunsicherung herrscht, nicht so punkten. Der Unterschied im Wahlverhalten innerhalb und außerhalb des Gürtels ist jedenfalls ein bemerkenswerter und die dahinter liegenden sozialen und psychologischen Befunde verdienen meiner Ansicht nach vermehrte Beachtung.

CrangerMan: Woran sind die Kleinparteien gescheitert?

Christoph Hofinger: Dass sie keine attraktiven Nischen im bestehenden Parteienwettbewerb gefunden haben und natürlich auch an den geringen Ressourcen.

lesendenkenbeitragen: Gibt es eine erkennbare Ursache warum sich gerade die ÖVP in Wien, aus einer ohnehin sehr schwachen Ausgangslage, noch weiter minimalisiert hat?

Christoph Hofinger: Erstens, die ÖVP hat eine Löschnak-Fekter-Strategie eingeschlagen und damit das Weltbild der FPÖ gestärkt. Zweitens wurde zu wenig auf die eigenen Kernkompetenzen (Wirtschaft, Budget) gesetzt. Drittens stand die Machtansage sehr im Vordergrund, die Absolute zu brechen war aber Ziel auch von Blau und Grün. Letztendlich fehlte der ÖVP in Wien ein Alleinstellungsmerkmal. Traditionell räumt die FPÖ, wenn sie zulegt, überdies die ÖVP in den Gebieten ab, in denen die ÖVP von vornherein schwach ist. Das war bei früheren Wahlen schon oft so.

meryn: Was sagen Sie dazu, dass die ÖVP heute in einem Inserat zum Wählen am Montag aufruft?

Christoph Hofinger: Das ist zumindest sehr missverständlich und ich denke, die ÖVP ist auch nicht glücklich darüber.

Sommer09: Wieso haben sich die Freiheitlichen Wähler in der Inneren Stadt verdoppelt und in Döbling und Währing beinahe verdoppelt?

Christoph Hofinger: Weil dort die Ergebnisse der FPÖ bisher sehr schwach waren und einiges von der ÖVP dereinst Sechstel ihrer Wähler an Blau verloren hat, zu holen war.

Torpedo22: Was sind die Motive der Menschen mit Migrationshintergrund die blaue Fraktion zu wählen?

Christoph Hofinger: Die FPÖ punktet nur in dem Wählersegment der Wahlberechtigten mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien. Dorthin sendet Strache einerseits aussenpolitische Signale (Aussagen zum Kosovo), andererseits gibt es konsequentes Direktmarketing. Ablehnung des Islam mag für Teile der Zuwanderer auch eine Rolle spielen, wenn auch nicht eine dominante. Was wir nicht übesrehen dürfen: viele MigrantInnen sind Arbeiter und das ist eine Kernzielgruppe der FPÖ.

thomas_mohr: Haben die Migranten einen FP-Rekord knapp verhindert und anders gefragt: Hat die FPÖ unter den "Urwienern" erstmals mehr als ein Drittel der Stimmen erreicht?

Christoph Hofinger: Unter den NichtmigrantInnen hat die FPÖ etwas mehr als im Durchschnitt, die genaue Zahl reiche ich im Laufe des Chats nach.

awahnsinn: Wie sieht eigentlich das Wahlverhalten der größten Migrantengruppe Österreichs, den Deutschen aus, die ja als EU-Bürger an der Wahl teilnehmen durften?

Christoph Hofinger: Weiß ich leider nicht, in der Umfrage ist die Gruppe zu klein. Sie durften allerdings nur an den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen.

Arthur Schnitzl: Sind die großen Stimmenzuwächse der FPÖ in den Arbeiterbezirken längerfristig? Konnte die SPÖ diese Wechselwähler 2005 nur deshalb noch einmal zurückholen, weil das "dritte Lager" so chaotisch war?

Christoph Hofinger: Das Match zwischen Rot und Blau in den Arbeiterbezirken wird wohl für einige Wahlgänge weitergehen und was die Vergangenheit zeigt, ist dass es hier wohl kaum so etwas wie einen endgültigen Zustand gibt, bei dem einer der beiden auf lange Sicht strukturell die Nase vorn hätte. 2005 war natürlich die Zerstrittenheit der FPÖ mit ausschlaggebend für die Erfolge der SPÖ.

academius: Warum sind so viele SP-Wähler abgeneigt zu Rot-Blau?

Christoph Hofinger: Weil die politische Führung der SPÖ diese Variante ausschließt und weil auch viele SPÖ-WählerInnen durch die Polarisierung im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit FPÖ nicht goutieren. Jetzt noch mein Nachtrag zu vorhin: unter WienerInnen ohne Migrationshintergrund hat die FPÖ genau 30%.

O mia patria...: Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die Zahl der "taktischen" BriefkartenwählerInnen, die also erst nach Wahlschluss SO 17:00 Uhr (illegal, aber unkontrollierbar) ihre Stimme abgegeben haben bzw. noch abgeben werden?

Christoph Hofinger: Es würde mich überraschen, wenn das eine fünfstellige Zahl ist. Aber das weiß niemand so genau. Es wird ziemlich sicher eine Reform des Wahlrechts kommen, das diese verspätete Stimmabgabe ausschließt, was ich befürworte.

CrangerMan: Ist eine Koalition mit den Grünen durch das gar so schlechte Wahlergebnis der ÖVP und die doch etwas überraschend geringe Verluste der Grünen wahrscheinlicher geworden oder spricht immer noch viel zu viel dagegen?

Christoph Hofinger: Das Wahlergebnis für sich genommen ist nur in geringem Ausmaß darüber entscheidend, welche Koalition kommen wird. Konkret wird es daran liegen, welche Fraktion sich innerhalb der SPÖ in Bezug auf die Koalitionsopition durchsetzt. Und das hat auch damit zu tun, mit welchen Forderungen und Personen Schwarz und Grün in diese Gespräche gehen.

Most Master: Wie bedeutend war der Spitzenkanditatin/in für das Abstürzen von Spö u. Övp?

Christoph Hofinger: Bei der SPÖ gaben 73% der WählerInnen an "Häupl soll Bürgermeister bleiben" ist für sie ein wichtiges Wahlmotiv. Insofern kann man ihm nicht den Rückgang, den ich nicht als Absturz bezeichnen würde, in die Schuhe schieben. Christine Marek hätte als Kandidatin viel Potential gehabt, wenn die ÖVP eine zu ihr besser passende Linie gewählt hätte. Sie war für 24% der ÖVP-WählerInnen ein sehr wichtiges Wahlmotiv.

Walter KURTZ: Warum wird die FPÖ in Umfragen immer wieder unterschätzt?

Christoph Hofinger: Teile der FPÖ-WählerInnen sind schwer zu erreichen (junge Männer), zum Teil ist es schwer mit Wahlberechtigten ohne höhere Bildung die Zusage zu einem Interview über Politik zu bekommen. In unserer Wahltagsbefragung haben wir aber diese Faktoren korrigiert und unsere 17 Uhr Prognose von 23-26 für die FPÖ wird sich nach Auszählung der Wahlkarten als richtig erweisen.

rebelldna: Was genau bedeutet der Verlust der Absoluten für Wien und wieviel realistische Veränderung ist tatsächlich zu erwarten?

Christoph Hofinger: Da müsste ich ein Prophet sein, es hängt sicher auch davon ab, mit wem die SPÖ koaliert und welche personellen Entscheidungen getroffen werden.

ModeratorIn: Danke an Christoph Hofinger fürs Chatten und an die UserInnen für die vielen Fragen, leider sind wir schon am Ende der Chatzeit angekommen. Schönen Nachmittag noch!

Christoph Hofinger: Was mich am meisten daran schmerzt, dass es jetzt drei Jahre keine Wahlen gibt, ist dass ich jetzt bis ins Jahr 2013 warten muss, um wieder mit den Standard.at UserInnen eine Wahl zu diskutieren. Danke für die spannenden Fragen und auf Wiedersehen.