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Die Helfer sind angewiesen, Atemmasken und Schutzbrillen zu tragen, da der Schlamm zusehends austrockne.

Foto: REUTERS/Bernadett Szab

Knapp eine Woche nach dem Chemieunfall in Ungarn bereitet sich der dortige Katastrophenschutz mit Schutzwällen und einem Damm vor dem am stärksten betroffenen Dorf auf eine zweite Giftschlammlawine vor. Der Damm eines weiteren Deponiebeckens werde unausweichlich brechen, und eine neue Welle werde den Ort Kolontar treffen, sagte Umweltstaatssekretär Zoltan Illes am Sonntag. Die jüngst festgestellten Risse in der Nordwand des Beckens hätten sich nur vorübergehend wegen günstiger Wetterbedingungen nicht vergrößert. Sie würden sich aber unaufhaltsam verbreitern, besonders nachts.

Aus dem lecken Deponiebecken einer Aluminiumfabrik waren vergangenen Montag 700.000 Kubikmeter ätzender, giftiger Rotschlamm ausgetreten und hatten binnen einer Stunde drei Dörfer überschwemmt. Mindestens sieben Menschen kamen ums Leben, mindestens 120 wurden teils schwer verletzt. Nachdem in der Wand der zehn Hektar großen Deponie weitere Risse entdeckt wurden, wuchs die Angst vor einer neuen Schlammwelle. Ministerpräsident Viktor Orban nannte einen Dammbruch am Samstag sehr wahrscheinlich. Kolontar mit seinen 800 Einwohnern wurde geräumt; die 6.000 Bürger des Nachbarorts Devecser wurden aufgefordert, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten.

Lage hoffnungsvoll

Zwar erklärten Ingenieure am Sonntag, über Nacht hätten sich keine neuen Risse gebildet. Der Katastrophenschutz wollte die Warnungen jedoch nicht zurücknehmen. "Ich würde die Lage als hoffnungsvoll bezeichnen, aber nichts hat sich wirklich verändert", sagte Sprecher Tibor Dobson, am Sonntag. Ältere Risse werden demnach zurzeit repariert, außerdem werden zusätzliche Schutzwände um das Becken sowie ein 650 Meter langer Damm errichtet, der die nicht direkt von der Schlammwelle getroffenen Ortsteile von Kolontar abschirmen soll. Der Damm zum Schutz von Kolontar sei zu drei Viertel fertig, aber es werde wohl noch mehrere Tage dauern, bis die Bewohner in ihre Häuser zurückkommen könnten, so Dobson.

Rotschlamm, ein Abfallprodukt der Aluminiumherstellung, wird häufig in offenen Becken gelagert, wo das Wasser verdunstet und eine feste Masse zurückbleibt. Fachleute hatten vermutet, dass die Rückstände, wenn überhaupt, nur unzureichend aufbereitet wurden und deshalb so stark ätzend wirkten. Illes bestätigte bei einer Besichtigung des Unglücksgebiets, dass der Schlamm in Ungarn nicht behandelt wird.

Kein biologischer Schaden in Donau

Die ätzende Masse hatte die Bäche und Flüsse in der Nähe des Unglücksorts verwüstet, am Donnerstag die Donau erreicht und floss in Richtung der Anrainerstaaten Kroatien, Serbien und Rumänien. Inzwischen verdünnt, scheint der Schlamm dem zweitgrößten europäischen Fluss bisher wenig anzuhaben.

Die Beigabe neutralisierender Chemikalien in Donau-Zuflüsse und der Versuch, so viel Schlamm wie möglich aus den Gewässern zu entfernen, habe ökologische Schäden an dem Strom verhindert, sagte Illies. Der pH-Wert an der Stelle, wo das kontaminierte Wasser in die Donau fließt, lag nach Auskunft der Katastrophenschutzbehörde bei neun. Das sei gering genug, um einen biologischen Schaden zu vermeiden, sagte Innenminister Sandor Pinter. Die Umweltschützer von Greenpeace erklärten hingegen, der Rotschlamm enthalte "überraschend hohe" Konzentrationen an Arsen und Quecksilber.

Unternehmen weist Fahrlässigkeit zurück

Der Aluminiumfirma MAL zufolge, der das Werk gehört, befinden sich noch 90 Prozent des Rotschlamms im Sammelbecken. Das Unternehmen hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass es stärkere Vorsichtsmaßnahmen hätte treffen müssen. Die Ermittlungsbehörden beschlagnahmten inzwischen Unterlagen und gehen dem Verdacht der Fahrlässigkeit nach. Erste Zeugen wurden befragt.

Ministerpräsident Orban sagte bei einem Besuch, das Unglück hätte vermieden werden können. Es müsse "menschliches Versagen und Fehler" gegeben haben. Er kündigte ernste rechtliche Konsequenzen an und betonte: "Dafür wird sich jemand zu verantworten haben."

Nur mit Atemmasken und Schutzbrillen

In den betroffenen Gebieten müssen die Menschen seit Sonntagabend Atemmasken und Schutzbrillen tragen. Der Schlamm trockne zusehends, die Staubkonzentration in der Luft gefährde inzwischen die Gesundheit, teilte der ungarischen Gesundheitsdienst ANTSZ mit. Der giftige Staub könne die Haut, die Schleimhäute sowie die Augen reizen. Alle Helfer in dem Gebiet müssten deshalb neben Gummistiefeln und -handschuhen dichtverschlossene Kleidung, Schutzmasken und -brillen tragen. Sollten sie dennoch mit dem Staub oder Schlamm in Berührung kommen, sollen sie sich sofort mit klarem Wasser waschen. (APA)