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Dieser junge Herr braucht keine Steinschleuder, um den Polizisten eine "aufzubrennen".

Foto: Marko Drobnjakovic/AP/dapd

Das Zentrum Belgrads ist am Sonntag völlig abgesperrt. Wo immer man hinschaut, stehen Polizeikordons. Mehr als 5000 Mitglieder der Sondereinheiten des Innenministeriums sind im Einsatz. Es ist sonnig und warm, doch die Straßen sind menschenleer. Die wenigen Passanten müssen sich ausweisen. Es herrscht Ausnahmezustand.

Grund für den gewaltigen Eingriff der Staatsgewalt ist die "Belgrader Pride", die Parade der Homosexuellen, die in dem Park Manjez in der City stattfindet. Vor neun Jahren wurden mehr als vierzig Menschen bei einem Angriff rechtsextremistischer Gruppen auf die Parade der Schwulen und Lesben in Belgrad verletzt. Vergangenes Jahr wurde die Parade aus "Sicherheitsgründen" abgesagt. Im dritten Anlauf sollte es endlich gelingen. Aus der EU wurde der Regierung Serbiens unmissverständlich nahegelegt, dass das Stattfinden der Pride ein Ausdruck der Demokratisierung der Gesellschaft wäre.

Die Ereignisse zeigen eine anderes Bild. Gegner der Parade versuchen an mehreren Punkten gleichzeitig die Polizeibarrikaden zu durchbrechen. Maskierte Männer mit Kapuzen greifen die Polizisten mit Steinen an. Belgrader TV-Sender berichten live über die Straßenschlachten, die stundenlang dauern. Hubschrauber fliegen über den Stadtkern. Die Parteiräume der regierenden Demokratischen Partei werden mit Steinen beworfen und in Brand gesetzt, Autos und Schaufenster demoliert. Man spürt den beißenden Rauch von Tränengas.

Polizisten mit Kampfausrüstung laufen schwitzend und verfluchen die "Schwulen". Eine Gruppe älterer Frauen flucht auf die Polizisten: "Ihr tickt nicht richtig, verprügelt die Normalen und verteidigt diese kranken Homos." Krankenwagen zischen mit heulenden Sirenen durch die Stadt. Mehr als 50 Menschen, die meisten darunter Polizisten, werden verletzt. Die Hooligans versuchen auch das klinische Zentrum zu stürmen.

Die Teilnehmer der Parade selbst bekommen nichts von dem Chaos mit. Umringt von Polizeikordons, sind sie völlig abgekapselt. Mit Transparenten "Solidarisch gegen Faschismus" versammeln sich kaum 500 Menschen in dem Park, darunter dutzende Journalisten und Polizisten in Zivil. Anwesend sind die Chefs der EU- und OSZE-Mission in Belgrad, die Botschafterin der USA und der serbischer Minister für Menschenrechte.

Viele Teilnehmer sind enttäuscht, weil eine massivere Unterstützung ausgeblieben ist, weil nur ein Regierungsvertreter anwesend war. "Das ist einer der traurigsten Tage meines Lebens", sagt der Vorsitzende der liberaldemokratischen Partei, Cedomir Jovanovic: Die serbische Gesellschaft habe offenbar keine Antwort auf den Hass gegen Andersdenkende. Am Samstag demonstrierten bis zu 20.000 Gegner der "Parade der Kranken".

Am Sonntag marschierten die Teilnehmer der Pride um einen Straßenblock zum Studentenkulturzentrum, wo eine Party stattfand. Unweit steht eine Gruppe von serbisch-orthodoxen Popen und Nonnen. Diese bekreuzigen sich unaufhörlich, richten das Kruzifix gegen die Kolonne - ganz so, als ob sie einen Exorzismus durchführen wollten. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DERSTANDARD-Printausgabe, 11.10.2010)