Dies ist der erste Wiener Wahlkampf, der voll der Tatsache Rechnung trägt, dass Wien eine Migrantenstadt ist. Einerseits gibt es genügend Menschen, die für viele eine ausgesprochen fremde Anmutung haben und deshalb offen (von der FPÖ) oder versteckt angefeindet werden, vor allem Muslime (rund acht Prozent der Bevölkerung); andererseits gibt es hunderttausende wahlberechtigte Staatsbürger unter ihnen. Vom Migranten-Thema, aber auch vom Wahlverhalten der Migranten selbst kann die "Absolute" für Häupl abhängen.

Nach der Statistik Austria haben 597.000 Personen oder 35,8 Prozent der Wiener Bevölkerung (1,67 Millionen) einen "Migrationshintergrund". Die Definition ist dabei, dass beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Nach dem "Diversitätsmonitor" der Gemeinde Wien haben hingegen 44 Prozent einen "Migrationshintergrund". Hier genügt, dass mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde.

Gemeint ist jeweils die gesamte Wohnbevölkerung, also Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger zusammen. Laut "Diversitätsmonitor" haben etwa 80 Prozent der Wohnbevölkerung die österreichische Staatsbürgerschaft. Für die politische "Ausländerdebatte" ist das aber fast zweitrangig, denn von vielen werden auch eingebürgerte Zuwanderer als "Ausländer" empfunden; und ein Großteil der langfristig hier anwesenden Nichtstaatsbürger wird wohl einmal eingebürgert werden.

Die größte Gruppe nach Herkunft (Staatsbürger und Nichtstaatsbürger) sind Ex-Jugoslawen (171.000). Bei diesen sind die Serben und Montenegriner weit in der Überzahl. Die nächstgrößere Gruppe sind die Personen türkischer Herkunft (70.000). Deutsche: 42.000.

Die Strache-FPÖ führt einen reinen Anti-Muslim-Wahlkampf und versucht mit dem 26-jährigen Konstantin Dobrilovic, bei der serbisch-orthodoxen Community zu punkten. Die SPÖ hat zahlreiche muslimische Kandidaten auf den Listen wie die 24jährige Türkin Gülsüm Namaldi. Sie trägt das Kopftuch, weil sie "ein sichtbares Bekenntnis" ablegen will. Sirvan Ekici hingegen von der ÖVP hat "keine Mission, ich bin eine Wienerin, die mitgestalten will". Die ÖVP setzte die Gemeinderätin nicht mehr an wählbare Stelle, dafür aber den katholischen Kroaten und Schwimmer Dinko Jukic. Unterhalb der Überschrift "Migranten" existieren viele Strömungen, auch innerhalb derselben Volksgruppen-und Religionsgemeinschaft. Viele der Türken sind ethnische Kurden, nicht wenige auch Aleviten, die von den strengen Sunniten gar nicht als Muslime akzeptiert werden. Man beschuldigt sich gegenseitig, schattenhaften Vereinigungen wie der türkisch-fundamentalistischen Milli Görüs (in Österreich "islamische Föderation") oder den (eher arabisch dominierten) Muslimbrüdern anzugehören. Der türkische ÖVP-Kandidat Mustafa Iscel wieder erregte Aufsehen, indem er den Völkermord an den Armeniern 1915 leugnete.

Die beiden "Großparteien" SPÖ und ÖVP ziehen dort nach, wo die Grünen unter Maria Vassilakou (positiv) und Strache (negativ) längst waren. hans.rauscher@derStandard.at (Hans Rauscher, DER STANDARD-Printausgabe, 9./10. 10. 2010)