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Peer Steinbrück (li.) mit US-Finanzminister Hank Paulson im Februar 2008 bei einem Treffen der G-8-Finanzminister in Tokio. Paulson habe die Krise damals kleingeredet, schreibt Steinbrück, die deutsche Delegation in Japan habe sich über die beschwichtigende Darstellung der Probleme sehr gewundert.

Foto: Reuters/Kato

Peer Steinbrück: "Unterm Strich". Hoffmann und Campe. 23,70 Euro.

Der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück zieht in einem neuen Buch Bilanz über die Krise. Über die heikelsten Momente nach dem Lehman-Crash und Thilo Sarrazin, sprach er mit András Szigetvari.

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STANDARD: Gab es einen Moment in der Finanzkrise, in dem Sie sich dachten: Das geht nicht gut aus, es kommt zum Totalcrash oder einem Massenansturm auf die Banken?

Steinbrück: Es hat drei Momente gegeben, als ich dachte: Man kann so viel machen, wie man will, wir werden da in einen Schlund gezogen und stürzen ab. Die erste Situation war Montag und Dienstag, am 15. und 16. September 2008, nachdem Lehman in die Insolvenz gegangen war. Es drohte eine zweite Insolvenz in Form des Versicherers AIG, die um einen hohen Faktor schlimmer gewesen wäre als Lehman. Damals haben wir Europäer vereinbart, die Amerikaner auf allen Wegen davon zu überzeugen, dass sie AIG nicht in die Pleite gehen lassen dürfen. Der zweite Moment war, als nach der ersten Nothilfe für die deutsche Hypo Real Estate nur wenige Tage später wie aus dem Nichts ein weiterer Liquiditätsbedarf von 15 Milliarden Euro auftauchte. Als ich das hörte, brauchte ich einen Stuhl. Der dritte Moment war zeitgleich mit Hinweisen, dass viele deutsche Bürger von ihren Bankenkonten Geld abhoben.

STANDARD: Wieso war AIG entscheidend?

Steinbrück: Von der Bilanzsumme war das wahrscheinlich der größte Versicherungskonzern der Welt. Von den tausend größten amerikanischen Firmen waren 700 bis 750 bei denen versichert, und die Verflechtungen mit den Europäern waren gigantisch. Die Deutsche Bank hat über die Rettung von AIG Forderungen von über acht Milliarden einlösen können, was die Dimensionen, um die es da ging, verdeutlicht.

STANDARD: US-Finanzminister war damals Hank Paulson. In Ihrem Buch kommt er nicht gut weg: Die AIG-Rettung musste man ihm nahelegen und bei einem G-8-Gipfel im Februar 2008 habe er die Krise beschwichtigend dargestellt.

Steinbrück: Bei dem G-8-Treffen in Tokio hat sich aber noch keiner vorstellen können, wie dramatisch sich die Dinge entwickeln würden. Das fing ja ganz langsam an, und dann hatten Sie den Eindruck, plötzlich sind Sie mitten in einem Erdbeben mit sieben oder acht auf der Richterskala. In Tokio kamen mir die Amerikaner sehr unterkühlt vor. Ich glaube, dass sie mehr gewusst und mehr geahnt haben. Aber sie haben sich nicht veräußert in der Annahme, sie dürften nichts dramatisieren und nicht noch weiter beunruhigen. Ich bin mir sicher, dass sie nicht naiv waren. Aber sie wollten nicht, dass es zu einer Überregulierung, wie sie es damals sahen, kam.

STANDARD: Sie haben mit der Kanzlerin im Oktober 2008 eine Garantie für alle Bankeinlagen abgeben. Später wunderten Sie sich, weil es für das Ganze in Deutschland keine Rechtsgrundlage gab. Wurde in der Krise vieles so husch, pfusch ...

Steinbrück: ... Was heißt husch, pfusch? Sie müssen in so einer Situation handeln, Verantwortung übernehmen, und zwar nicht nach Abwägung von drei, vier Monaten, wenn alle schlau vom Rathaus kommen, sondern über ein Wochenende. So eine Situation war das. Da ist Politik anders gefordert als der Journalismus oder die Wirtschaftswissenschaften.

STANDARD: Hat der deutsche Staat nicht bei vielen der Bankenhilfen ein schlechtes Geschäft gemacht?

Steinbrück: Das wird sich erst noch herausstellen. Gemessen an dem 500-Milliarden-Rettungsschirm in Deutschland sind die Spielräume für Garantien und Kapitalzuschüsse ja noch gar nicht alle ausgeschöpft. Was an Garantien fällig wird, werden wir erst wissen, wenn die Laufzeiten für die Problempapiere zu Ende sind. Und die Soffin, also die deutsche Hilfseinrichtung, macht wegen der Zinsen und Gebühren die sie bekommt, derzeit kein Minus.

STANDARD: Gegenbeispiel: Sie haben 18,2 Milliarden Euro in die Commerzbank gesteckt und dafür 25 Prozent übernommen. Der Börsenwert der Bank ist heute nicht einmal halb so hoch, und für das Kapital zahlt sie nur neun Prozent Zinsen.

Steinbrück: Aber die neun Prozent sind knackig! Viel mehr hätte die Bank gar nicht tragen können, und wir wollten der Bank ja helfen und einen Absturz verhindern. Können Sie sich vorstellen, dass die zweitgrößte deutsche Bank pleitegeht? Nein. Man wird sehen, ob der Tag kommt, an dem die Bundesregierung diese Anteile günstig verkaufen kann.

STANDARD: Sie schreiben im Gegenzug zum strittigen Buch ihres SPD-Kollegen Thilo Sarrazin, nicht über Parallelwelten in der Unter-, sondern in der Oberschicht. Bei Ihnen geht es um reiche, realitätsferne Bankmanager.

Steinbrück: Man sollte nicht pauschal von den Bankern reden, so wie niemals von den Journalisten oder den Politikern. Aber dass eine Risikoignoranz sehr verbreitet gewesen ist und maßgeblich zur Entstehung der Krise beigetragen hat und dass auch ein mentales Problem mitgespielt hat, ist richtig. Es gibt eine Parallelgesellschaft auch in den oberen Etagen dieser Gesellschaft, die wenig Bezug haben zu den Verhältnissen weiter unten, zu dem, was dort passiert, welche gesellschaftlichen Fliehkräfte sich entwickeln können.

STANDARD: Warum wird mehr über die abgekapselte Schicht unten geredet?

Steinbrück: Wenn ich mir anschaue, wer Öffentlichkeit herstellt, sind das Medien. Die Medien sind wahrscheinlich darauf aus, sich nicht durch eine zu harsche Berichterstattung ihre Leser oder Zuschauer zu vertreiben, die man dann als Kunden braucht.

STANDARD: Die SPD will Sarrazin wegen seiner sozialdarwinistischen Thesen aus der Partei werfen. Was denken Sie?

Steinbrück: Ich bin gegen einen Parteiausschluss. Es ist richtig, dass er nicht mehr im Bundesbankvorstand ist, denn die Bank muss insbesondere im Hinblick auf ihre internationale Reputation darauf achten, nicht ins schiefe Licht zu geraten. Aber ich halte einen Parteiausschluss für ein falsches Signal, weil viele Menschen so etwas als Versuch interpretieren würden, jemanden mundtot zu machen der, zwar mit einigen schwachsinnigen Thesen, aber dennoch eine Debatte über Integrationsprobleme losgetreten hat, die den Nerv und die Alltagsprobleme vieler Menschen trifft. Da sollte die SPD nicht dem Verdacht unterworfen sein, dass sie sich drückt.

STANDARD: Sie hegen in Ihrem Buch Zweifel, dass Griechenland seine Schulden je abbezahlt. Warum?

Steinbrück: Ich sage nicht, dass sie ihre Schulden nicht zahlen können. Ich weise darauf hin, dass trotz der bemerkenswerten Anstrengungen der griechischen Regierung, den Haushalt zu konsolidieren, die griechische Staatsschuldenquote von derzeit 120 auf 130, 140, vielleicht 150 Prozent hochgehen wird. Deswegen werfe ich die Frage eines Schuldenerlasses für Griechenland auf. Das hätte ich als Finanzminister nicht gekonnt, weil man da vorsichtiger sein muss.

STANDARD: Wer wurde in Griechenland gerettet: das Land, der Euro oder die Gläubigerbanken Athens?

Steinbrück: Der Euro steht eindeutig im Vordergrund. Wenn der Euro zerfallen sollte und wir es mit einer Renationalisierung der Währung zu tun bekommen, wird Europa auf ein Jahrzehnt, wenn nicht länger zurückgeworfen. Griechenland war ja nie allein das Problem. Das Verfahren bei Griechenland war für die Märkte ein Indiz dafür, wie sich die Eurozone auch in anderen Fällen verhalten würde. Wenn die Märkte merken, dass die Politik beim ersten Testfall nicht sattelfest ist, dann testen die Märkte das weiter aus. Das ist der eigentliche Punkt.

STANDARD: Sie schlagen verschiedenste Maßnahmen zur Bankenregulierung vor. Das Problem, dass viele Geldhäuser so groß sind, dass sie ganze Volkswirtschaften mitziehen können, erwähnen Sie nicht.

Steinbrück: Ja, aber was nützt es Deutschland als viertgrößter Volkswirtschaft der Erde, wenn wir die Deutsche Bank vierteilen? Damit würden wir im Bankensystem Kreisklasse spielen und in der Realökonomie Champions League. Bei der dynamischen Entwicklung asiatischer Banken und einer langsam abnehmenden Dominanz angloamerikanischer Kreditinstitute, sollen wir da das deutsche Bankensystem auf die Größe von Staatssparkassen reduzieren? Das ist Unsinn. Was die Banken brauchen, sind Spielregeln, damit sie risikobewusster werden. Ich komme eher zu dem Ergebnis, dass Deutschland einen zweiten großen Spieler wie die Deutsche Bank braucht.

STANDARD: Sie haben einmal von Steueroasen gesprochen und Österreich mit Ouagadougou verglichen. Wie sind Sie auf die Hauptstadt Burkina Fasos gekommen?

Steinbrück: Ich wollte einen wuchtigen Satz sagen und habe gedacht, wenn ich Taka-Tuka-Land sage, kommen die Erben von Astrid Lindgren und beschweren sich. Jenseits des sprachlichen Bildes nehme ich das Thema der Steuerhinterziehung sehr ernst. Das ist lange Zeit politisch eher verharmlost worden, insbesondere von den Ländern, die Steuerhinterziehung billigend in Kauf nehmen oder sogar dazu einladen.

STANDARD: Sie werden in den Medien als möglicher Kanzlerkandidat 2013 gehandelt. Wollen Sie?

Steinbrück: Ich kann mich nicht gegen Spekulationen ihrer Branche wehren. Ich halte es für absurd, drei Jahre vor einer Wahl eine solche Frage so hochzureden. Ich strebe kein Amt an. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.10.2010)