Bad Hofgastein - Im Gesundheitswesen stehen gewaltige Veränderungen bevor. Die Medizin entwickelt sich vom Behandeln bestimmter Erkrankungen hin zur für den einzelnen Patienten maßgeschneiderten Diagnose und Therapie, weil jeder Mensch andere genetische Voraussetzungen hat und anderen Einflüssen ausgesetzt ist. "Das ist keine Frage mehr des Ob, sondern nur mehr des Wie und des Wann", sagte Serdar Savas, Leiter des Genar Institute for Public Health and Genomic Research Istanbul am Donnerstag bei European Health Forum Gastein (EHFG).

Lebensstil und Umwelt bestimmen Risiko mit

Bei einem Menschen wirke Aspirin hervorragend, beim nächsten zeige es keine Wirkung, dafür aber ein anderes Medikament, so Savas, der noch ein weiteres Beispiel nannte: Es hieß, eine Hormonersatztherapie in der Menopause würde das Risiko einer Erkrankung durch Brustkrebs um 25 Prozent erhöhen. Tatsächlich aber gebe es eine Gruppe von Frauen, für die das Risiko sehr stark ansteige, aber auch eine Gruppe, der dadurch keine zusätzliche Gefahr erwachse. Neben der genetischen Voraussetzungen seien vor allem auch der Lebensstil und die Umwelt für die individuellen Risken und Krankheitsverläufe verantwortlich.

Laut Andrea Brand, Direktorin des European Centre for Public Health Genomics, sei die Wissenschaft bei einzelnen Erkrankungen schon sehr nahe an individuell maßgeschneiderten Therapien. Als Beispiel nannte sie die Krebs-Genomik.

 

Auch der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx skizzierte ein stark verändertes Gesundheitswesen der Zukunft. Dieses werde sich von der Funktions- zur Erlebnismedizin bewegen, die mehr Rücksicht darauf nimmt, wie der Patient die Behandlung erlebt. So habe sich beispielsweise gezeigt, dass Menschen bei der Therapie von Rückenschmerzen eine Schein-Akupunktur nahezu gleich gut helfe wie richtige Akupunktur. Weiters erwartet Horx eine Entwicklung von der Komplementär- zur "Integrations-Medizin", die in der Schul- und Alternativ-Medizin verschmelzen: Wenn die Schulmedizin an ihre Grenzen stoße, würden alternative Methoden an Bedeutung gewinnen.

Horx stellte dann auch den Vergleich mit den rund 600 Völkern an, die noch als Jäger und Sammler leben. Abgesehen von eingeschleppten Krankheiten wären diese Menschen besonders gesund. "Das heißt, wir müssen in der Woche 100 Kilometer laufen, dürfen dafür viel essen, dazwischen aber auch hungern, viel singen und lachen - eine gelungene Abwechslung von Spannungs- und Entspannungsphasen." Diese psychosoziale Gesundheit müsse in die moderne Gesellschaft übersetzt werden.

Mit sanftem Druck zum Erfolg

Das dafür erforderliche Umlernen werde aber nicht über Bestrafungen und Verbote funktionieren. Als Beispiel nannte er Deutschland, wo trotz Praxisgebühren jeder Bürger 16 Mal im Jahr zum Arzt gehe, während die Norweger dies nur dreimal pro Jahr tun und dennoch nicht ungesünder sind. "Wir haben ja dafür bezahlt", sei die Begründung der Deutschen. Horx berichtete vielmehr von Modellen, wo mit sanftem Druck Erfolge erzielt werden. Etwa in den Niederlanden, wo Ärzte dafür honoriert werden, wenn ihre Patienten so gesund sind, dass sie erst gar nicht in die Praxis kommen. Oder von einer Treppe einer skandinavischen U-Bahn-Station, die beim Betreten jeder Stufe Klaviermusik auslöst: Binnen kurzer Zeit war die daneben befindliche Rolltreppe so gut wie unbenutzt. (APA)