Heinz-Christian Strache will die Wiener Gemeindebauten verkaufen. - Zumindest trommelt das die Wiener SPÖ im laufenden Wiener Wahlkampf direkt und indirekt immer wieder. Strache, Bürgermeisterkandidat der FPÖ, hat dies bisher stets vehement in Abrede gestellt.
Dass die Gemeindebauten Thema im Wahlkampf sind, ist keine Überraschung. Mehr als ein Viertel der Wienerinnen und Wiener wohnt in den rund 220.000 Wohnungen, die von "Wiener Wohnen" verwaltet und bewirtschaftet werden. Kritik an der konkreten Ausgestaltung dieser Verwaltungstätigkeit, an überhöhten Betriebskosten und Delogierungen wird von Seiten der Wiener Oppositionsparteien immer wieder vorgebracht, natürlich gerade auch jetzt im Wahlkampf. Bei "Wiener Wohnen" pflegt man stets darauf hinzuweisen, dass dies "Einzelfälle" seien.
Buwog-Verkauf als Sakrileg
Dass die Gemeindebauten bzw. der gemeinnützige Wohnbau grundsätzlich eine sehr gute Handhabe bieten, in die Wohnungspolitik der Bundeshauptstadt entscheidend eingreifen zu können, bezweifelt heute kaum jemand - auch wenn die Stadt selbst keine Gemeindewohnungen mehr baut, sondern der gesamte geförderte Wohnbau im Jahr 2004 zu gemeinnützigen (teilweise auch gewerblichen) Bauträgern verlagert wurde. Der letzte Gemeindebau entstand damals in der Rößlergasse in Wien-Liesing.
Kurz davor geschah eine weitere Zäsur im heimischen sozialen Wohnbau. Ab 2001 wurde unter der damaligen ÖVP-FPÖ-Bundesregierung der Verkauf der Bundeswohnungen in Angriff genommen. 62.000 Wohnungen wurden "im Paket" an ein einheimisches Konsortium (Banken, Versicherungen, Immobilienfirmen) verkauft, der Mietwohnungsbestand der Gemeinnützigen reduzierte sich dadurch um 12 Prozent (in Wien um 15 Prozent). Die Transaktion war und ist noch heute vielkritisiert und äußerst umstritten; strukturelle Auswirkungen auf den österreichischen Wohnungsmarkt gab es aber dadurch kaum.
Berlin: Erlöse "flossen in den Konsum"
In Deutschland war dies anders. Dort wurden nach Angaben des GdW - Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen zwischen 1999 und 2009 rund 1,88 Millionen Wohnungen aus den Beständen so genannter KWU - Kommunaler Wohnungs-Unternehmen - verkauft. Zum Vergleich: In ganz Berlin gibt es aktuell rund 1,85 Millionen Wohneinheiten. Der Durchschnittspreis pro Wohnung lag unter 50.000 Euro - und so witterten auch internationale Finanzinvestoren hier ein großes Geschäft.
GdW-Präsident Lutz Freitag sprach auf einer Fachtagung des Vereins für Wohnbauförderung (vwbf) vorvergangene Woche in Berlin von einer "explosiven Gemengelage", die vor allem in den Jahren 2000 und 2001 zu dieser Entwicklung geführt habe. "Die Wohnungen wurden wegen eines angeblichen Kapitalbedarfs verkauft. Den gab es aber nicht. Es gab nur den Bedarf, die Eigentümerstruktur zu ändern." Die Erlöse seien "in den aktuellen Konsum geflossen", was für Freitag ein klarer "Bruch des Generationen-Übereinkommens" war. Heute hätten diese Städte das sozialpolitische Lenkungs-Instrument, das ein großes kommunales Wohnungspaket bedeutet, gerne wieder - "sie trauern ihren damaligen Möglichkeiten nach".
Sarrazin kurbelte Verkäufe an
Durch die Verkäufe reduzierte sich in Berlin (der für die Privatisierung verantwortliche Finanzsenator hieß übrigens Thilo Sarrazin und kam von der SPD) der Anteil kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen am gesamten Wohnungsbestand von 30,6 Prozent im Jahr 2000 auf 23,6 Prozent 2008. Zum (eingeschränkten) Vergleich: In Wien nahm der Anteil dieser beiden Sektoren am Gesamtmarkt von 35 Prozent im Jahr 1981 auf 42 Prozent 2008 zu, wie Artur Streimelweger, wohnwirtschaftlicher Referent des Verbands Gemeinnütziger Bauvereinigungen (gbv), erläuterte.
In Berlin trat daraufhin auch die erstaunliche Entwicklung ein, dass im Jahr 2006 die durchschnittliche Monats(kalt-)miete im sozialen Wohnbau mit 5,4 Euro pro m² signifikant über der Durchschnittsmiete aller Wohnungen (4,8 Euro), also inklusive des freien Markts, lag. In Wien war dies zum selben Zeitpunkt (so wie auch heute noch) umgekehrt: 3,6 Euro im sozialen Wohnbau, 3,8 Euro im Durchschnitt des Gesamtmarkts.
Fast 24 Millionen Mietwohnungen in Deutschland
"Deutschland hat heute den größten Mieten-Markt Europas", erklärte Freitag. Mitgrund dafür war der riesige Neubau-Bedarf nach Ende des Zweiten Weltkriegs, dieser musste überwiegend öffentlich finanziert werden.
Von den knapp 40 Millionen Wohneinheiten in Deutschland werden heute 9,2 Millionen von professionell-gewerblichen Anbietern verwaltet. 2,2 Millionen davon befinden sich in genossenschaftlichem und 2,4 Millionen in kommunalem Besitz. 14,5 Millionen Wohneinheiten werden von "privaten Kleinanbietern" vermietet, der Rest von knapp 16 Millionen Wohneinheiten sind sogenannte "Selbstnutzer", also Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen.
Bernd Hallenberg vom deutschen Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung bemerkte ein starkes Nord-Süd-Gefälle in Deutschland, was den Verkauf kommunaler Wohnungsbestände an Private betraf. Im Norden war die Privatisierung ein sehr verbreiteter Vorgang, im Süden kaum. Was zudem beobachtet werden konnte: In den an Investoren verkauften Wohnungsbeständen nahm der Anteil kaufkraftschwächerer Haushalte im Vergleich zu den weiterhin kommunalen Wohnungsunternehmen signifikant ab.
"Opportunisten" vs. "Strategische"
"Die Verkäufe waren alle finanzmarktgetrieben, mit hohem Fremdkapitalanteil, also kreditfinanziert", resümierte Freitag. "Solange die Zinsen niedriger waren als die erzielte Rendite, ging das gut. Sobald aber die Fremdkapital-Zinsen stiegen, standen die Investoren vor riesigen Problemen."
Manch einer ging Pleite - wie der Finanzkonzern "Level One" des Oberösterreichers Cevdet Caner, der sich unter anderem mit Wohnungen in der Großsiedlung Berlin-Hellersdorf verspekulierte (siehe dazu Reportage). Hallenberg nennt solche Finanzinvestoren "Opportunisten", gegenüber den langfristigen "strategischen Investoren". Erstere seien nur an kurzfristigen Wertsteigerungen und Ausschüttungen interessiert, Letzere an einem dauerhaften, sicheren Ertrag mit geringem Risiko.
Finanzinvestoren und Börse-Streubesitz
Mittlerweile sind auch mehrere ehemals landeseigene deutsche Wohnimmobilien-Unternehmen an der Börse gelandet. Die größte davon ist die "Gagfah" ("Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten"), die 2004 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an den US-amerikanischen Finanzinvestor Fortress für 3,5 Milliarden Euro verkauft wurde. Der Deal umfasste 81.000 Wohnungen (davon 24.000 in Berlin), später folgten noch mehrere Zukäufe. Die Gagfah ist heute eine AG nach luxemburgischem Recht, Fortress hält mehr als 80 Prozent der Aktien.
Nummer 2 an der Börse ist die "Deutsche Wohnen", die im Jahr 1998 von der Deutschen Bank gegründet wurde und aus der Übernahme eines Wohnimmobilien-Portfolios des Bundeslands Rheinland-Pfalz und des Pharmakonzerns Hoechst AG (heute Teil von Sanofi-Aventis, Anm.) entstand. 2007 wurde von der "Deutsche Wohnen" auch die Berliner GEHAG ("Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft") geschluckt. Ein knappes Viertel der Anteile wird vom US-Finanzinvestor Oaktree Capital Management gehalten, der Rest ist im Streubesitz.
Im heurigen Frühjahr sollte sich eine weitere große ehemals landeseigene Wohnungsgesellschaft zu den AGs dazugesellen. Die Berliner GSW ("Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft"), die mit rund 75.000 Wohnungen einen der größten Bestände der deutschen Hauptstadt verwaltet, war 2004 vom Land an die Finanzinvestoren Goldman Sachs (bzw. dessen "Whitehall"-Fonds) und Cerberus verkauft worden. Damals wurde festgelegt, dass die GSW nur dann mehrheitlich an die Börse gebracht werden kann, wenn der Berliner Senat zustimmt. Diese Zustimmung ließ sich der Senat um 30 Millionen Euro "abkaufen" - es gab damit grünes Licht für den Börsegang. Wenig später wurde dieser aber auf unbestimmt verschoben, wegen des "verschlechterten Kapitalmarktumfelds", wie es hieß. Wann er stattfinden wird, ist ungewiss.
"Strukturelles Defizit wird konserviert"
Für Lutz Freitag ist jedenfalls eines klar: "Der Verkauf kommunaler Wohnungsunternehmen löst die Finanzierungsprobleme einer Stadt nicht, sondern verschärft sie auf längere Sicht. Die Verkaufserlöse ermöglichen nämlich meist nur den Verzicht auf notwendige Sparmaßnahmen, was das strukturelle Defizit nicht beseitigt, sondern eher konserviert."
Die an der Berliner Fachtagung mitwirkenden Vertreter heimischer Gemeinnütziger - darunter GBV-Obmann Karl Wurm, der Wiener Verbandsobmann und Sozialbau-Chef Herbert Ludl sowie der Präsident des Vereins für Wohnbauförderung, Markus Sturm - priesen denn auch den sozialen Wohnbau als wohnungspolitisches Steuerungsinstrument, dessen Preisgabe durch einen an kurzfristigen budgetären Maßnahmen orientierten Verkauf erhebliche negative Auswirkungen hätte. Unter anderem wäre das "wohnungswirtschaftliche Kreislaufsystem" gefährdet, das "revolvierende System" - das vereinfacht dargestellt darin besteht, dass aus den erwirtschafteten Mieterträgen der Bestandsbauten der Neubau für die kommenden Generationen finanziert wird - würde erheblichen Schaden nehmen.
"Einfallstor für Spekulanten"
Sozialbau-Chef Ludl machte außerdem darauf aufmerksam, dass es durch den - seit einiger Zeit auch in Österreich, mit den so genannten "Kaufoptionswohnungen", forcierten - Verkauf von Genossenschaftswohnungen an die Mieter schwieriger werde, Häuser zu bewirtschaften, und diese Regelung im Übrigen als "Einfallstor für Wohnraum-Spekulation" diene.
In Deutschland wurde das ohnehin bereits erkannt: Seit dem "Boom" in den Jahren 2004 bis 2007 - wobei 2007 sogar die Wiederverkäufe die Erstverkäufe überstiegen - ist ein deutlicher Rückgang der Wohnungsverkäufe bemerkbar. 2009 wurden nur noch zwei Bestände mit insgesamt knapp 6.000 kommunalen Wohnungen veräußert. (Martin Putschögl, derStandard.at, 7.10.2010)