Neue Bedeutung durch Farbgebung: Arnulf Rainer, Kreuz aus den Jahren 1987/88, Öl auf Holz.

Foto: Galerie Ropac

Salzburg - "Morgens um 6 Uhr erhebt sich Diether Roth und trinkt einen, während er Traumwolken vertreibt", heißt eine mit Schwarzstift und Ölkreide übermalte Fotografie aus den Gemeinschaftsarbeiten von Roth und Rainer, die zwischen 1971 und 1978 in Rainers Atelierwohnung in Wien entstanden sind.

Selbstironie ist das Grundprinzip dieser Zeichnungen, Malereien und Fotoübermalungen, deren Titel an Wortspiele Thomas Bernhards erinnern. Zuletzt wurden Teile dieser Kollaborationen im Belvedere in Wien und in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt. Die Arbeiten stehen für den humorvollen und ironischen Umgang Arnulf Rainers und des 1998 verstorbenen Diether Roths mit der Kunst.

In regelmäßigen Tages- und Nachtsitzungen werkten sie gemeinsam an einem Zyklus von Bildern, die vor Situationskomik und spielerischer Freude nur so sprudelten.

Frei von jeder Selbstbeschränkung malten und mischten sie entweder vierhändig am selben Bild oder arbeiteten getrennt, nacheinander,

Der deutsche Wahlschweizer und Wahl-Isländer Roth war auch Dichter, Filmemacher und Objektkünstler. In den Gemeinschaftsarbeiten mit Rainer übernahm er öfter den Part des Performers. Man sieht ihn springend (So nimmt Diether Roth die Hürden des Lebens spielend) oder speiend (Diether Roth zeigt, wie übel ihm auf dieser Welt ist, und spuckt sein Oeuvre aus).

Die Galerie Ropac zeigt aber auch die andere, die ernste Facette des 80-jährigen Arnulf Rainer mit seinen Kreuzbildern aus der Zeit von 1979 bis 1989, die sich durch das gesamte Werk des Übermalers (und des Über-Malers) ziehen.

Sakrale Kunst hatte Rainer nie im Sinn; und mit konfessionellen Intentionen hatte er schon gar nichts am Hut:"Ich bin Atheist." Vielmehr interessierte ihn die Symbolkraft des Kreuzes einerseits unter dem Gesichtspunkt des Spottes, andererseits dem des Heils. Ihn beschäftigte, wie man diesem "Mantel der Engel" (Zitat Rainer) durch Farbgebung eine neue Bedeutung verleihen kann. Der Malakt selbst hatte etwas Sinnliches, zuweilen aber auch etwas von eruptiver Energie, als Rainer die Farben mit bloßen Händen auf das Kreuz schüttete. (Christian Weingartner / DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2020)