Die achtjährigen Mädchen Dorentina und Daniela Komani steigen in der Arndtstraße in den Polizeibus ein. In den Händen halten sie ihre eigenen, privaten Kindersitze.

Foto: Standard/Christian Fischer

Wien - Wien-Meidling, Arndtstraße, Mittwoch, 6,45 Uhr. Im zweiten Stock eines Gründerzeithauses reißen sechs Bewaffnete einen Vater und seine zwei kleinen Zwillingstöchter aus dem Schlaf. "Anziehen und mitkommen!", herrschen die Beamten Avgustin (36), Dorentina und Daniela (8) Komani aus dem Kosovo an: ein Festnahmeauftrag liege vor, sie würden in Schubhaft gebracht.

Zeit zum Packen wird den drei nicht gewährt, keine zehn Minuten später sitzen sie im Kleinbus auf dem Weg ins Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände. Zurück bleiben Möbel und Kleider, die Puppen und Teddys auf der Fensterbank und die Blockflöten auf dem Notenständerbord. Fast sechs Jahre haben die Komanis in Österreich gelebt, lange Zeit davon in Steyr.

Auch geschockte Nachbarn bleiben zurück. Sie wurden von den Uniformierten gleichfalls aus den Betten getrieben. "Die Komani-Mädchen haben vor den Polizisten große Angst gehabt. So eine Angst ist fürs ganze Leben", sagt Frau Z., die mit Mann, Tochter und Sohn vor der Abschiebung nach Georgien zittert.

"Kurz nach halb Sieben sind auf einmal Polizisten mit dem Rammbock vor der Haustür gestanden. Wir haben sie hereingelassen", schildert wenig später Karin Klaric. Die Rechtsvertreterin der Komanis und Obfrau des Vereins Purple Sheep, der in der Arndtstraße akut von Abschiebung bedrohte Familien betreut, ist empört: "Sie haben die zwei achtjährigen Mädchen ganz einfach mit eingesperrt!"

Mutter mit akuter Psychose

Klaric weiß: "Donnerstag geht von Wien aus ein Abschiebeflieger in den Kosovo." Doch dass geplant sei, die Komanis mit an Bord zu nehmen, will sie nicht glauben. Tags zuvor sei die Mutter, Vera, mit Selbstmordimpulsen und akuter Psychose auf der Baumgartner Höhe eingeliefert worden. Sie sei auf Psychopharmaka gesetzt und nicht ansprechbar: "Will man die Familie vielleicht getrennt abschieben, also die Mutter in Wien zurücklassen?", fragt Klaric.

Genau das habe man vor, bestätigt wenig später Roman Hahslinger, Sprecher der Wiener Polizei: "Wir gehen davon aus, dass der Vater und die Töchter am Donnerstag in den Kosovo zurückgebracht werden", bestätigte er dem STANDARD. Dass die Mutter, die wegen Selbstgefährdung am Mittwoch in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde, derweil in Wien verbleiben soll, entspreche der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), sagte er.

Eine Einschätzung, die der Anwalt und Menschenrechtsexperte Georg Bürstmayr "leider teilt". "Die EGMR-Judikatur zu Abschiebungen ist in den vergangenen Jahren immer enger und staatenfreundlicher geworden. Das ist schön langsam ein europäisches Menschenrechtsproblem", meint Bürstmayr.

Vater mit Kindern in Zelle

Vater und Töchter Komani wurden Mittwochfrüh im Polizeigefängnis zusammen in eine Zelle gesperrt. Diese sei für die Unterbringung von Familien geeignet, sagte Hahslinger. Klaric versuchte stundenlang, Zugang zu ihren Klienten zu bekommen: Die Vollmachten der Komanis wurden von der Fremdenpolizei erst nach langem Hin und Her akzeptiert. "Hier zeigt sich die unbarmherzige Ausländerpolitik der ÖVP-SPÖ-Koalition", kommentierte Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun die Vorkommnisse. Von SPÖ und ÖVP kam keinerlei Reaktion. (Irene Brickner, DER STANDARD; Printausgabe, 7.10.2010)