Inhalte des ballesterer Nr. 56 (Oktober 2010)
Ab sofort österreichweit im Zeitschriftenhandel!


Schwerpunkt: So geil ist Fußball!

DIE KOMPLIZIERTE NUMMER
Maierhofer, Schinkels und Girtler über Sex im Fußball

»DAS MACHT DIE BEINE SCHWACH!«
Nachwuchskicker K. glaubt nicht an gängige Klischees

UNZÜCHTIGES UNTERHAUS
Die Kabinenparty aus Girlie-Perspektive

DR. PENNWIESERS NOTFALLAMBULANZ
Die Sexsucht


Außerdem im neuen ballesterer:

»WAS SEID IHR FÜR VOLLIDIOTEN?«
Martin Blumenau will diskutieren, nicht provozieren

»NO ALLA TESSERA«
Italiens Fanausweis spaltet die Ultra-Bewegung

»DIE BAYERN SIND MINDESTENS SO SCHEISSE WIE WIR«
Ultras Nürnberg über Repression und süddeutsche Rivalitäten

VEREINTE ISLAMHASSER
Casuals United, die neue Rechte unter Englands Hools

BESTECHENDER HÉRCULES
Alicantes nicht ganz sauberer Aufstieg in die Primera División

RÜCKKEHR NACH ZEMANLANDIA
Foggia plant die Fortsetzung seines Fußballmärchens

VORWURF: VERRÄTER!
In Belgiens Nationalteam und Politik dominiert das Chaos

AFRIKA LECKT SEINE WM-WUNDEN
Lokalaugenschein in Kamerun, Journalist Emmanuel Samnick im Interview

SÖHNE DER PROVINZHAUPTSTADT
Eisenstadt hat wieder einen Fußballverein

KÜHLE STARLETS, KALTE BAUSTELLE
Groundhopper aus England, Island, Polen und Tschechien

BAROMETER
Das Hamburger Derby in Spruchbändern

SINNREICHS SPIELMACHER
Beckhams Bärendienste

Cover: Ballesterer

"Macht macht sexy!"

Foto: Dieter Brasch

"Fußball ist auf jeden Fall immer mehr Thema, aber Sex gehört zu den wichtigeren Nebenthemen."

Foto: Dieter Brasch

ballesterer: Sex im Fußball ist ein Thema, über das nicht jeder gerne spricht. Hattest du bei der Zusage für das Interview Bauchweh?
Sebastián Martínez: Ja, ein bisschen. Es ist halt immer noch ein Tabuthema und wird das auch bleiben. Wenn Eltern ein Problem damit haben, mit ihren Kindern über Sex zu reden, warum sollte das im Fußball anders sein?

Hast du dich speziell vorbereitet?
Nein, ich kann über meine Erfahrungen reden, und was ich für mich behalten will, werde ich für mich behalten.

Fußballer sind gewissermaßen Popstars, und damit geht oft der Status als Sexsymbol einher. Siehst du dich als solches?
Nein, überhaupt nicht. Das trifft vielleicht auf die wirklich großen Stars wie Beckham, Ronaldo und Forlan zu. Außerdem haben solche Fußballer sehr viel Medienpräsenz, was auch mit Macht einhergeht – und das ist halt attraktiv für Frauen und Männer. Das sieht man auch bei anderen Leuten, die Erfolg haben: Macht macht sexy.

Es gibt doch sicher auch in der österreichischen Liga Kicker, die sich als Sexsymbole sehen. Was beobachtest du am Verhalten dieser Fußballer?
Im Fußball hast du junge Männer, die normalerweise über dem Durchschnitt verdienen und durch ihre Bekanntheit ein gewisses Selbstvertrauen haben. Das kommt gut an. Das kann vielleicht eine Pose sein, aber ich glaube, dass die Mischung aus jung, erfolgreich, gutem Einkommen, Medienpräsenz und sportlichem Aussehen attraktiv macht.

Wenn wir direkt in die Kabine reingehen: Inwiefern sind Frauen und Sex dort ein Thema?
Fußball ist ein sehr machistisches Metier, und auf die Art wird das auch meistens thematisiert. Aber da läuft halt auch der Schmäh, und man kann nicht alles ernst nehmen, was geredet wird. Es wird aber nicht jeden Tag in der Kabine über Sex gesprochen, sondern meistens nur, wenn irgendetwas passiert ist.

Beim ersten Training nach dem Wochenende wird mehr über das letzte Spiel als über mögliche Eroberungen beim Weggehen geredet?
Fußball ist auf jeden Fall immer mehr Thema, aber Sex gehört zu den wichtigeren Nebenthemen. Man muss sich das als Gespräche einer Gruppe junger Männer vorstellen – das ist überall ungefähr dasselbe.

Du bist verheiratet und wahrscheinlich schon ein bisschen gesetzter. Denkst du dir bei ausschweifenden jungen Spielern eher, dass sie kindisch sind oder dass sie Spaß haben und sich die Hörner abstoßen sollen?
Man kann mit allem Spaß haben, mit Alkohol, mit Frauen, beim Fortgehen, aber man sollte es nicht übertreiben, weil sonst irgendwann die körperliche Leistung darunter leidet. Man kann sich beim Fortgehen nicht immer vollsaufen und dann fünfmal Sex haben, sondern man muss das dosieren. Sonst wirst du am nächsten Tag im Training deine Leistung nicht bringen. Es reicht schon, ein bisschen früher ins Bett zu gehen und vielleicht nur ein- oder zweimal nicht zu akrobatischen Sex zu haben. Das kann auch Spaß machen.

Musst du jüngeren Spielern auch bei Problemen helfen oder ihnen Tipps geben, was das Liebesleben betrifft?
Die meisten haben andere Vertrauenspersonen, aber ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass Spieler um Rat gekommen sind.

Die »Dr. Sommer«-Funktion hast du aber nicht?
Nein, nein. (lacht)

Welche Auswirkungen hat es auf das Mannschaftsgefüge, wenn ihr längere Zeit im Trainingslager seid und alle von ihren Partnerinnen getrennt sind?
Wenn alle müde sind und eine gewisse Anspannung da ist, entstehen Reibereien. Nach einer Woche Trainingslager haben die Spieler ihre Frauen seit langem nicht gesehen und schon länger keinen Sex gehabt, und irgendwann eskaliert das. Das ist vorprogrammiert.

Wie ist deine Erfahrung mit Sex vorm Spiel? Und hast du da von Trainern schon Auflagen bekommen?
Das ist bei jedem Spieler unterschiedlich. Ich habe zum Beispiel einen Kollegen gehabt, der hat drei Tage vor dem Spiel keinen Sex haben können, weil für ihn die psychische Belastung viel zu groß war. Er hat das im Kopf nicht verarbeiten können und sich müde gefühlt. Dann gibt's Spieler, die am Tag vom Abendspiel in der Früh noch Sex haben, damit sie locker sind und dann eine super Leistung bringen. Meine Trainer haben sich nie so stark ins Privatleben eingemischt. Aber wie willst du das auch kontrollieren?

Auch nicht umgekehrt? Der italienische Trainer Serse Cosmi hat seinen Spielern zur Entspannung bei der Heimfahrt auf Busreisen Erotikfilme gezeigt ...
Das finde ich nicht entspannend. Aber sicher gibt's Trainer, die nach dem Trainingslager mit einem Augenzwinkern sagen: »Okay, Burschen, jetzt genießt's die zwei, drei freien Tage.«

Warst du mit deinen Kollegen in einem Rotlichtlokal?
Nach einer Saisonabschlussfeier waren wir einmal in einer Go-go-Bar, in der wir die Mannschaftskassa zur Gänze ausgegeben haben. Das war aber nur einmal und das ist auch gut so, weil du sehr unterschiedliche Leute in einer Mannschaft hast. Meistens geht die Mannschaft etwas essen und trinken und danach ein bisschen feiern. Da kommt es darauf an, in welchem Status du bist: Gehst du nach Hause oder kommt die Freundin oder die Frau oder du hast einen Aufriss und so weiter. Vielleicht gehst du aber auch solo nach Hause oder bist schon so betrunken, dass dich ein Kollege heimbringen muss.

Das Klischee vom Fußballer als Stammgast in den Rotlichtlokalen stimmt also nicht ...
Ich kann nur für mich sprechen. Ich gehe da nie hin, weil mich das ganze Rotlichtgeschäft nicht interessiert.

Wenn du die beiden Fußballkulturen Österreich und Uruguay vergleichst: Gibt es da Unterschiede im Umgang mit Sexualität?
In Uruguay heiraten viele junge Spieler früher, vor allem wenn sie nach Europa kommen. Der Fußball hat in Uruguay einen höheren Stellenwert, und damit hast du einen höheren Status in der Gesellschaft und vielleicht mehr Groupies und so weiter.

Ist der Umgang mit Sex auch entspannter?
Nein, in der westlichen Kultur haben wir immer diese Doppelmoral. Es ist vielleicht in Europa sogar ein bisschen entspannter als in Lateinamerika.

In Europa sind Sexskandale im internationalen Fußball, wie zuletzt bei Ribery und Rooney, immer wieder ein Thema in den Medien. Was denkst du dir, wenn du diese Sachen in der Zeitung liest?
Dass jeder Fehler macht. Ich bin nicht der Meinung, dass ein Fußballer mehr Vorbild sein muss als andere Leute. Das sind ganz normale Menschen. Politiker sind auch nicht in jeder Hinsicht Vorbilder. Du kannst dich nicht abkoppeln von der Gesellschaft – in keinerlei Hinsicht.

Sollte so etwas überhaupt in der Zeitung stehen?
Es geht eigentlich niemanden etwas an, aber die Gesellschaft ist so: Es wird alles verkauft. Es wird mit den Fehlern und dem Leid der anderen Profit gemacht. Aber das ist wahrscheinlich der Preis, den man für den Ruhm zahlen muss. Ich würde nicht mit Maradona tauschen wollen, ich brauche meine Privatsphäre.

Warum landen Stars wie Ribery oder Rooney, die keine Probleme haben sollten, Frauen auf anderen Wegen kennenzulernen, immer wieder bei Prostituierten im Bett?
Vielleicht wegen der Anonymität, weil es leichter und unkomplizierter ist. Das ist eine Transaktion, und damit hat es sich. Das ist aber wahrscheinlich bei den meisten Männern so, die Prostituierte besuchen. Vielleicht wollen sie Abwechslung haben, hingehen, zahlen und nach einer halben Stunde oder Stunde wieder gehen. Die hat dich nach fünf Minuten eh schon vergessen, und du sie auch – alles geregelt, alles unkompliziert.

Der Soziologe Roland Girtler sieht eine Analogie zwischen Fußball und Erotik: Beide Male geht es um Kampf, um Leidenschaft und den körperlichen Abrieb – siehst du da auch Verbindungen?
Sicher kann man das vergleichen, beides ist wie ein Tanz. Das ist eine gute Analogie. Sexmetaphern bringen gewisse Dinge manchmal genau auf den Punkt. Da gibt's ja auch einige Trainer, die das oft betonen, vom Einnetzen sprechen und solchen Dinge. Ich habe in Uruguay einmal einen Trainer gehabt, der hat gesagt: »Jungs, ihr müsst den Ball wirklich lieben, ohne ihn hätte ich nie geheiratet.« Er hat sich selber als ein bisschen hässlich gesehen. So viel zum Thema Sex und Fußball.

Du musst eine Liebesbeziehung zum Fußball haben?
Wenn du eine normale Profikarriere hast, bist du 15 Jahre mit dem Ball verbunden. Das ist dein Arbeitsgerät, von dem solltest du dich nicht trennen, den solltest du lieben und gut behandeln. Ich glaube, dass man ohne diese Leidenschaft nicht sehr weit kommt, denn du musst dich den ganzen Tag mit dem Ball beschäftigen. Das geht nur mit Liebe. (Interview: Reinhard Krennhuber & Jakob Rosenberg, Fotos: Dieter Brasch)