Elise-Richter-Habilitationsstipendiatin Jutta Fortin.

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Der Schrecken des Holocaust, die Beziehung des Kindes zur depressiven Mutter oder die Trauer über einen persönlichen Verlust: In den Gesamtwerken ausgewählter Schriftsteller spürt die Romanistin Jutta Fortin Traumata auf, die sich geisterhaft in deren (Auto-) Fiktionen einnisten. "Zahlreiche zeitgenössische Autoren beschäftigen sich beinahe zwanghaft mit spektralen Figuren, deren Anwesenheit auf die Abwesenheit dessen hindeutet, wofür diese Figuren stehen. Zugleich zeigen sie die Fähigkeit, sich in literarischer oder fotografischer Materie einzunisten und so das Verlorene, Verschwundene, Tote zu überleben", sagt die Literatur- und Medienwissenschafterin.

Diese Figuren sind oft auf unverarbeitete oder unverarbeitbare historisch-kollektive oder individuell-private traumatische Ereignisse des 20. Jahrhunderts zurückführbar. Im Rahmen eines Elise-Richter-Habilitationsstipendiums des Wissenschaftsfonds FWF untersucht sie Werke französischer und italienischer AutorInnen und FotografInnen von 1970 bis heute, deren Schaffen stark vom Motiv des Verlustes geprägt ist.

Neben literaturwissenschaftlichen Methoden sind für ihre Arbeit auch solche aus den Gebieten Psychologie, Psychoanalyse, Geschichte, Anthropologie sowie der Kritik über die Fotografie relevant. Parallel zur Analyse organisiert sie drei internationale Kongresse zum Thema mit Kollegen von der Universität Wien und der Université Jean Monnet in Saint-Etienne. Mit der dortigen Forschungsgruppe Cierec (Centre Interdisciplinaire d'Études et de Recherches sur l'Expression Contemporaine) arbeitet Fortin bereits seit ihrem Schroedinger-Stipendium 2006 zusammen.

Ursprünglich aus Interesse an den Sprachen studierte sie Romanistik und Anglistik bzw. Amerikanistik an den Universitäten Salzburg, Portsmouth und Paris. Wäre sie nach ihrer Dissertation über Abwehr- und Kontrollmechanismen in der fantastischen Literatur des 19. Jahrhunderts in Cambridge geblieben, "hätte ich wohl eine Arbeit zu Leben und Werk von George Sand geschrieben", meint das aktive Mitglied der Vereinigung der Freunde der 1876 verstorbenen Schriftstellerin.
In Österreich ist so eine Spezialisierung als Karriereweg aber kaum möglich. So bewarb sich die heute 37-jährige Salzburgerin in der Freud-Stadt Wien schließlich um eine Assistentenstelle und entwickelte ihr Interesse am Fantomatischen, Indirekten, Unbewussten weiter.

Mit Begeisterung vermittelt Fortin Methodik und Freude an der wissenschaftlichen Arbeit an Studierende, wiewohl dies in ihrer Forschungsstelle derzeit nicht in großem Umfang vorgesehen ist. Rund die Hälfte der Drittmittel, mit denen sie ihre literaturwissenschaftlichen Studien finanzierte, wurde von ausländischen Institutionen bezahlt oder war an Mobilität gebunden. "Für mich war es ein Plus, in dem betreffenden Land in wissenschaftliche Strukturen eingebunden zu sein. Das mobile Leben und die laufende Antragstellung erfordern aber auch viel Energie und Unterstützung von Institutionen und Einzelpersonen", sagt Fortin.
Die Fördersituation in Österreich könnte natürlich besser sein, meint die Literatur- und Medienwissenschafterin. Denn so manches Forschungsvorhaben von KollegInnen könne mit einer halben Stelle einfach nicht befriedigend bearbeitet werden. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.10.2010)