Das launische Lasttier: Wildlebende Kamele sind gefährdet, auch aufgrund der falschen Annahme, dass sie Vorfahren der Hauskamele seien.

Foto: Pamela Burger

Kamele erwecken das Interesse der Sozialanthropologen aufgrund ihres Daseins als Lasttier.

Foto: Pamela Burger

Ihr Gang ist schaukelnd, ihr Gemüt launisch, und ohne sie hätte der Mensch niemals die ausgedehnten Wüsten Asiens und Nordafrikas erobern können: Kamele, faszinierende Geschöpfe, perfekt angepasst an das Leben im Trockenen. Auf oder zwischen ihren Höckern kann sich der Homo sapiens schon seit Jahrtausenden in die schier endlosen Weiten von Sahara und Gobi vorwagen. Die Entwicklung der arabischen Welt wäre ohne diese zähen Wiederkäuer undenkbar gewesen. Es sind Tiere mit mannigfaltiger Bedeutung, kulturell, wirtschaftlich und ökologisch.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften veranstaltet gemeinsam mit der Veterinärmedizinischen Universität noch bis heute, Mittwoch, in ihrem Wiener Hauptgebäude die erste internationale und interdisziplinäre Konferenz über Kamele. 90 Experten aus aller Welt befassen sich zwei Tage lang in bisher nie gekanntem Umfang mit allem, was die Angehörigen der Gattung Camelus betrifft. Das Themenspektrum erstreckt sich von typisch zoologischen Aspekten bis hin zur Doping-Bekämpfung bei Rennkamelen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Kamel-Trekking für Touristen und die Vermarktung von Kamelmilch kommen ebenso zur Sprache wie die Rolle von Kamelurin als Desinfektionsmittel in der traditionellen arabischen Volksmedizin. Der interdisziplinäre Charakter des Kongresses soll helfen, Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Natur- und Geisteswissenschaftern zu überwinden.

Pamela Burger, Mitorganisatorin der Veranstaltung, geht in ihrer wissenschaftlichen Arbeit der spannenden Frage nach den stammesgeschichtlichen Ursprüngen der Kamele nach. Als Leiterin eines österreichisch-mongolischen Forscherteams hat die an der Vet- Med Wien tätige Veterinärmedizinerin zusammen mit ihren Kollegen eine einfache und preiswerte Methode entwickelt, um wilde zweihöckerige Kamele von weiblichen Mischlingen, entstanden aus einer Kreuzung mit ihren domestizierten Verwandten, unterscheiden zu können (vgl. Animal Genetics, Bd. 41, S. 315). Das hat große Bedeutung für den Artenschutz.

Wild- und Hauskamele

Die wildlebenden Tiere der Gattung Camelus ferus sind gefährdet. Ihre Restpopulationen zählen lediglich 1000 bis 1600 Tiere. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Man findet sie nur noch in einigen chinesischen und mongolischen Wüstengebieten. Dort halten Viehzüchter auch zahlreiche Hauskamele, die den ganzen Winter frei umherziehen dürfen. Das spart Futterkosten. Die Wilden paaren sich mit den Zahmen, und die Früchte solcher Liaisonen sind äußerlich kaum erkennbar.

Die Vermischung ist Artenschützern ein Graus. Der Hintergrund: Zweihöckerige domestizierte Cameli gehören überraschenderweise nicht zur selben Spezies wie C. ferus. "Unsere Arbeitshypothese war, dass die mongolischen Wildkamele die direkten Vorfahren der Hauskamele sind", erklärt Pamela Burger dem Standard. Genetische Analysen haben dies allerdings eindeutig widerlegt. Zahme Tiere gehören zu einer eigenständigen Art, Camelus bactrianus. Durch Hybridisierung droht das spezifische Erbgut von C. ferus verlorenzugehen. Die Wildkamele könnten somit faktisch aussterben, ohne dass man es bemerkt.

Wann sich die beiden Spezies trennten, ist nicht genau bekannt. "Wir können aber sagen: Es ist weit vor der Domestikation geschehen", sagt Burger. Vor schätzungsweise 600.000 bis zu einer Million Jahren. Wildlebende Cameli bactriani gibt es schon längst nicht mehr. Die letzten verschwanden vielleicht schon kurz, nachdem sie der Mensch als Haustiere zu züchten begann, so wie es anscheinend auch mit den einhöckerigen Dromedaren vor mehr als 5000 Jahren geschehen war.

Der Sozialanthropologe Johann Heiss von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wird bei seinem Vortrag nicht ganz so weit in die Vergangenheit zurückblicken. Heiss' besonderes Interesse gilt der Organisation von Karawanen auf der "Weihrauchstraße", einem berühmten Handelsweg, der von Oman nach Nordwesten führt. Die Hauptroute durchquert unter anderem Jemen und das südliche Saudi-Arabien.

Das dortige Gelände ist für Kamelkarawanen eher untypisch, erklärt der Forscher: ein recht dichtbesiedeltes, fruchtbares Hochplateau und schmale, felsige Passstraßen. "Sehr gegensätzliche Anforderungen." Die Strecke war früher trotzdem beliebt. Weitläufige Wüsten bieten zwar den Vorteil, dass Kamele und Reiter sich bequem durch das flache Terrain bewegen können, aber die Versorgung ist schwierig. Ein Teil der Tiere muss Futter und eventuell auch Wasser tragen - statt Handelsware. Nicht gut fürs Geschäft.

Spediteure in der Wüste

Auf der Jemen-Route gibt es normalerweise keine Verpflegungsprobleme. Zudem erreicht man dort regelmäßig Plätze, auf denen die Handelsreisenden ihre Güter abladen und anbieten können - "aber nicht immer freiwillig", betont Johann Heiss. Raub war jahrhundertelang das Hauptrisiko. Die Geländeverhältnisse verursachten damals gleichwohl ganz andere Schwierigkeiten, wie Heiss einem Bericht des arabischen Gelehrten al-Hamdani aus dem 10. Jahrhundert entnommen hat.

Die Wege waren nicht nur auf den Pässen, sondern auch zwischen den bewirtschafteten Feldern sehr schmal, die Kamele mussten eines nach dem anderen gehen. "Eine Karawane konnte vielleicht 15 Kilometer lang sein", sagt Johann Heiss. Al-Hamdani beschreibt Kolonnen mit bis zu 6000 Lasttieren. Dagegen muten die Lkw-Schlangen auf heutigen Autobahnen schon fast niedlich an. Die Kamelketten hatten indes ihre Tücken. Heiss: "Die Spitze war oft bereits im Lager angekommen, während der Rest noch lange unterwegs war."

Und wer zuerst ankam, bekam das beste Wasser und Futter. Die Hinteren hatten das Nachsehen. Doch die Karawanenspediteure fanden eine gerechte Lösung des Problems. Sie unterteilten ihre Schar mehrfach in Viertel, die ihre Position in der Reihenfolge jeden Tag wechselten. So war jeder einmal Erster und genauso oft Letzter. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 06.10.2010)