Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Demonstrant in Ankara bei einer Veranstaltung der Türkischen Nationalisten, die gegen die Verhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union protestieren.

Foto: Reuters/Umit Bektas

Fünf Jahre später zählt der Trotz. "Wir machen weiter", sagt Tayyip Erdogan trocken. "Wir arbeiten geduldig, lernen unsere Lektion und hoffen, den Beitrittsprozess erfolgreich abzuschließen." Sein junger Minister für die EU-Integration, Egemen Bagis, spricht in weniger diplomatischen Momenten von "Intrigen" und der "unfairen Behandlung" der Türkei durch die Unionsländer. Die lange Nacht von Luxemburg im Oktober 2005, als sich Österreichs damalige Außenministerin Ursula Plassnik am Ende als Einzige gegen den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stemmte, so scheint es, dauert an.

Kein hilfreiches Entrée für Plassniks Nachfolger Michael Spindelegger, der heute, Mittwoch, einen dreitägigen Türkei-Besuch beginnt. Von 35 Verhandlungskapiteln mit der EU ist nach fünf Jahren gerade einmal eines abgeschlossen (Wissenschaft und Forschung), zehn weitere sind eröffnet und acht wieder suspendiert worden wegen des Streits um Zypern.

Auch Michael Spindelegger ist nicht eben ein Beitrittsenthusiast. Betont sein deutscher Kollege Guido Westerwelle die "klare europäische Perspektive der Türkei", sieht Spindelegger in erster Linie die "Herausforderungen" bei den Verhandlungen mit Ankara. Dennoch: "Österreich spielt heute eine viel konstruktivere Rolle als noch vor drei Jahren", meint Gerald Knaus, Leiter des Istanbul-Büros des Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative ESI. Die türkische Seite sehe in Österreich realistischerweise nicht mehr das größte Hindernis auf dem Weg nach Europa, die intensiver gewordenen Wirtschaftsbeziehungen hätten das Bild verändert.

Dass Spindelegger neben seinem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu auch von Staatschef Abdullah Gül und Premier Erdogan empfangen wird, gilt als Zeichen für die neue Wertschätzung. Von den drei Neinsagern im Jahr 2005 - Deutschland, Frankreich, Österreich - ist derzeit nur der französische Präsident Nicolas Sarkozy aktiv. Ähnlich wie in Frankreich hänge in Österreich aber, so Knaus, das Versprechen einer Volksabstimmung zum Türkei-Beitritt wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen.

Der türkischen Bevölkerung ist derweil die Lust an der EU vergangen. Nur noch 38 Prozent können einem EU-Beitritt etwas Positives abgewinnen, so fand der German Marshall Fund in einer Umfrage heraus; 2004 waren es noch 73 Prozent.

Größtes Hindernis bei den Beitrittsverhandlungen ist nach wie vor Zypern. EU-Minister Bagis hat nun einen Vorschlag gemacht: Die EU-Staaten sollten ähnlich wie im Fall von Taiwan ohne politische Anerkennung Handelsbeziehungen mit dem türkischen Teil der Insel beginnen; dann würde die Türkei auch ihre Häfen für das EU-Mitglied Zypern öffnen.

Zugesagt und unterschrieben hat die türkische Regierung die Ausweitung der Zollunion, die sie mit der EU bildet, auf Zypern bereits 2005. Türkische Kommentatoren wie Erdal Güven in der liberalen Tageszeitung Radikal haben die Regierung Erdogan deshalb zum Jahrestag des Beginns der Beitrittsgespräche aufgerufen, sich einen Stoß zu geben und die Verhandlungen voranzutreiben: "Es ist fast unmöglich, mit der Zypern-Frage umzugehen, aber die Türkei wird entweder diese Probleme lösen, oder sie (die Europäer, Anm.) geben uns auf." (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2010)