Danja Haslacher über ihre Prothese: "Man gewöhnt sich daran wie an eine Brille."

Foto: Plasmazentrum Salzburg

Seit einem Vespa-Unfall vor 22 Jahren lebt die 39-Jährige mit einem künstlichen Unterschenkel.

Foto: Danja Haslacher

Die mehrfache Paralymics-Siegerin übt ihren Sport ohne Prothese aus. Beim Training auf dem Berg nimmt sie ihren künstlichen Unterschenkel aber meistens mit, um ihn später in der Skihütte "anzuziehen".

Foto: Danja Haslacher

Die Salzburgerin beim Super G der Paralympics in Turin 2006, wo sie den dritten Platz erreichte.

Foto: Franz Baldauf

"Mich hat es gescheit erwischt". Das sind Danja Haslachers Gedanken, damals 17 Jahre alt, als sie nach einem Unfall mit ihrer Vespa auf der Straße liegt und an ihrem Körper hinabschaut. Bei einer späteren Operation wird ihr linker Unterschenkel amputiert, seit 22 Jahren lebt die Salzburgerin mit einem künstlichen Kniegelenk und einer Prothese. Bekannt wurde die heute 39-Jährige durch ihre sportlichen Leistungen: Haslacher ist mehrfache Paralympics-Siegerin im Skifahren. Mit derStandard.at sprach sie über das Leben mit der Prothese und warum sie sich schon lange an den "Fremdkörper" gewöhnt hat.

derStandard.at: Bei dem Vespa-Unfall, bei dem Sie Ihren linken Unterschenkel verloren haben, waren Sie knappe 18 Jahre alt. Was ging Ihnen durch den Kopf als Ihnen gesagt wurde, künftig mit einer Prothese leben zu müssen?

Danja Haslacher: Nach dem Unfall lag ich auf der Straße, hatte einen Schock und als ich wach wurde, hörte ich eine Frau schreien: "Das arme Dirndl, der Fuß ist ab, der Fuß ist ab." Als die Sanitäter die Bahre hingelegt haben, hoben sie mein linkes Bein extra darauf. Da wurde mir bewusst: "Mich hat es gscheit erwischt." Da ist die große Panik ausgebrochen, gedanklich war ich soweit zu sagen: Ohne Bein will ich nicht mehr weiterleben.

Ich wurde dann mit dem Hubschrauber ins Spital geflogen, 13 Stunden lang operiert, dabei wurde mir der linke Unterschenkel mithilfe Transplantationen aus dem rechten Unterschenkel wieder angenäht. Der große Schnitt war sieben Zentimeter vom Knie abwärts. Letztendlich starb das Bein aber ab und musste doch amputiert werden. Das war in meinem Alter ein Schock, als 17-Jährige hat man keine Ahnung, wie das Leben mit einer Prothese sein soll.

derStandard.at: Wie ist das Gefühl, eine Prothese zu haben? Wie schnell haben Sie sich daran gewöhnt?

Danja Haslacher: Man gewöhnt sich daran wie an eine Brille: Man setzt sie nicht freiwillig auf, aber man braucht sie eben. Man nimmt das Übel in Kauf, weil man dafür besser sieht, dafür will man eine möglichst schöne Brille haben. Meine Prothese sollte auch so gebaut sein, dass ich einen gewissen Komfort habe. Ein Beispiel: Ich bin 22 Jahre lang flach gegangen wie ein Turnschuh. Jetzt habe ich einen Fuß, den ich per Knopfdruck auf Absätze verstellen kann, um auch einmal Schuhe oder Stiefel mit Absatz anziehen zu können.

Das erste Jahr ist nicht leicht, es tut alles weh, blutet, man hat offene Stellen. Es ist alles schwer und umständlich. Ich habe früher gerne getanzt. Nach der Amputation habe ich stundenlang vor dem Spiegel geübt und habe mich gefragt: Wie stelle ich das jetzt an? Beim Tanzen konnte es passieren, das ich plötzlich mitten auf der Tanzfläche lag, weil die Prothese wieder einmal weggeklickt war, der Halt des eigenen Kniegelenkes fehlt einfach.

Heute noch kann es passieren, das ich über kleine Bodenschwellen oder Treppen stürze. Es gäbe zwar bessere Kniegelenke als jenes das ich habe, diese wären für mich als Sportlerin aber nicht so ideal, da sie mir zu langsam nach vorne Schwingen. Man muss sich entscheiden: Will man eine funktionelle, auf das Sportlerleben ausgerichtete Prothese? Dann könnte es aber sein, dass sie nicht sehr schön ist.

derStandard.at: Wie gestaltet sich Ihr Alltag? Gibt es etwas, worauf Sie verzichten müssen?

Danja Haslacher: Ich ziehe die Prothese jeden Morgen an und am Abend wieder aus. Machen kann ich eigentlich alles. Nur: Man braucht für gewisse Techniken gewisse Zusatzmittel. Wenn man zum Beispiel Laufen gehen möchte, benötigt man eine spezielle Laufprothese. Ich persönlich verwende so eine Prothese aber nicht, weil ich mich auf andere Sportarten konzentriere.

Meinen Sport, das Skifahren, muss ich ohne Prothese ausüben, da ich kein eigenes Kniegelenk mehr besitze. Es gibt zwar spezielle Modelle, bei denen man mit beiden Beinen in den Skischuhen steckt, aber für hohe Geschwindigkeiten oder steile Hänge sind diese nicht geeignet. Der Nachteil für mich ist, dass ich mit Krücken gehen muss, wenn ich von den Skiern absteige. Um das zu vermeiden, nehme ich meistens meine Prothese mit auf den Berg und ziehe sie mir an wenn wir in der Hütte einkehren.

derStandard.at: Warum das?

Danja Haslacher: Auf der Pisten wird man bewundert, weil man gut Ski fährt. Aber wenn man sich in der Hütte mit Krücken anstellt, schaut das wieder anders aus. Wenn ich die Prothese anziehe, bin ich anonym, ich kann mir selbst mein Essen holen, fühle mich wohler.

derStandard.at: Welchen anderen schwierigen Situationen sind Sie ausgesetzt?

Danja Haslacher: Viele Leute die eine Prothese tragen haben Hemmungen, am schlimmsten ist es beim Baden gehen, weil man offensiv die Prothese "ausziehen" muss, alles herzeigt. Das ist oft schwierig. Man muss unheimlich stark sein, um das zu machen, weil man sehr damit auffällt. Das Heraus- und Hereingehen aus dem Wasser ist eine große Überwindung.

Die Leute sollten sich aber grundsätzlich überlegen, dass es verschiedene Arten gibt, jemanden anzuschauen: ein interessiertes Schauen und ein Gaffen. Wenn ich merke, dass mich jemand nicht anblickt, dann weiß ich genau: Der oder die dreht sich jetzt um, um zu schauen, ich spüre die Augen im Rücken. Die Menschen sollen ein bisschen Verständnis haben, die Hemmungen lassen, sich unkompliziert verhalten, aber Mitleid ist fehl am Platz.

derStandard.at: Prothesen halten nicht ewig. Gerade bei Sportlern ist der Verschleiß größer. Wie oft bekommen Sie ein neues Gelenk und einen neuen, künstlichen Unterschenkel angefertigt?

Danja Haslacher: Eine neue Prothese zu bekommen ist für mich ein absoluter Horror. Kein Modell ist gleich wie das andere, mit manchen geht man schöner, mit anderen funktioniert es nicht so gut. Es ist jedesmal eine Umgewöhnung, deshalb trage ich meine immer so lange wie möglich. Alle paar Jahre muss ich aber wechseln beziehungsweise mir von einem orthopädischen Mechaniker eine neue anfertigen lassen, auch weil sie durch den täglichen Sport mehr verschlissen wird als bei anderen. Ich hatte auch schon Prothesen, bei denen das Kniegelenk innerhalb einer Woche kaputt war, das ist dann ein Materialschaden. Eine meiner Prothesen hatte ich ganze fünf Jahre lang, bis sie mir bei der Weltmeisterschaft in der Wildschönau auseinandergebrochen ist.

derStandard.at: Sie haben trotz Ihrer Prothese Karriere im Skisport gemacht. Was war der Antrieb? Haben Sie schon vorher in diese Richtung trainiert oder sich nach dem Unfall etwas beweisen wollen?

Danja Haslacher: Zum Teil war es sicher so, aber ich wollte das einfach ausprobieren. Ich bin aus einer sehr sportlichen Familie, meine Jugend bestand aus Sport und Lesen: bergsteigen, wandern, klettern, radfahren, Tischtennis spielen, schwimmen und auf Bäume klettern. Ich war also schon immer ein sehr sportlicher Mensch.

derStandard.at: Sie leben nun schon seit 22 Jahren mit einer Prothese. Haben Sie überhaupt noch das Gefühl, dass sie ein Fremdkörper ist?

Danja Haslacher: Die Prothese gehört zu mir dazu. Man nimmt sie ganz automatisch, genau so wie man in der Früh die Zähne putzt. Ich stehe wie jeder andere auf, nur muss ich eine halbe Minute verwenden, um meinen Fuß "anzuziehen". Manchmal geht's nicht so glatt, dann muss man eben herumprobieren. (derStandard.at, 04.11.2010)